Jch halte, sagte der selige Scriver, ein einiger Anblick des gecreutzigten Heilandes, der im Glau- ben und in rechtschaffener Andacht geschiehet, sey genug alle Sündenlust zu dämpfen. Mir ist er- zehlet worden, das in Genf ein frommer Theologus in der Nachbarschafft eines unkeuschen Weibsbil- des gelebt und gewünschet, dieselbe von ihren bösen Wegen ab und dem HErrn JEsu zuzuführen. Hierzu ersinnet er ein solch Mittel: Er läßt das Bild des gecreutzigten JEsu auf eine Taffel, die wie ein Spiegel eingefasset, gar artig und kläglich mah- len: hänget dieselbe an ein Fenster, in welches das Weib aus ihrem Hause sehen konte, und tritt oft da- vor, als wann er sein Angesicht im Spiegel be- schauete. Sie wird dessen bald inne und verwun- dert sich, was ein so berühmter Mann so oft vorm Spiegel macht? Als sie ihm aber auch einmal mit Lachen zusahe, wendet er seinen Spiegel unvermuth- lich um, und hält ihr mit betrübtem Gesicht und trau- riger Gestalt das Bild ihres gecreutzigten Heilan- des entgegen: als wolte er sie erinnern, sie möchte an diese Liebe ihres JEsu gedencken, und nicht vergessen, wie sauer sie ihm geworden zu erlösen, und wie übel sie thäte, daß sie ihn so vielfältig mit ihren grossen Sünden beleidigte. Ueber welchen unvermutheten Anblick das Weib sich dermassen beweget, daß sie diesen Spiegel begehrt, ihr vorgenommen, keinen andern hinfort zu gebrauchen, und ein keusches, gott- seliges Leben inskünftige zu führen. Dieses meldet Scriver aus Engelgrav, es sey solches in Jtalien ge- schehen. So befleißige du dich denn auch nur darauf, daß du die Betrachtung des keuschen und reinen Le- bens JEsu und dessen schmählichen und schmertzli- chen Creutztod dem lüsternden Fleisch entgegen hal- test, so oft es dir eine Sünde zumuthet. Betrachte
Chri-
C. 2. Man muͤſſe ſich zuerſt bekehren.
Jch halte, ſagte der ſelige Scriver, ein einiger Anblick des gecreutzigten Heilandes, der im Glau- ben und in rechtſchaffener Andacht geſchiehet, ſey genug alle Suͤndenluſt zu daͤmpfen. Mir iſt er- zehlet worden, das in Genf ein frommer Theologus in der Nachbarſchafft eines unkeuſchen Weibsbil- des gelebt und gewuͤnſchet, dieſelbe von ihren boͤſen Wegen ab und dem HErrn JEſu zuzufuͤhren. Hierzu erſinnet er ein ſolch Mittel: Er laͤßt das Bild des gecreutzigten JEſu auf eine Taffel, die wie ein Spiegel eingefaſſet, gar artig und klaͤglich mah- len: haͤnget dieſelbe an ein Fenſter, in welches das Weib aus ihrem Hauſe ſehen konte, und tritt oft da- vor, als wann er ſein Angeſicht im Spiegel be- ſchauete. Sie wird deſſen bald inne und verwun- dert ſich, was ein ſo beruͤhmter Mann ſo oft vorm Spiegel macht? Als ſie ihm aber auch einmal mit Lachen zuſahe, wendet er ſeinen Spiegel unvermuth- lich um, und haͤlt ihr mit betruͤbtem Geſicht und trau- riger Geſtalt das Bild ihres gecreutzigten Heilan- des entgegen: als wolte er ſie erinnern, ſie moͤchte an dieſe Liebe ihres JEſu gedencken, und nicht vergeſſen, wie ſauer ſie ihm geworden zu erloͤſen, und wie uͤbel ſie thaͤte, daß ſie ihn ſo vielfaͤltig mit ihren groſſen Suͤnden beleidigte. Ueber welchen unvermutheten Anblick das Weib ſich dermaſſen beweget, daß ſie dieſen Spiegel begehrt, ihr vorgenommen, keinen andern hinfort zu gebrauchen, und ein keuſches, gott- ſeliges Leben inskuͤnftige zu fuͤhren. Dieſes meldet Scriver aus Engelgrav, es ſey ſolches in Jtalien ge- ſchehen. So befleißige du dich denn auch nur darauf, daß du die Betrachtung des keuſchen und reinen Le- bens JEſu und deſſen ſchmaͤhlichen und ſchmertzli- chen Creutztod dem luͤſternden Fleiſch entgegen hal- teſt, ſo oft es dir eine Suͤnde zumuthet. Betrachte
Chri-
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C. 2. Man muͤſſe ſich zuerſt bekehren.
Jch halte, ſagte der ſelige Scriver, ein einiger
Anblick des gecreutzigten Heilandes, der im Glau-
ben und in rechtſchaffener Andacht geſchiehet, ſey
genug alle Suͤndenluſt zu daͤmpfen. Mir iſt er-
zehlet worden, das in Genf ein frommer Theologus
in der Nachbarſchafft eines unkeuſchen Weibsbil-
des gelebt und gewuͤnſchet, dieſelbe von ihren boͤſen
Wegen ab und dem HErrn JEſu zuzufuͤhren.
Hierzu erſinnet er ein ſolch Mittel: Er laͤßt das
Bild des gecreutzigten JEſu auf eine Taffel, die wie
ein Spiegel eingefaſſet, gar artig und klaͤglich mah-
len: haͤnget dieſelbe an ein Fenſter, in welches das
Weib aus ihrem Hauſe ſehen konte, und tritt oft da-
vor, als wann er ſein Angeſicht im Spiegel be-
ſchauete. Sie wird deſſen bald inne und verwun-
dert ſich, was ein ſo beruͤhmter Mann ſo oft vorm
Spiegel macht? Als ſie ihm aber auch einmal mit
Lachen zuſahe, wendet er ſeinen Spiegel unvermuth-
lich um, und haͤlt ihr mit betruͤbtem Geſicht und trau-
riger Geſtalt das Bild ihres gecreutzigten Heilan-
des entgegen: als wolte er ſie erinnern, ſie moͤchte an
dieſe Liebe ihres JEſu gedencken, und nicht vergeſſen,
wie ſauer ſie ihm geworden zu erloͤſen, und wie uͤbel
ſie thaͤte, daß ſie ihn ſo vielfaͤltig mit ihren groſſen
Suͤnden beleidigte. Ueber welchen unvermutheten
Anblick das Weib ſich dermaſſen beweget, daß ſie
dieſen Spiegel begehrt, ihr vorgenommen, keinen
andern hinfort zu gebrauchen, und ein keuſches, gott-
ſeliges Leben inskuͤnftige zu fuͤhren. Dieſes meldet
Scriver aus Engelgrav, es ſey ſolches in Jtalien ge-
ſchehen. So befleißige du dich denn auch nur darauf,
daß du die Betrachtung des keuſchen und reinen Le-
bens JEſu und deſſen ſchmaͤhlichen und ſchmertzli-
chen Creutztod dem luͤſternden Fleiſch entgegen hal-
teſt, ſo oft es dir eine Suͤnde zumuthet. Betrachte
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Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740/639>, abgerufen am 21.11.2024.
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