Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.trefflich, sobald die Rechtswissenschaft thut, was ihres Betrachten wir nämlich unsern Zustand, wie er nicht 1) Vergl. Rehberg über den Code Napoleon S. 8 -- 10.
trefflich, ſobald die Rechtswiſſenſchaft thut, was ihres Betrachten wir nämlich unſern Zuſtand, wie er nicht 1) Vergl. Rehberg über den Code Napoleon S. 8 — 10.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0122" n="112"/> trefflich, ſobald die Rechtswiſſenſchaft thut, was ihres<lb/> Amtes iſt, und was nur durch ſie geſchehen kann.</p><lb/> <p>Betrachten wir nämlich unſern Zuſtand, wie er<lb/> in der That iſt, ſo finden wir uns mitten in einer<lb/> ungeheuern Maſſe juriſtiſcher Begriffe und Anſichten,<lb/> die ſich von Geſchlecht zu Geſchlecht fortgeerbt und<lb/> angehäuft haben <note place="foot" n="1)">Vergl. <hi rendition="#g">Rehberg</hi> über den Code Napoleon S. 8 — 10.</note>. Wie die Sache jetzt ſteht, be-<lb/> ſitzen und beherrſchen wir dieſen Stoff nicht, ſondern<lb/> wir werden von ihm beſtimmt und getrieben nicht<lb/> wie wir wollen. Darauf gründen ſich alle Klagen<lb/> über unſern Rechtszuſtand, deren Gerechtigkeit ich<lb/> nicht verkenne, und daher iſt alles Rufen nach Ge-<lb/> ſetzbüchern entſtanden. Dieſer Stoff umgiebt und<lb/> beſtimmt uns auf allen Seiten, oft ohne daß wir es<lb/> wiſſen: man könnte darauf denken, ihn zu vernich-<lb/> ten, indem man alle hiſtoriſche Fäden zu durchſchnei-<lb/> den und ein ganz neues Leben zu beginnen verſuchte,<lb/> aber auch dieſe Unternehmung würde auf einer<lb/> Selbſttäuſchung beruhen. Denn es iſt unmöglich,<lb/> die Anſicht und Bildung der jetztlebenden Rechtsge-<lb/> lehrten zu vernichten: unmöglich, die Natur der be-<lb/> ſtehenden Rechtsverhältniſſe umzuwandeln; und auf<lb/> dieſe doppelte Unmöglichkeit gründet ſich der unauf-<lb/> lösliche organiſche Zuſammenhang der Geſchlechter<lb/> und Zeitalter, zwiſchen welchen nur Entwicklung aber<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [112/0122]
trefflich, ſobald die Rechtswiſſenſchaft thut, was ihres
Amtes iſt, und was nur durch ſie geſchehen kann.
Betrachten wir nämlich unſern Zuſtand, wie er
in der That iſt, ſo finden wir uns mitten in einer
ungeheuern Maſſe juriſtiſcher Begriffe und Anſichten,
die ſich von Geſchlecht zu Geſchlecht fortgeerbt und
angehäuft haben 1). Wie die Sache jetzt ſteht, be-
ſitzen und beherrſchen wir dieſen Stoff nicht, ſondern
wir werden von ihm beſtimmt und getrieben nicht
wie wir wollen. Darauf gründen ſich alle Klagen
über unſern Rechtszuſtand, deren Gerechtigkeit ich
nicht verkenne, und daher iſt alles Rufen nach Ge-
ſetzbüchern entſtanden. Dieſer Stoff umgiebt und
beſtimmt uns auf allen Seiten, oft ohne daß wir es
wiſſen: man könnte darauf denken, ihn zu vernich-
ten, indem man alle hiſtoriſche Fäden zu durchſchnei-
den und ein ganz neues Leben zu beginnen verſuchte,
aber auch dieſe Unternehmung würde auf einer
Selbſttäuſchung beruhen. Denn es iſt unmöglich,
die Anſicht und Bildung der jetztlebenden Rechtsge-
lehrten zu vernichten: unmöglich, die Natur der be-
ſtehenden Rechtsverhältniſſe umzuwandeln; und auf
dieſe doppelte Unmöglichkeit gründet ſich der unauf-
lösliche organiſche Zuſammenhang der Geſchlechter
und Zeitalter, zwiſchen welchen nur Entwicklung aber
nicht
1) Vergl. Rehberg über den Code Napoleon S. 8 — 10.
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