Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 14. Wissenschaftliches Recht.
§. 14.
Wissenschaftliches Recht.

Es liegt in dem natürlichen Entwicklungsgang der
Völker, daß bey fortschreitender Bildung einzelne Thätig-
keiten und Kenntnisse sich absondern, und so den eigen-
thümlichen Lebensberuf besonderer Stände bilden. So
auch wird das Recht, ursprünglich Gemeingut des ge-
sammten Volkes, durch die sich mehr verzweigenden Ver-
hältnisse des thätigen Lebens dergestalt ins Einzelne aus-
gebildet, daß es durch die im Volk gleichmäßig verbreitete
Kenntniß nicht mehr beherrscht werden kann. Dann wird
sich ein besonderer Stand der Rechtskundigen bilden,
welcher, selbst Bestandtheil des Volkes, in diesem Kreise
des Denkens die Gesammtheit vertritt. Das Recht ist
im besondern Bewußtseyn dieses Standes nur eine Fort-
setzung und eigenthümliche Entwicklung des Volksrechts.
Es führt daher nunmehr ein zwiefaches Leben: seinen
Grundzügen nach lebt es fort im gemeinsamen Bewußt-
seyn des Volks, die genauere Ausbildung und Anwendung
im Einzelnen ist der besondere Beruf des Juristenstandes.

Die äußeren Formen der Thätigkeit dieses Standes
geben ein Bild von der sehr allmäligen Entwicklung desselben.
Zuerst erscheint er blos als Rath gebend in einzelnen Fällen,
theils durch Gutachten über die Entscheidung eines Rechts-
streits (a), theils durch Belehrung über die richtige Ab-

(a) Zuerst mündliches Gutachten der Advocati vor Gericht, später
schriftliche Responsa.
§. 14. Wiſſenſchaftliches Recht.
§. 14.
Wiſſenſchaftliches Recht.

Es liegt in dem natürlichen Entwicklungsgang der
Völker, daß bey fortſchreitender Bildung einzelne Thätig-
keiten und Kenntniſſe ſich abſondern, und ſo den eigen-
thümlichen Lebensberuf beſonderer Stände bilden. So
auch wird das Recht, urſprünglich Gemeingut des ge-
ſammten Volkes, durch die ſich mehr verzweigenden Ver-
hältniſſe des thätigen Lebens dergeſtalt ins Einzelne aus-
gebildet, daß es durch die im Volk gleichmäßig verbreitete
Kenntniß nicht mehr beherrſcht werden kann. Dann wird
ſich ein beſonderer Stand der Rechtskundigen bilden,
welcher, ſelbſt Beſtandtheil des Volkes, in dieſem Kreiſe
des Denkens die Geſammtheit vertritt. Das Recht iſt
im beſondern Bewußtſeyn dieſes Standes nur eine Fort-
ſetzung und eigenthümliche Entwicklung des Volksrechts.
Es führt daher nunmehr ein zwiefaches Leben: ſeinen
Grundzügen nach lebt es fort im gemeinſamen Bewußt-
ſeyn des Volks, die genauere Ausbildung und Anwendung
im Einzelnen iſt der beſondere Beruf des Juriſtenſtandes.

Die äußeren Formen der Thätigkeit dieſes Standes
geben ein Bild von der ſehr allmäligen Entwicklung deſſelben.
Zuerſt erſcheint er blos als Rath gebend in einzelnen Fällen,
theils durch Gutachten über die Entſcheidung eines Rechts-
ſtreits (a), theils durch Belehrung über die richtige Ab-

