Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 26. Aussprüche der Römer über das wissenschaftliche Recht. die, als tief in der menschlichen Natur gegründet, in allengeistigen Gebieten, und besonders im religiösen, stets wie- derkehrt: indem wir glauben, diejenige Verkörperung des Gedankens, die wir durch redliche Anstrengung unsrer eigenen Kraft hervorgebracht haben, Anderen als aus- schließend gültig aufstellen zu dürfen, den Irrthum für immer bannend, freylich aber zugleich die Freyheit des Geistes. Eine solche juristische Concordienformel stellte Justinian auf, und Niemand sollte wagen, den Frieden zu stören, den sie zu bringen bestimmt war. Wollen wir ihn darüber hart beurtheilen? Unser Gesichtskreis ist durch die Erfahrungen von Ein bis Zwey Tausend Jah- ren mehr erweitert, und doch wohnt das Wesentliche jener Gedanken Justinians noch jetzt in denen, die von der Ab- fassung neuer Gesetzbücher so schwärmerische Hoffnungen hegen: freylich ohne die Macht, und gewiß auch ohne den Willen, ihre Gedanken durch so harten Zwang, wie es Justinian versuchte, zur Ausführung zu bringen. Diese Betrachtungen sollen nicht etwa das Verfahren 11
§. 26. Ausſprüche der Römer über das wiſſenſchaftliche Recht. die, als tief in der menſchlichen Natur gegründet, in allengeiſtigen Gebieten, und beſonders im religiöſen, ſtets wie- derkehrt: indem wir glauben, diejenige Verkörperung des Gedankens, die wir durch redliche Anſtrengung unſrer eigenen Kraft hervorgebracht haben, Anderen als aus- ſchließend gültig aufſtellen zu dürfen, den Irrthum für immer bannend, freylich aber zugleich die Freyheit des Geiſtes. Eine ſolche juriſtiſche Concordienformel ſtellte Juſtinian auf, und Niemand ſollte wagen, den Frieden zu ſtören, den ſie zu bringen beſtimmt war. Wollen wir ihn darüber hart beurtheilen? Unſer Geſichtskreis iſt durch die Erfahrungen von Ein bis Zwey Tauſend Jah- ren mehr erweitert, und doch wohnt das Weſentliche jener Gedanken Juſtinians noch jetzt in denen, die von der Ab- faſſung neuer Geſetzbücher ſo ſchwärmeriſche Hoffnungen hegen: freylich ohne die Macht, und gewiß auch ohne den Willen, ihre Gedanken durch ſo harten Zwang, wie es Juſtinian verſuchte, zur Ausführung zu bringen. Dieſe Betrachtungen ſollen nicht etwa das Verfahren 11
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§. 26. Ausſprüche der Römer über das wiſſenſchaftliche Recht.
die, als tief in der menſchlichen Natur gegründet, in allen
geiſtigen Gebieten, und beſonders im religiöſen, ſtets wie-
derkehrt: indem wir glauben, diejenige Verkörperung des
Gedankens, die wir durch redliche Anſtrengung unſrer
eigenen Kraft hervorgebracht haben, Anderen als aus-
ſchließend gültig aufſtellen zu dürfen, den Irrthum für
immer bannend, freylich aber zugleich die Freyheit des
Geiſtes. Eine ſolche juriſtiſche Concordienformel ſtellte
Juſtinian auf, und Niemand ſollte wagen, den Frieden
zu ſtören, den ſie zu bringen beſtimmt war. Wollen wir
ihn darüber hart beurtheilen? Unſer Geſichtskreis iſt
durch die Erfahrungen von Ein bis Zwey Tauſend Jah-
ren mehr erweitert, und doch wohnt das Weſentliche jener
Gedanken Juſtinians noch jetzt in denen, die von der Ab-
faſſung neuer Geſetzbücher ſo ſchwärmeriſche Hoffnungen
hegen: freylich ohne die Macht, und gewiß auch ohne den
Willen, ihre Gedanken durch ſo harten Zwang, wie es
Juſtinian verſuchte, zur Ausführung zu bringen.
Dieſe Betrachtungen ſollen nicht etwa das Verfahren
Juſtinians rechtfertigen, wozu ich gewiß nicht geneigt bin,
ſondern nur in einem milderen Lichte darſtellen, vorzüglich
aber inſoweit begreiflich machen, daß die Thatſache, von
deren Darſtellung an dieſer Stelle zunächſt die Rede iſt,
als buchſtäblich wahr angenommen, und gegen jede künſt-
liche oder gewaltſame Deutung geſchützt werde.
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