Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 28. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. jede Gewohnheit immer und nothwendig mit sich die still-schweigende Einwilligung des Gesetzgebers in die geübte einzelne Regel (consensus tacitus specialis), und jede Ge- wohnheit erscheint daher in einer Republik als stillschwei- gendes Gesetz. Anders in unseren Monarchien, wo das Volk, das die Gewohnheit äußert, ohne gesetzgebende Ge- walt ist, und der Fürst, der die gesetzgebende Gewalt hat, an der Gewohnheit keinen Theil nimmt. Auch die con- stitutionelle Monarchie macht hierin keinen wesentlichen Unterschied, da vielleicht kein einziges Mitglied der Kam- mern je an der Gewohnheit Theil genommen hat, auch die Kammern allein, ohne den Fürsten, niemals das Ge- setz machen. Hier erscheint also das Gewohnheitsrecht als eine Art von Opposition der Unterthanen gegen die Re- gierung, als Anmaßung eines Zweigs der höchsten Gewalt, und ein so gefährliches Unternehmen bedarf einer beson- ders vorsichtigen Rechtfertigung. Diese konnte nur gesucht werden in der Einwilligung des Gesetzgebers, die aber nicht, wie in der Republik, in der Gewohnheit selbst schon enthalten war, sondern von außen hinzugethan werden mußte. In den Ländern, worin Römisches Recht gilt, macht das keine Schwierigkeit, denn das Römische Recht sagt ja ganz deutlich, das Gewohnheitsrecht solle befolgt werden. Darin liegt also der consensus generalis expres- sus des Gesetzgebers in alle künftige Gewohnheiten. Nur wenn die Gewohnheit ein Gesetz abschaffen sollte, schien die L. 2 C. quae sit longa consuetudo noch eine andere §. 28. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. jede Gewohnheit immer und nothwendig mit ſich die ſtill-ſchweigende Einwilligung des Geſetzgebers in die geübte einzelne Regel (consensus tacitus specialis), und jede Ge- wohnheit erſcheint daher in einer Republik als ſtillſchwei- gendes Geſetz. Anders in unſeren Monarchien, wo das Volk, das die Gewohnheit äußert, ohne geſetzgebende Ge- walt iſt, und der Fürſt, der die geſetzgebende Gewalt hat, an der Gewohnheit keinen Theil nimmt. Auch die con- ſtitutionelle Monarchie macht hierin keinen weſentlichen Unterſchied, da vielleicht kein einziges Mitglied der Kam- mern je an der Gewohnheit Theil genommen hat, auch die Kammern allein, ohne den Fürſten, niemals das Ge- ſetz machen. Hier erſcheint alſo das Gewohnheitsrecht als eine Art von Oppoſition der Unterthanen gegen die Re- gierung, als Anmaßung eines Zweigs der höchſten Gewalt, und ein ſo gefährliches Unternehmen bedarf einer beſon- ders vorſichtigen Rechtfertigung. Dieſe konnte nur geſucht werden in der Einwilligung des Geſetzgebers, die aber nicht, wie in der Republik, in der Gewohnheit ſelbſt ſchon enthalten war, ſondern von außen hinzugethan werden mußte. In den Ländern, worin Römiſches Recht gilt, macht das keine Schwierigkeit, denn das Römiſche Recht ſagt ja ganz deutlich, das Gewohnheitsrecht ſolle befolgt werden. Darin liegt alſo der consensus generalis expres- sus des Geſetzgebers in alle künftige Gewohnheiten. Nur wenn die Gewohnheit ein Geſetz abſchaffen ſollte, ſchien die L. 2 C. quae sit longa consuetudo noch eine andere <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0225" n="169"/><fw place="top" type="header">§. 28. 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§. 28. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen.
jede Gewohnheit immer und nothwendig mit ſich die ſtill-
ſchweigende Einwilligung des Geſetzgebers in die geübte
einzelne Regel (consensus tacitus specialis), und jede Ge-
wohnheit erſcheint daher in einer Republik als ſtillſchwei-
gendes Geſetz. Anders in unſeren Monarchien, wo das
Volk, das die Gewohnheit äußert, ohne geſetzgebende Ge-
walt iſt, und der Fürſt, der die geſetzgebende Gewalt hat,
an der Gewohnheit keinen Theil nimmt. Auch die con-
ſtitutionelle Monarchie macht hierin keinen weſentlichen
Unterſchied, da vielleicht kein einziges Mitglied der Kam-
mern je an der Gewohnheit Theil genommen hat, auch
die Kammern allein, ohne den Fürſten, niemals das Ge-
ſetz machen. Hier erſcheint alſo das Gewohnheitsrecht als
eine Art von Oppoſition der Unterthanen gegen die Re-
gierung, als Anmaßung eines Zweigs der höchſten Gewalt,
und ein ſo gefährliches Unternehmen bedarf einer beſon-
ders vorſichtigen Rechtfertigung. Dieſe konnte nur geſucht
werden in der Einwilligung des Geſetzgebers, die aber
nicht, wie in der Republik, in der Gewohnheit ſelbſt ſchon
enthalten war, ſondern von außen hinzugethan werden
mußte. In den Ländern, worin Römiſches Recht gilt,
macht das keine Schwierigkeit, denn das Römiſche Recht
ſagt ja ganz deutlich, das Gewohnheitsrecht ſolle befolgt
werden. Darin liegt alſo der consensus generalis expres-
sus des Geſetzgebers in alle künftige Gewohnheiten. Nur
wenn die Gewohnheit ein Geſetz abſchaffen ſollte, ſchien
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