Es war ein vornehmer, wackerer Freyherr in Teutschland, der hatte zwey Söhne, an deren guter Auferziehung er nichts wolte ermanglen lassen; that sie zu dem End auf eine hohe Schule zu einem berühmten Professor in die Kost und Aufsicht. Was geschicht? der ältere wird in dessen Tochter sterbens verliebt. Der Herr Professor, als Vater des Mägdleins, fuhr ihn sehr rauh an: seine Tochter sey nicht für ihn, er solle die Bule- rey aus dem Sinn schlagen und dem Studieren abwar- ten. Das arme verworrene junge Gemüth, so etwa bey 17. Jahr alt war, fällt über diesen unvermutheten harten Abschlag in Verzweiflung, (dann er liebte sie, wie man sagt, in allen Ehren, und hätte sie gerne ein- mal zu seiner Gemahlin gehabt,) gehet in sein Zimmer und erhenget sich. Jm Augenblick trat sein Bruder hinein, und wolte ihm zum Nachtessen ruffen: erschrack aber vor dem betrübten Anblick dermassen, daß er rück- lings die Treppen hinunter fiel und in Ohnmacht sanck. Ehe er nun im Stand war die Ursache seines Schre- ckens anzuzeigen, erwürgete inzwischen der ältere Bru- der. Als der liebe Baron dieses vernahm, führte er den Professor zur Schule, und schrieb ihm: seines armen Sohnes Seele sey mit einem Pfeil verwundet worden; diesen hätte er als ein weiser und mitleidiger Artzt mit grosser Vorsichtigkeit, gelinden Zusprüchen, kluger Zu- rechtweisung und andern Mitteln sollen herausziehen, und mit dem Balsam liebreicher Erinnerungen hei- len etc.
Allein solche geistreiche Führer sind annoch dünn gesäet, die mit hertzlicher Vorbitte, heilsamer Lehre, gedultiger und sanfftmüthiger, anbey aber auch recht ernsthafter Weißheit, den verstrickten Hertzen auszuhelffen, und sie zu JEsu hinzutragen wissen; wie ehemahls die Jsraeliten ihre Besesse- ne und Krancke zu JEsu Füssen legten. Matth. 9, 2. Es fehlet sehr an der Kraft des Glaubens, an der Gedult, und an einer brünstigen Liebesbe- gierde vor die Errettung der Seelen. Wann man in gesetzlichem Eifer etwa ein Schnarchwort her- aus platzet; da meint man, man habe seiner Pflicht genug gethan: aber das Gesetz wircket nur Zorn,
und
C. 3. Mittel wieder die Unkeuſchheit.
Es war ein vornehmer, wackerer Freyherr in Teutſchland, der hatte zwey Soͤhne, an deren guter Auferziehung er nichts wolte ermanglen laſſen; that ſie zu dem End auf eine hohe Schule zu einem beruͤhmten Profeſſor in die Koſt und Aufſicht. Was geſchicht? der aͤltere wird in deſſen Tochter ſterbens verliebt. Der Herr Profeſſor, als Vater des Maͤgdleins, fuhr ihn ſehr rauh an: ſeine Tochter ſey nicht fuͤr ihn, er ſolle die Bule- rey aus dem Sinn ſchlagen und dem Studieren abwar- ten. Das arme verworrene junge Gemuͤth, ſo etwa bey 17. Jahr alt war, faͤllt uͤber dieſen unvermutheten harten Abſchlag in Verzweiflung, (dann er liebte ſie, wie man ſagt, in allen Ehren, und haͤtte ſie gerne ein- mal zu ſeiner Gemahlin gehabt,) gehet in ſein Zimmer und erhenget ſich. Jm Augenblick trat ſein Bruder hinein, und wolte ihm zum Nachteſſen ruffen: erſchrack aber vor dem betruͤbten Anblick dermaſſen, daß er ruͤck- lings die Treppen hinunter fiel und in Ohnmacht ſanck. Ehe er nun im Stand war die Urſache ſeines Schre- ckens anzuzeigen, erwuͤrgete inzwiſchen der aͤltere Bru- der. Als der liebe Baron dieſes vernahm, fuͤhrte er den Profeſſor zur Schule, und ſchrieb ihm: ſeines armen Sohnes Seele ſey mit einem Pfeil verwundet worden; dieſen haͤtte er als ein weiſer und mitleidiger Artzt mit groſſer Vorſichtigkeit, gelinden Zuſpruͤchen, kluger Zu- rechtweiſung und andern Mitteln ſollen herausziehen, und mit dem Balſam liebreicher Erinnerungen hei- len ꝛc.
