Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 18. Gewohnheitsrecht. Europa, so daß die daraus hervorgehende Neuerung desRechtszustandes in sehr verschiedenen Graden fühlbar wer- den mußte. In Italien war das Justinianische Recht niemals verschwunden: neu war also hier nur theils dessen Wiederbelebung, theils die eigenthümliche und bestimmte Begränzung, in welcher es nunmehr anerkannt wurde. In Frankreich war zwar auch das Römische Recht nicht verschwunden, aber die besondere Gestalt desselben in der Justinianischen Gesetzgebung war hier schon völlig neu. Weit fühlbarer aber mußte jene Reception in Deutschland werden, wo das Römische Recht selbst ein ganz neues, bisher unbekanntes Rechtselement war: freylich den neu entstandenen Lebensverhältnissen angemessen, da es nur dadurch Eingang finden konnte. Gerade hier nun ging ein langer und lebhafter Widerstreit der entschiedenen Re- ception vorher, und dadurch wurde diese Einwirkung des Gewohnheitsrechts sowohl vorbereitet, als constatirt. -- Aber nicht blos die Aufnahme des Römischen Rechts an sich muß als entschiedener Einfluß des Gewohnheitsrechts unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern eben so und fast noch mehr die bestimmte Art und Begränzung, in welcher diese Aufnahme Statt fand (§ 17), indem daraus hervorgeht, daß dieselbe von einem klaren Bewußtseyn begleitet war, und nicht etwa als das Werk eines gedan- kenlosen Zufalls betrachtet werden darf. Auch darf diese in bestimmter Art vollzogene Aufnahme nicht als etwas Augenblickliches und sogleich völlig Abgeschlossenes betrachtet §. 18. Gewohnheitsrecht. Europa, ſo daß die daraus hervorgehende Neuerung desRechtszuſtandes in ſehr verſchiedenen Graden fühlbar wer- den mußte. In Italien war das Juſtinianiſche Recht niemals verſchwunden: neu war alſo hier nur theils deſſen Wiederbelebung, theils die eigenthümliche und beſtimmte Begränzung, in welcher es nunmehr anerkannt wurde. In Frankreich war zwar auch das Römiſche Recht nicht verſchwunden, aber die beſondere Geſtalt deſſelben in der Juſtinianiſchen Geſetzgebung war hier ſchon völlig neu. Weit fühlbarer aber mußte jene Reception in Deutſchland werden, wo das Römiſche Recht ſelbſt ein ganz neues, bisher unbekanntes Rechtselement war: freylich den neu entſtandenen Lebensverhältniſſen angemeſſen, da es nur dadurch Eingang finden konnte. Gerade hier nun ging ein langer und lebhafter Widerſtreit der entſchiedenen Re- ception vorher, und dadurch wurde dieſe Einwirkung des Gewohnheitsrechts ſowohl vorbereitet, als conſtatirt. — Aber nicht blos die Aufnahme des Römiſchen Rechts an ſich muß als entſchiedener Einfluß des Gewohnheitsrechts unſere ganze Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen, ſondern eben ſo und faſt noch mehr die beſtimmte Art und Begränzung, in welcher dieſe Aufnahme Statt fand (§ 17), indem daraus hervorgeht, daß dieſelbe von einem klaren Bewußtſeyn begleitet war, und nicht etwa als das Werk eines gedan- kenloſen Zufalls betrachtet werden darf. Auch darf dieſe in beſtimmter Art vollzogene Aufnahme nicht als etwas Augenblickliches und ſogleich völlig Abgeſchloſſenes betrachtet <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0135" n="79"/><fw place="top" type="header">§. 18. Gewohnheitsrecht.