(a) Zuerſt mündliches Gutachten der Advocati vor Gericht, ſpäter
ſchriftliche Responsa.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0101" n="45"/>
          <fw place="top" type="header">§. 14. Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliches Recht.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 14.<lb/><hi rendition="#g">Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliches Recht</hi>.</head><lb/>
            <p>Es liegt in dem natürlichen Entwicklungsgang der<lb/>
Völker, daß bey fort&#x017F;chreitender Bildung einzelne Thätig-<lb/>
keiten und Kenntni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich ab&#x017F;ondern, und &#x017F;o den eigen-<lb/>
thümlichen Lebensberuf be&#x017F;onderer Stände bilden. So<lb/>
auch wird das Recht, ur&#x017F;prünglich Gemeingut des ge-<lb/>
&#x017F;ammten Volkes, durch die &#x017F;ich mehr verzweigenden Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e des thätigen Lebens derge&#x017F;talt ins Einzelne aus-<lb/>
gebildet, daß es durch die im Volk gleichmäßig verbreitete<lb/>
Kenntniß nicht mehr beherr&#x017F;cht werden kann. Dann wird<lb/>
&#x017F;ich ein be&#x017F;onderer Stand der Rechtskundigen bilden,<lb/>
welcher, &#x017F;elb&#x017F;t Be&#x017F;tandtheil des Volkes, in die&#x017F;em Krei&#x017F;e<lb/>
des Denkens die Ge&#x017F;ammtheit vertritt. Das Recht i&#x017F;t<lb/>
im be&#x017F;ondern Bewußt&#x017F;eyn die&#x017F;es Standes nur eine Fort-<lb/>
&#x017F;etzung und eigenthümliche Entwicklung des Volksrechts.<lb/>
Es führt daher nunmehr ein zwiefaches Leben: &#x017F;einen<lb/>
Grundzügen nach lebt es fort im gemein&#x017F;amen Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyn des Volks, die genauere Ausbildung und Anwendung<lb/>
im Einzelnen i&#x017F;t der be&#x017F;ondere Beruf des Juri&#x017F;ten&#x017F;tandes.</p><lb/>
            <p>Die äußeren Formen der Thätigkeit die&#x017F;es Standes<lb/>
geben ein Bild von der &#x017F;ehr allmäligen Entwicklung de&#x017F;&#x017F;elben.<lb/>
Zuer&#x017F;t er&#x017F;cheint er blos als Rath gebend in einzelnen Fällen,<lb/>
theils durch Gutachten über die Ent&#x017F;cheidung eines Rechts-<lb/>
&#x017F;treits <note place="foot" n="(a)">Zuer&#x017F;t mündliches Gutachten der <hi rendition="#aq">Advocati</hi> vor Gericht, &#x017F;päter<lb/>
&#x017F;chriftliche <hi rendition="#aq">Responsa</hi>.</note>, theils durch Belehrung über die richtige Ab-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0101] §. 14. Wiſſenſchaftliches Recht. §. 14. Wiſſenſchaftliches Recht. Es liegt in dem natürlichen Entwicklungsgang der Völker, daß bey fortſchreitender Bildung einzelne Thätig- keiten und Kenntniſſe ſich abſondern, und ſo den eigen- thümlichen Lebensberuf beſonderer Stände bilden. So auch wird das Recht, urſprünglich Gemeingut des ge- ſammten Volkes, durch die ſich mehr verzweigenden Ver- hältniſſe des thätigen Lebens dergeſtalt ins Einzelne aus- gebildet, daß es durch die im Volk gleichmäßig verbreitete Kenntniß nicht mehr beherrſcht werden kann. Dann wird ſich ein beſonderer Stand der Rechtskundigen bilden, welcher, ſelbſt Beſtandtheil des Volkes, in dieſem Kreiſe des Denkens die Geſammtheit vertritt. Das Recht iſt im beſondern Bewußtſeyn dieſes Standes nur eine Fort- ſetzung und eigenthümliche Entwicklung des Volksrechts. Es führt daher nunmehr ein zwiefaches Leben: ſeinen Grundzügen nach lebt es fort im gemeinſamen Bewußt- ſeyn des Volks, die genauere Ausbildung und Anwendung im Einzelnen iſt der beſondere Beruf des Juriſtenſtandes. Die äußeren Formen der Thätigkeit dieſes Standes geben ein Bild von der ſehr allmäligen Entwicklung deſſelben. Zuerſt erſcheint er blos als Rath gebend in einzelnen Fällen, theils durch Gutachten über die Entſcheidung eines Rechts- ſtreits (a), theils durch Belehrung über die richtige Ab- (a) Zuerſt mündliches Gutachten der Advocati vor Gericht, ſpäter ſchriftliche Responsa.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/101
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/101>, abgerufen am 04.12.2024.