Allein ſolche geiſtreiche Fuͤhrer ſind annoch duͤnn geſaͤet, die mit hertzlicher Vorbitte, heilſamer Lehre, gedultiger und ſanfftmuͤthiger, anbey aber auch recht ernſthafter Weißheit, den verſtrickten Hertzen auszuhelffen, und ſie zu JEſu hinzutragen wiſſen; wie ehemahls die Jſraeliten ihre Beſeſſe- ne und Krancke zu JEſu Fuͤſſen legten. Matth. 9, 2. Es fehlet ſehr an der Kraft des Glaubens, an der Gedult, und an einer bruͤnſtigen Liebesbe- gierde vor die Errettung der Seelen. Wann man in geſetzlichem Eifer etwa ein Schnarchwort her- aus platzet; da meint man, man habe ſeiner Pflicht genug gethan: aber das Geſetz wircket nur Zorn,
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C. 3. Mittel wieder die Unkeuſchheit.
Es war ein vornehmer, wackerer Freyherr in Teutſchland,
der hatte zwey Soͤhne, an deren guter Auferziehung
er nichts wolte ermanglen laſſen; that ſie zu dem End
auf eine hohe Schule zu einem beruͤhmten Profeſſor
in die Koſt und Aufſicht. Was geſchicht? der aͤltere
wird in deſſen Tochter ſterbens verliebt. Der Herr
Profeſſor, als Vater des Maͤgdleins, fuhr ihn ſehr rauh
an: ſeine Tochter ſey nicht fuͤr ihn, er ſolle die Bule-
rey aus dem Sinn ſchlagen und dem Studieren abwar-
ten. Das arme verworrene junge Gemuͤth, ſo etwa
bey 17. Jahr alt war, faͤllt uͤber dieſen unvermutheten
harten Abſchlag in Verzweiflung, (dann er liebte ſie,
wie man ſagt, in allen Ehren, und haͤtte ſie gerne ein-
mal zu ſeiner Gemahlin gehabt,) gehet in ſein Zimmer
und erhenget ſich. Jm Augenblick trat ſein Bruder
hinein, und wolte ihm zum Nachteſſen ruffen: erſchrack
aber vor dem betruͤbten Anblick dermaſſen, daß er ruͤck-
lings die Treppen hinunter fiel und in Ohnmacht ſanck.
Ehe er nun im Stand war die Urſache ſeines Schre-
ckens anzuzeigen, erwuͤrgete inzwiſchen der aͤltere Bru-
der. Als der liebe Baron dieſes vernahm, fuͤhrte er
den Profeſſor zur Schule, und ſchrieb ihm: ſeines armen
Sohnes Seele ſey mit einem Pfeil verwundet worden;
dieſen haͤtte er als ein weiſer und mitleidiger Artzt mit
groſſer Vorſichtigkeit, gelinden Zuſpruͤchen, kluger Zu-
rechtweiſung und andern Mitteln ſollen herausziehen,
und mit dem Balſam liebreicher Erinnerungen hei-
len ꝛc.
Allein ſolche geiſtreiche Fuͤhrer ſind annoch
duͤnn geſaͤet, die mit hertzlicher Vorbitte, heilſamer
Lehre, gedultiger und ſanfftmuͤthiger, anbey aber
auch recht ernſthafter Weißheit, den verſtrickten
Hertzen auszuhelffen, und ſie zu JEſu hinzutragen
wiſſen; wie ehemahls die Jſraeliten ihre Beſeſſe-
ne und Krancke zu JEſu Fuͤſſen legten. Matth.
9, 2. Es fehlet ſehr an der Kraft des Glaubens,
an der Gedult, und an einer bruͤnſtigen Liebesbe-
gierde vor die Errettung der Seelen. Wann man
in geſetzlichem Eifer etwa ein Schnarchwort her-
aus platzet; da meint man, man habe ſeiner Pflicht
genug gethan: aber das Geſetz wircket nur Zorn,
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Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740/719>, abgerufen am 22.11.2024.
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