Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Zeitalter seinen Anspruch auf Fortbildung des Rechts durch innere Kraft eben so geltend machen könnte, wie es in jener früheren Zeit geschehen war. Man pflegt sich dann unwillkührlich unser Verhältniß zu jener früheren Zeit in ähnlicher Weise zu denken, wie es durch Valenti- nian III. zu seiner Vorzeit wirklich festgestellt war. Allein diese Feststellung war eine völlig positive, die sich in keiner Zeit von selbst verstehen kann: ganz besonders aber hatte sie einen inneren Grund in dem wirklichen Absterben der Rechtswissenschaft, wie des geistigen Lebens überhaupt, anstatt daß unserer Zeit, wie man auch sonst von ihr denken mag, eine große Regsamkeit gewiß nicht abzu- sprechen ist.
Bey dem Gewohnheitsrecht würde eine so summa- rische Übersicht der herrschenden neueren Meynungen nicht genügen. Ich habe vielmehr die genauere Darstellung meiner eigenen Meynung über unser praktisches Gewohn- heitsrecht (§ 18) bis an diesen Ort aufgeschoben, weil sie nur in Verbindung mit den anderwärts herrschenden Mey- nungen verständlich werden kann.
Nach der herrschenden Ansicht ist das Gewohnheits- recht eine nicht natürliche Art der Rechtserzeugung, die also, um anerkannt zu werden, einer ganz besonderen Rechtfertigung bedarf. Diese soll in Republiken in dem Umstand liegen, daß derselbe populus (§ 10), der in einer bestimmten Weise gleichförmig handelt, zugleich auch der Träger der gesetzgebenden Gewalt ist. Darum führt also
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Zeitalter ſeinen Anſpruch auf Fortbildung des Rechts durch innere Kraft eben ſo geltend machen könnte, wie es in jener früheren Zeit geſchehen war. Man pflegt ſich dann unwillkührlich unſer Verhältniß zu jener früheren Zeit in ähnlicher Weiſe zu denken, wie es durch Valenti- nian III. zu ſeiner Vorzeit wirklich feſtgeſtellt war. Allein dieſe Feſtſtellung war eine völlig poſitive, die ſich in keiner Zeit von ſelbſt verſtehen kann: ganz beſonders aber hatte ſie einen inneren Grund in dem wirklichen Abſterben der Rechtswiſſenſchaft, wie des geiſtigen Lebens überhaupt, anſtatt daß unſerer Zeit, wie man auch ſonſt von ihr denken mag, eine große Regſamkeit gewiß nicht abzu- ſprechen iſt.
Bey dem Gewohnheitsrecht würde eine ſo ſumma- riſche Überſicht der herrſchenden neueren Meynungen nicht genügen. Ich habe vielmehr die genauere Darſtellung meiner eigenen Meynung über unſer praktiſches Gewohn- heitsrecht (§ 18) bis an dieſen Ort aufgeſchoben, weil ſie nur in Verbindung mit den anderwärts herrſchenden Mey- nungen verſtändlich werden kann.