</fw><lb/> Europa, ſo daß die daraus hervorgehende Neuerung des<lb/> Rechtszuſtandes in ſehr verſchiedenen Graden fühlbar wer-<lb/> den mußte. In Italien war das Juſtinianiſche Recht<lb/> niemals verſchwunden: neu war alſo hier nur theils deſſen<lb/> Wiederbelebung, theils die eigenthümliche und beſtimmte<lb/> Begränzung, in welcher es nunmehr anerkannt wurde.<lb/> In Frankreich war zwar auch das Römiſche Recht nicht<lb/> verſchwunden, aber die beſondere Geſtalt deſſelben in der<lb/> Juſtinianiſchen Geſetzgebung war hier ſchon völlig neu.<lb/> Weit fühlbarer aber mußte jene Reception in Deutſchland<lb/> werden, wo das Römiſche Recht ſelbſt ein ganz neues,<lb/> bisher unbekanntes Rechtselement war: freylich den neu<lb/> entſtandenen Lebensverhältniſſen angemeſſen, da es nur<lb/> dadurch Eingang finden konnte. Gerade hier nun ging<lb/> ein langer und lebhafter Widerſtreit der entſchiedenen Re-<lb/> ception vorher, und dadurch wurde dieſe Einwirkung des<lb/> Gewohnheitsrechts ſowohl vorbereitet, als conſtatirt. —<lb/> Aber nicht blos die Aufnahme des Römiſchen Rechts an<lb/> ſich muß als entſchiedener Einfluß des Gewohnheitsrechts<lb/> unſere ganze Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen, ſondern eben<lb/> ſo und faſt noch mehr die beſtimmte Art und Begränzung,<lb/> in welcher dieſe Aufnahme Statt fand (§ 17), indem daraus<lb/> hervorgeht, daß dieſelbe von einem klaren Bewußtſeyn<lb/> begleitet war, und nicht etwa als das Werk eines gedan-<lb/> kenloſen Zufalls betrachtet werden darf. Auch darf dieſe<lb/> in beſtimmter Art vollzogene Aufnahme nicht als etwas<lb/> Augenblickliches und ſogleich völlig Abgeſchloſſenes betrachtet<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [79/0135]
§. 18. Gewohnheitsrecht.
Europa, ſo daß die daraus hervorgehende Neuerung des
Rechtszuſtandes in ſehr verſchiedenen Graden fühlbar wer-
den mußte. In Italien war das Juſtinianiſche Recht
niemals verſchwunden: neu war alſo hier nur theils deſſen
Wiederbelebung, theils die eigenthümliche und beſtimmte
Begränzung, in welcher es nunmehr anerkannt wurde.
In Frankreich war zwar auch das Römiſche Recht nicht
verſchwunden, aber die beſondere Geſtalt deſſelben in der
Juſtinianiſchen Geſetzgebung war hier ſchon völlig neu.
Weit fühlbarer aber mußte jene Reception in Deutſchland
werden, wo das Römiſche Recht ſelbſt ein ganz neues,
bisher unbekanntes Rechtselement war: freylich den neu
entſtandenen Lebensverhältniſſen angemeſſen, da es nur
dadurch Eingang finden konnte. Gerade hier nun ging
ein langer und lebhafter Widerſtreit der entſchiedenen Re-
ception vorher, und dadurch wurde dieſe Einwirkung des
Gewohnheitsrechts ſowohl vorbereitet, als conſtatirt. —
Aber nicht blos die Aufnahme des Römiſchen Rechts an
ſich muß als entſchiedener Einfluß des Gewohnheitsrechts
unſere ganze Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen, ſondern eben
ſo und faſt noch mehr die beſtimmte Art und Begränzung,
in welcher dieſe Aufnahme Statt fand (§ 17), indem daraus
hervorgeht, daß dieſelbe von einem klaren Bewußtſeyn
begleitet war, und nicht etwa als das Werk eines gedan-
kenloſen Zufalls betrachtet werden darf. Auch darf dieſe
in beſtimmter Art vollzogene Aufnahme nicht als etwas
Augenblickliches und ſogleich völlig Abgeſchloſſenes betrachtet
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |