Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 18. Gewohnheitsrecht. auf, so daß es nur noch als wissenschaftliches Recht er-schien. Nach dem Erlöschen der Literatur aber fehlte es meist an der frischen nationalen Kraft, die zu neuer Rechts- bildung erfordert wird; und wenn auch zu Zeiten ein äußeres Bedürfniß dazu antrieb, so bedurfte es doch fast immer der kaiserlichen Gesetzgebung, um dem neuen Rechts- institut eine bestimmte Gestalt zu geben (a). Es war also kaum denkbar, daß neben den Justinianischen Rechtsbüchern noch freyes Gewohnheitsrecht als gemeines Römisches Recht hätte fortdauern mögen, da alles Bedeutende, was auf diesem Wege vormals entstanden war, unfehlbar in den Digesten oder dem Codex seine Stelle gefunden hatte. Dagegen konnte vieles partikuläre Gewohnheitsrecht neben dieser allgemeinen Gesetzgebung bestehen, ohne daß wir im Stande wären, den Umfang und die Wichtigkeit dessel- ben auch nur vermuthungsweise zu bestimmen. -- Unter Justinians Nachfolgern mußte bey ähnlichen Bedingungen dasselbe Verhältniß um so mehr fortdauern, als seine Ge- setzgebung die letzte große Anstrengung dieser Art gewesen war, und nach ihm die Kraft der Rechtsbildung immer mehr verschwand. Ein ganz anderer Zustand trat ein, als im erneuerten (a) Das sogenannte peculium
adventitium und die donatio propter nuptias können als er- läuternde Beyspiele dienen. §. 18. Gewohnheitsrecht. auf, ſo daß es nur noch als wiſſenſchaftliches Recht er-ſchien. Nach dem Erlöſchen der Literatur aber fehlte es meiſt an der friſchen nationalen Kraft, die zu neuer Rechts- bildung erfordert wird; und wenn auch zu Zeiten ein äußeres Bedürfniß dazu antrieb, ſo bedurfte es doch faſt immer der kaiſerlichen Geſetzgebung, um dem neuen Rechts- inſtitut eine beſtimmte Geſtalt zu geben (a). Es war alſo kaum denkbar, daß neben den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern noch freyes Gewohnheitsrecht als gemeines Römiſches Recht hätte fortdauern mögen, da alles Bedeutende, was auf dieſem Wege vormals entſtanden war, unfehlbar in den Digeſten oder dem Codex ſeine Stelle gefunden hatte. Dagegen konnte vieles partikuläre Gewohnheitsrecht neben dieſer allgemeinen Geſetzgebung beſtehen, ohne daß wir im Stande wären, den Umfang und die Wichtigkeit deſſel- ben auch nur vermuthungsweiſe zu beſtimmen. — Unter Juſtinians Nachfolgern mußte bey ähnlichen Bedingungen daſſelbe Verhältniß um ſo mehr fortdauern, als ſeine Ge- ſetzgebung die letzte große Anſtrengung dieſer Art geweſen war, und nach ihm die Kraft der Rechtsbildung immer mehr verſchwand. Ein ganz anderer Zuſtand trat ein, als im erneuerten (a) Das ſogenannte peculium
adventitium und die donatio propter nuptias können als er- läuternde Beyſpiele dienen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0133" n="77"/><fw place="top" type="header">§. 18. Gewohnheitsrecht.</fw><lb/> auf, ſo daß es nur noch als wiſſenſchaftliches Recht er-<lb/> ſchien. Nach dem Erlöſchen der Literatur aber fehlte es<lb/> meiſt an der friſchen nationalen Kraft, die zu neuer Rechts-<lb/> bildung erfordert wird; und wenn auch zu Zeiten ein<lb/> äußeres Bedürfniß dazu antrieb, ſo bedurfte es doch faſt<lb/> immer der kaiſerlichen Geſetzgebung, um dem neuen Rechts-<lb/> inſtitut eine beſtimmte Geſtalt zu geben <note place="foot" n="(a)">Das ſogenannte <hi rendition="#aq">peculium<lb/> adventitium</hi> und die <hi rendition="#aq">donatio<lb/> propter nuptias</hi> können als er-<lb/> läuternde Beyſpiele dienen.</note>. Es war alſo kaum<lb/> denkbar, daß neben den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern noch<lb/> freyes Gewohnheitsrecht als gemeines Römiſches Recht<lb/> hätte fortdauern mögen, da alles Bedeutende, was auf<lb/> dieſem Wege vormals entſtanden war, unfehlbar in den<lb/> Digeſten oder dem Codex ſeine Stelle gefunden hatte.<lb/> Dagegen konnte vieles partikuläre Gewohnheitsrecht neben<lb/> dieſer allgemeinen Geſetzgebung beſtehen, ohne daß wir<lb/> im Stande wären, den Umfang und die Wichtigkeit deſſel-<lb/> ben auch nur vermuthungsweiſe zu beſtimmen. — Unter<lb/> Juſtinians Nachfolgern mußte bey ähnlichen Bedingungen<lb/> daſſelbe Verhältniß um ſo mehr fortdauern, als ſeine Ge-<lb/> ſetzgebung die letzte große Anſtrengung dieſer Art geweſen<lb/> war, und nach ihm die Kraft der Rechtsbildung immer<lb/> mehr verſchwand.</p><lb/> <p>Ein ganz anderer Zuſtand trat ein, als im erneuerten<lb/> Europa das Römiſche Recht bey Nationen Eingang fand,<lb/> in welchen es nicht entſtanden war. Damals waren auch<lb/> dieſe ſchon in Verhältniſſe eingetreten, in welchen die Ent-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0133]
§. 18. Gewohnheitsrecht.
auf, ſo daß es nur noch als wiſſenſchaftliches Recht er-
ſchien. Nach dem Erlöſchen der Literatur aber fehlte es
meiſt an der friſchen nationalen Kraft, die zu neuer Rechts-
bildung erfordert wird; und wenn auch zu Zeiten ein
äußeres Bedürfniß dazu antrieb, ſo bedurfte es doch faſt
immer der kaiſerlichen Geſetzgebung, um dem neuen Rechts-
inſtitut eine beſtimmte Geſtalt zu geben (a). Es war alſo kaum
denkbar, daß neben den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern noch
freyes Gewohnheitsrecht als gemeines Römiſches Recht
hätte fortdauern mögen, da alles Bedeutende, was auf
dieſem Wege vormals entſtanden war, unfehlbar in den
Digeſten oder dem Codex ſeine Stelle gefunden hatte.
Dagegen konnte vieles partikuläre Gewohnheitsrecht neben
dieſer allgemeinen Geſetzgebung beſtehen, ohne daß wir
im Stande wären, den Umfang und die Wichtigkeit deſſel-
ben auch nur vermuthungsweiſe zu beſtimmen. — Unter
Juſtinians Nachfolgern mußte bey ähnlichen Bedingungen
daſſelbe Verhältniß um ſo mehr fortdauern, als ſeine Ge-
ſetzgebung die letzte große Anſtrengung dieſer Art geweſen
war, und nach ihm die Kraft der Rechtsbildung immer
mehr verſchwand.
Ein ganz anderer Zuſtand trat ein, als im erneuerten
Europa das Römiſche Recht bey Nationen Eingang fand,
in welchen es nicht entſtanden war. Damals waren auch
dieſe ſchon in Verhältniſſe eingetreten, in welchen die Ent-
(a) Das ſogenannte peculium
adventitium und die donatio
propter nuptias können als er-
läuternde Beyſpiele dienen.
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