Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
das Daseyn jener Regel in dem gemeinsamen Rechtsbe-
wußtseyn nicht erkennen.

5) Vornahme der Handlung in dem Gefühl rechtlicher
Nothwendigkeit (necessitatis opinio). Wenn also Viele,
auf dieselbe Weise, und längere Zeit hindurch, bloße Frey-
gebigkeit geübt haben, so kann daraus nie ein Gewohn-
heitsrecht entstehen, weil die Geber wie die Empfänger
stets einsahen, daß die Handlung willkührlich sey, und
eben so auch unterbleiben oder anders eingerichtet werden
könnte. -- Diese Bedingung ist unter allen die wichtigste,
und ihre Bedeutung wird in Verbindung mit den gleich
folgenden noch bestimmter hervortreten. Die Stellen des
Römischen Rechts, worin sie ausdrücklich anerkannt wird,
sind schon oben (§ 25 Note d.) angegeben worden. Aus
diesem Grund eignen sich vorzugsweise richterliche Urtheile
zur Erkenntniß eines Gewohnheitsrechts, indem sie nur
aus der Rechtsüberzeugung des Richters, nicht aus Will-
kühr, hervorgehen können. Weniger die Verträge, wel-
chen stets ein willkührliches Element inwohnt. Dennoch
können auch sie als Erkenntnißmittel eines Gewohnheits-
rechts dienen, insofern sie eine Rechtsregel entweder als
wahr voraussetzen, oder blos bestätigend in sich auf-
nehmen (e).

6) Die Handlungen sollen nicht auf Irrthum beruhen.
Diese Bedingung hatte eine ausdrückliche Anerkennung des
Römischen Rechts für sich (f), aber man verwickelte sich

(e) Puchta II. S. 33 fg.
(f) S. u. Note l.

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
das Daſeyn jener Regel in dem gemeinſamen Rechtsbe-
wußtſeyn nicht erkennen.

5) Vornahme der Handlung in dem Gefühl rechtlicher
Nothwendigkeit (necessitatis opinio). Wenn alſo Viele,
auf dieſelbe Weiſe, und längere Zeit hindurch, bloße Frey-
gebigkeit geübt haben, ſo kann daraus nie ein Gewohn-
heitsrecht entſtehen, weil die Geber wie die Empfänger
ſtets einſahen, daß die Handlung willkührlich ſey, und
eben ſo auch unterbleiben oder anders eingerichtet werden
könnte. — Dieſe Bedingung iſt unter allen die wichtigſte,
und ihre Bedeutung wird in Verbindung mit den gleich
folgenden noch beſtimmter hervortreten. Die Stellen des
Römiſchen Rechts, worin ſie ausdrücklich anerkannt wird,
ſind ſchon oben (§ 25 Note d.) angegeben worden. Aus
dieſem Grund eignen ſich vorzugsweiſe richterliche Urtheile
zur Erkenntniß eines Gewohnheitsrechts, indem ſie nur
aus der Rechtsüberzeugung des Richters, nicht aus Will-
kühr, hervorgehen können. Weniger die Verträge, wel-
chen ſtets ein willkührliches Element inwohnt. Dennoch
können auch ſie als Erkenntnißmittel eines Gewohnheits-
rechts dienen, inſofern ſie eine Rechtsregel entweder als
wahr vorausſetzen, oder blos beſtätigend in ſich auf-
nehmen (e).

6) Die Handlungen ſollen nicht auf Irrthum beruhen.
Dieſe Bedingung hatte eine ausdrückliche Anerkennung des
Römiſchen Rechts für ſich (f), aber man verwickelte ſich

