Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. nur den falschen Schein eines praktischen Rechts: es istschlechte Theorie, die einer besseren Theorie jederzeit wei- chen muß (a). Eine kritische Scheidung dieser beiden Be- standtheile ist bisher nicht versucht worden, indem man sich meist begnügt hat, mit willkührlicher Auswahl die Zeugnisse einzelner Praktiker für oder wider die heutige Geltung irgend eines Rechtssatzes anzuführen. Im voraus eine allgemeine Regel für jene Scheidung aufzustellen, ist ganz unmöglich: vielmehr muß diese Arbeit vom Einzel- nen ausgehen, wobey es einstweilen dahin gestellt bleiben mag, wie weit sich die Kritik des Einzelnen in allgemei- nere Gesichtspuncte wird zusammen fassen lassen. Diese kritische Prüfung der Praxis im Einzelnen soll denn auch eine Hauptaufgabe des gegenwärtigen Werks seyn: eine Aufgabe, deren große Schwierigkeit der vielleicht sehr un- vollständigen Lösung zur Entschuldigung dienen wird. Von einer andern Seite angesehen, läßt sich dieselbe Aufgabe auch so ausdrücken: in dem Römischen Recht dasjenige zu scheiden, was schon abgestorben ist, von dem was noch fortlebt, und großentheils stets fortleben wird. -- Die Hauptbedingung zur Lösung dieser Aufgabe ist ein reiner, unbefangener Wahrheitssinn. Wer aus Vorliebe für das Römische Recht nur darauf ausgeht, dieses überall in seiner Reinheit wiederherzustellen, der ist dazu ungeschickt: (a) Als erläuterndes Beyspiel
für diesen Fall kann das Sum- mariissimum dienen, so wie es in der neueren Praxis nicht sel- ten erscheint. Vgl. Savigny Recht des Besitzes § 51 der sechs- ten Ausgabe. Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. nur den falſchen Schein eines praktiſchen Rechts: es iſtſchlechte Theorie, die einer beſſeren Theorie jederzeit wei- chen muß (a). Eine kritiſche Scheidung dieſer beiden Be- ſtandtheile iſt bisher nicht verſucht worden, indem man ſich meiſt begnügt hat, mit willkührlicher Auswahl die Zeugniſſe einzelner Praktiker für oder wider die heutige Geltung irgend eines Rechtsſatzes anzuführen. Im voraus eine allgemeine Regel für jene Scheidung aufzuſtellen, iſt ganz unmöglich: vielmehr muß dieſe Arbeit vom Einzel- nen ausgehen, wobey es einſtweilen dahin geſtellt bleiben mag, wie weit ſich die Kritik des Einzelnen in allgemei- nere Geſichtspuncte wird zuſammen faſſen laſſen. Dieſe kritiſche Prüfung der Praxis im Einzelnen ſoll denn auch eine Hauptaufgabe des gegenwärtigen Werks ſeyn: eine Aufgabe, deren große Schwierigkeit der vielleicht ſehr un- vollſtändigen Löſung zur Entſchuldigung dienen wird. Von einer andern Seite angeſehen, läßt ſich dieſelbe Aufgabe auch ſo ausdrücken: in dem Römiſchen Recht dasjenige zu ſcheiden, was ſchon abgeſtorben iſt, von dem was noch fortlebt, und großentheils ſtets fortleben wird. — Die Hauptbedingung zur Löſung dieſer Aufgabe iſt ein reiner, unbefangener Wahrheitsſinn. Wer aus Vorliebe für das Römiſche Recht nur darauf ausgeht, dieſes überall in ſeiner Reinheit wiederherzuſtellen, der iſt dazu ungeſchickt: (a) Als erläuterndes Beyſpiel
