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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
unmittelbare, da das Wesen jenes Rechts eben auf
dem gemeinsamen Rechtsbewußtseyn dieser Mitglieder be-
ruht. Insofern kann man sagen, daß jedes Gewohnheits-
recht auf Notorietät beruht (b). Man wende nicht ein,
daß dieses zu viel beweise, indem nun niemals über ein
Gewohnheitsrecht gestritten und Beweis verlangt werden
könne. Alles kommt darauf an, für wen und in welchem
Kreise Etwas notorisch ist. Nichts ist notorischer in jedem
Volk, als seine gesammte Sprache; und doch wird der
Fremde, der ein Land betritt, von dieser Sprache viel-
leicht kein Wort verstehen. Eben so ist es mit dem Ge-
wohnheitsrecht für Diejenigen, die außer dem Kreise jenes
gemeinsamen Rechtsbewußtseyns stehen, und deren Erkennt-
niß des Gewohnheitsrechts daher nur eine mittelbare
oder künstliche seyn kann. Nur dürfen wir dabey nicht
blos an Fremdlinge denken, denn es gehören dahin gewiß
auch alle Unmündige, und für viele Rechtssätze auch die
Frauen. Also auch innerhalb des Volks, in welchem das
Gewohnheitsrecht besteht, müssen wir die Wissenden oder
Kundigen von denjenigen unterscheiden, die an dem gemein-
samen Rechtsbewußtseyn nicht wirklichen Antheil nehmen,
deren Rechtsverhältnisse aber nicht minder unter dem Ge-
wohnheitsrecht stehen. Ja die Anzahl dieser Kundigen
wird sehr verschieden seyn können je nach dem Inhalt

(b) L. 36 de leg. (1. 3.)
"Immo magnae auctoritatis hoc
jus habetur, quod in tantum
probatum est, ut non fuerit
necesse scripto id comprehen-
dere."

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
unmittelbare, da das Weſen jenes Rechts eben auf
dem gemeinſamen Rechtsbewußtſeyn dieſer Mitglieder be-
ruht. Inſofern kann man ſagen, daß jedes Gewohnheits-
recht auf Notorietät beruht (b). Man wende nicht ein,
daß dieſes zu viel beweiſe, indem nun niemals über ein
Gewohnheitsrecht geſtritten und Beweis verlangt werden
könne. Alles kommt darauf an, für wen und in welchem
Kreiſe Etwas notoriſch iſt. Nichts iſt notoriſcher in jedem
Volk, als ſeine geſammte Sprache; und doch wird der
Fremde, der ein Land betritt, von dieſer Sprache viel-
leicht kein Wort verſtehen. Eben ſo iſt es mit dem Ge-
wohnheitsrecht für Diejenigen, die außer dem Kreiſe jenes
gemeinſamen Rechtsbewußtſeyns ſtehen, und deren Erkennt-
niß des Gewohnheitsrechts daher nur eine mittelbare
oder künſtliche ſeyn kann. Nur dürfen wir dabey nicht
blos an Fremdlinge denken, denn es gehören dahin gewiß
auch alle Unmündige, und für viele Rechtsſätze auch die
Frauen. Alſo auch innerhalb des Volks, in welchem das
Gewohnheitsrecht beſteht, müſſen wir die Wiſſenden oder
Kundigen von denjenigen unterſcheiden, die an dem gemein-
ſamen Rechtsbewußtſeyn nicht wirklichen Antheil nehmen,
deren Rechtsverhältniſſe aber nicht minder unter dem Ge-
wohnheitsrecht ſtehen. Ja die Anzahl dieſer Kundigen
wird ſehr verſchieden ſeyn können je nach dem Inhalt

(b) L. 36 de leg. (1. 3.)
„Immo magnae auctoritatis hoc
jus habetur, quod in tantum
probatum est, ut non fuerit
necesse scripto id comprehen-
dere.”
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[182/0238] Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. unmittelbare, da das Weſen jenes Rechts eben auf dem gemeinſamen Rechtsbewußtſeyn dieſer Mitglieder be- ruht. Inſofern kann man ſagen, daß jedes Gewohnheits- recht auf Notorietät beruht (b). Man wende nicht ein, daß dieſes zu viel beweiſe, indem nun niemals über ein Gewohnheitsrecht geſtritten und Beweis verlangt werden könne. Alles kommt darauf an, für wen und in welchem Kreiſe Etwas notoriſch iſt. Nichts iſt notoriſcher in jedem Volk, als ſeine geſammte Sprache; und doch wird der Fremde, der ein Land betritt, von dieſer Sprache viel- leicht kein Wort verſtehen. Eben ſo iſt es mit dem Ge- wohnheitsrecht für Diejenigen, die außer dem Kreiſe jenes gemeinſamen Rechtsbewußtſeyns ſtehen, und deren Erkennt- niß des Gewohnheitsrechts daher nur eine mittelbare oder künſtliche ſeyn kann. Nur dürfen wir dabey nicht blos an Fremdlinge denken, denn es gehören dahin gewiß auch alle Unmündige, und für viele Rechtsſätze auch die Frauen. Alſo auch innerhalb des Volks, in welchem das Gewohnheitsrecht beſteht, müſſen wir die Wiſſenden oder Kundigen von denjenigen unterſcheiden, die an dem gemein- ſamen Rechtsbewußtſeyn nicht wirklichen Antheil nehmen, deren Rechtsverhältniſſe aber nicht minder unter dem Ge- wohnheitsrecht ſtehen. Ja die Anzahl dieſer Kundigen wird ſehr verſchieden ſeyn können je nach dem Inhalt (b) L. 36 de leg. (1. 3.) „Immo magnae auctoritatis hoc jus habetur, quod in tantum probatum est, ut non fuerit necesse scripto id comprehen- dere.”

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/238>, abgerufen am 20.05.2024.