(e) Puchta II. S. 33 fg.
(f) S. u. Note l.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0230" n="174"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/>
das Da&#x017F;eyn jener Regel in dem gemein&#x017F;amen Rechtsbe-<lb/>
wußt&#x017F;eyn nicht erkennen.</p><lb/>
            <p>5) Vornahme der Handlung in dem Gefühl rechtlicher<lb/>
Nothwendigkeit (<hi rendition="#aq">necessitatis opinio</hi>). Wenn al&#x017F;o Viele,<lb/>
auf die&#x017F;elbe Wei&#x017F;e, und längere Zeit hindurch, bloße Frey-<lb/>
gebigkeit geübt haben, &#x017F;o kann daraus nie ein Gewohn-<lb/>
heitsrecht ent&#x017F;tehen, weil die Geber wie die Empfänger<lb/>
&#x017F;tets ein&#x017F;ahen, daß die Handlung willkührlich &#x017F;ey, und<lb/>
eben &#x017F;o auch unterbleiben oder anders eingerichtet werden<lb/>
könnte. &#x2014; Die&#x017F;e Bedingung i&#x017F;t unter allen die wichtig&#x017F;te,<lb/>
und ihre Bedeutung wird in Verbindung mit den gleich<lb/>
folgenden noch be&#x017F;timmter hervortreten. Die Stellen des<lb/>
Römi&#x017F;chen Rechts, worin &#x017F;ie ausdrücklich anerkannt wird,<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;chon oben (§ 25 Note <hi rendition="#aq">d.</hi>) angegeben worden. Aus<lb/>
die&#x017F;em Grund eignen &#x017F;ich vorzugswei&#x017F;e richterliche Urtheile<lb/>
zur Erkenntniß eines Gewohnheitsrechts, indem &#x017F;ie nur<lb/>
aus der Rechtsüberzeugung des Richters, nicht aus Will-<lb/>
kühr, hervorgehen können. Weniger die Verträge, wel-<lb/>
chen &#x017F;tets ein willkührliches Element inwohnt. Dennoch<lb/>
können auch &#x017F;ie als Erkenntnißmittel eines Gewohnheits-<lb/>
rechts dienen, in&#x017F;ofern &#x017F;ie eine Rechtsregel entweder als<lb/>
wahr voraus&#x017F;etzen, oder blos be&#x017F;tätigend in &#x017F;ich auf-<lb/>
nehmen <note place="foot" n="(e)"><hi rendition="#g">Puchta</hi><hi rendition="#aq">II.</hi> S. 33 fg.</note>.</p><lb/>
            <p>6) Die Handlungen &#x017F;ollen nicht auf Irrthum beruhen.<lb/>
Die&#x017F;e Bedingung hatte eine ausdrückliche Anerkennung des<lb/>
Römi&#x017F;chen Rechts für &#x017F;ich <note place="foot" n="(f)">S. u. Note <hi rendition="#aq">l.</hi></note>, aber man verwickelte &#x017F;ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0230] Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. das Daſeyn jener Regel in dem gemeinſamen Rechtsbe- wußtſeyn nicht erkennen. 5) Vornahme der Handlung in dem Gefühl rechtlicher Nothwendigkeit (necessitatis opinio). Wenn alſo Viele, auf dieſelbe Weiſe, und längere Zeit hindurch, bloße Frey- gebigkeit geübt haben, ſo kann daraus nie ein Gewohn- heitsrecht entſtehen, weil die Geber wie die Empfänger ſtets einſahen, daß die Handlung willkührlich ſey, und eben ſo auch unterbleiben oder anders eingerichtet werden könnte. — Dieſe Bedingung iſt unter allen die wichtigſte, und ihre Bedeutung wird in Verbindung mit den gleich folgenden noch beſtimmter hervortreten. Die Stellen des Römiſchen Rechts, worin ſie ausdrücklich anerkannt wird, ſind ſchon oben (§ 25 Note d.) angegeben worden. Aus dieſem Grund eignen ſich vorzugsweiſe richterliche Urtheile zur Erkenntniß eines Gewohnheitsrechts, indem ſie nur aus der Rechtsüberzeugung des Richters, nicht aus Will- kühr, hervorgehen können. Weniger die Verträge, wel- chen ſtets ein willkührliches Element inwohnt. Dennoch können auch ſie als Erkenntnißmittel eines Gewohnheits- rechts dienen, inſofern ſie eine Rechtsregel entweder als wahr vorausſetzen, oder blos beſtätigend in ſich auf- nehmen (e). 6) Die Handlungen ſollen nicht auf Irrthum beruhen. Dieſe Bedingung hatte eine ausdrückliche Anerkennung des Römiſchen Rechts für ſich (f), aber man verwickelte ſich (e) Puchta II. S. 33 fg. (f) S. u. Note l.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/230
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/230>, abgerufen am 20.05.2024.