für dieſen Fall kann das Sum- mariissimum dienen, ſo wie es in der neueren Praxis nicht ſel- ten erſcheint. Vgl. Savigny Recht des Beſitzes § 51 der ſechs- ten Ausgabe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0150" n="94"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/> nur den falſchen Schein eines praktiſchen Rechts: es iſt<lb/> ſchlechte Theorie, die einer beſſeren Theorie jederzeit wei-<lb/> chen muß <note place="foot" n="(a)">Als erläuterndes Beyſpiel<lb/> für dieſen Fall kann das <hi rendition="#aq">Sum-<lb/> mariissimum</hi> dienen, ſo wie es<lb/> in der neueren Praxis nicht ſel-<lb/> ten erſcheint. Vgl. <hi rendition="#g">Savigny</hi><lb/> Recht des Beſitzes § 51 der ſechs-<lb/> ten Ausgabe.</note>. Eine kritiſche Scheidung dieſer beiden Be-<lb/> ſtandtheile iſt bisher nicht verſucht worden, indem man<lb/> ſich meiſt begnügt hat, mit willkührlicher Auswahl die<lb/> Zeugniſſe einzelner Praktiker für oder wider die heutige<lb/> Geltung irgend eines Rechtsſatzes anzuführen. Im voraus<lb/> eine allgemeine Regel für jene Scheidung aufzuſtellen, iſt<lb/> ganz unmöglich: vielmehr muß dieſe Arbeit vom Einzel-<lb/> nen ausgehen, wobey es einſtweilen dahin geſtellt bleiben<lb/> mag, wie weit ſich die Kritik des Einzelnen in allgemei-<lb/> nere Geſichtspuncte wird zuſammen faſſen laſſen. Dieſe<lb/> kritiſche Prüfung der Praxis im Einzelnen ſoll denn auch<lb/> eine Hauptaufgabe des gegenwärtigen Werks ſeyn: eine<lb/> Aufgabe, deren große Schwierigkeit der vielleicht ſehr un-<lb/> vollſtändigen Löſung zur Entſchuldigung dienen wird. Von<lb/> einer andern Seite angeſehen, läßt ſich dieſelbe Aufgabe<lb/> auch ſo ausdrücken: in dem Römiſchen Recht dasjenige<lb/> zu ſcheiden, was ſchon abgeſtorben iſt, von dem was noch<lb/> fortlebt, und großentheils ſtets fortleben wird. — Die<lb/> Hauptbedingung zur Löſung dieſer Aufgabe iſt ein reiner,<lb/> unbefangener Wahrheitsſinn. Wer aus Vorliebe für das<lb/> Römiſche Recht nur darauf ausgeht, dieſes überall in<lb/> ſeiner Reinheit wiederherzuſtellen, der iſt dazu ungeſchickt:<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0150]
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
nur den falſchen Schein eines praktiſchen Rechts: es iſt
ſchlechte Theorie, die einer beſſeren Theorie jederzeit wei-
chen muß (a). Eine kritiſche Scheidung dieſer beiden Be-
ſtandtheile iſt bisher nicht verſucht worden, indem man
ſich meiſt begnügt hat, mit willkührlicher Auswahl die
Zeugniſſe einzelner Praktiker für oder wider die heutige
Geltung irgend eines Rechtsſatzes anzuführen. Im voraus
eine allgemeine Regel für jene Scheidung aufzuſtellen, iſt
ganz unmöglich: vielmehr muß dieſe Arbeit vom Einzel-
nen ausgehen, wobey es einſtweilen dahin geſtellt bleiben
mag, wie weit ſich die Kritik des Einzelnen in allgemei-
nere Geſichtspuncte wird zuſammen faſſen laſſen. Dieſe
kritiſche Prüfung der Praxis im Einzelnen ſoll denn auch
eine Hauptaufgabe des gegenwärtigen Werks ſeyn: eine
Aufgabe, deren große Schwierigkeit der vielleicht ſehr un-
vollſtändigen Löſung zur Entſchuldigung dienen wird. Von
einer andern Seite angeſehen, läßt ſich dieſelbe Aufgabe
auch ſo ausdrücken: in dem Römiſchen Recht dasjenige
zu ſcheiden, was ſchon abgeſtorben iſt, von dem was noch
fortlebt, und großentheils ſtets fortleben wird. — Die
Hauptbedingung zur Löſung dieſer Aufgabe iſt ein reiner,
unbefangener Wahrheitsſinn. Wer aus Vorliebe für das
Römiſche Recht nur darauf ausgeht, dieſes überall in
ſeiner Reinheit wiederherzuſtellen, der iſt dazu ungeſchickt:
(a) Als erläuterndes Beyſpiel
für dieſen Fall kann das Sum-
mariissimum dienen, ſo wie es
in der neueren Praxis nicht ſel-
ten erſcheint. Vgl. Savigny
Recht des Beſitzes § 51 der ſechs-
ten Ausgabe.
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