Nach der herrſchenden Anſicht iſt das Gewohnheits- recht eine nicht natürliche Art der Rechtserzeugung, die alſo, um anerkannt zu werden, einer ganz beſonderen Rechtfertigung bedarf. Dieſe ſoll in Republiken in dem Umſtand liegen, daß derſelbe populus (§ 10), der in einer beſtimmten Weiſe gleichförmig handelt, zugleich auch der Träger der geſetzgebenden Gewalt iſt. Darum führt alſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0224"n="168"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hirendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/>
Zeitalter ſeinen Anſpruch auf Fortbildung des Rechts<lb/>
durch innere Kraft eben ſo geltend machen könnte, wie es<lb/>
in jener früheren Zeit geſchehen war. Man pflegt ſich<lb/>
dann unwillkührlich unſer Verhältniß zu jener früheren<lb/>
Zeit in ähnlicher Weiſe zu denken, wie es durch Valenti-<lb/>
nian <hirendition="#aq">III.</hi> zu ſeiner Vorzeit wirklich feſtgeſtellt war. Allein<lb/>
dieſe Feſtſtellung war eine völlig poſitive, die ſich in keiner<lb/>
Zeit von ſelbſt verſtehen kann: ganz beſonders aber hatte<lb/>ſie einen inneren Grund in dem wirklichen Abſterben der<lb/>
Rechtswiſſenſchaft, wie des geiſtigen Lebens überhaupt,<lb/>
anſtatt daß unſerer Zeit, wie man auch ſonſt von ihr<lb/>
denken mag, eine große Regſamkeit gewiß nicht abzu-<lb/>ſprechen iſt.</p><lb/><p>Bey dem <hirendition="#g">Gewohnheitsrecht</hi> würde eine ſo ſumma-<lb/>
riſche Überſicht der herrſchenden neueren Meynungen nicht<lb/>
genügen. Ich habe vielmehr die genauere Darſtellung<lb/>
meiner eigenen Meynung über unſer praktiſches Gewohn-<lb/>
heitsrecht (§ 18) bis an dieſen Ort aufgeſchoben, weil ſie<lb/>
nur in Verbindung mit den anderwärts herrſchenden Mey-<lb/>
nungen verſtändlich werden kann.</p><lb/><p>Nach der herrſchenden Anſicht iſt das Gewohnheits-<lb/>
recht eine nicht natürliche Art der Rechtserzeugung, die<lb/>
alſo, um anerkannt zu werden, einer ganz beſonderen<lb/>
Rechtfertigung bedarf. Dieſe ſoll in Republiken in dem<lb/>
Umſtand liegen, daß derſelbe <hirendition="#aq">populus</hi> (§ 10), der in einer<lb/>
beſtimmten Weiſe gleichförmig handelt, zugleich auch der<lb/>
Träger der geſetzgebenden Gewalt iſt. Darum führt alſo<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[168/0224]
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Zeitalter ſeinen Anſpruch auf Fortbildung des Rechts
durch innere Kraft eben ſo geltend machen könnte, wie es
in jener früheren Zeit geſchehen war. Man pflegt ſich
dann unwillkührlich unſer Verhältniß zu jener früheren
Zeit in ähnlicher Weiſe zu denken, wie es durch Valenti-
nian III. zu ſeiner Vorzeit wirklich feſtgeſtellt war. Allein
dieſe Feſtſtellung war eine völlig poſitive, die ſich in keiner
Zeit von ſelbſt verſtehen kann: ganz beſonders aber hatte
ſie einen inneren Grund in dem wirklichen Abſterben der
Rechtswiſſenſchaft, wie des geiſtigen Lebens überhaupt,
anſtatt daß unſerer Zeit, wie man auch ſonſt von ihr
denken mag, eine große Regſamkeit gewiß nicht abzu-
ſprechen iſt.
Bey dem Gewohnheitsrecht würde eine ſo ſumma-
riſche Überſicht der herrſchenden neueren Meynungen nicht
genügen. Ich habe vielmehr die genauere Darſtellung
meiner eigenen Meynung über unſer praktiſches Gewohn-
heitsrecht (§ 18) bis an dieſen Ort aufgeſchoben, weil ſie
nur in Verbindung mit den anderwärts herrſchenden Mey-
nungen verſtändlich werden kann.
Nach der herrſchenden Anſicht iſt das Gewohnheits-
recht eine nicht natürliche Art der Rechtserzeugung, die
alſo, um anerkannt zu werden, einer ganz beſonderen
Rechtfertigung bedarf. Dieſe ſoll in Republiken in dem
Umſtand liegen, daß derſelbe populus (§ 10), der in einer
beſtimmten Weiſe gleichförmig handelt, zugleich auch der
Träger der geſetzgebenden Gewalt iſt. Darum führt alſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/224>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.