Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 30. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortsetzung.
der einzelnen Rechtsregeln, und je nach der Sinnesart
und Bildungsstufe des Volks; für eigentliche Juristen sind
solche des Gewohnheitsrechts Kundige in keinem Fall zu
halten. Auf einem solchen Zustand unmittelbarer Erkennt-
niß des Gewohnheitsrechts beruhte das altgermanische In-
stitut der Schöffengerichte, die aus Kundigen zusammen-
gesetzt waren.

Es ist nun ferner anzugeben, wie für Diejenigen, die
außer dem Kreise der Kundigen stehen, die ihnen allein
zugängliche mittelbare Erkenntniß des Gewohnheitsrechts
entstehen könne, zu deren Erwerb sie bald durch das eigene
Interesse an ihren Rechtsverhältnissen, bald durch das
uneigennützige Bedürfniß der Belehrung, angetrieben wer-
den können. Sie können diese Erkenntniß erlangen erstlich
durch einzelne Fälle der Übung, und wie diese beschaffen
seyn müssen, um zu einem solchen Zweck tauglich zu seyn,
ist bereits bestimmt worden (§ 29). Zweytens durch das
Zeugniß Derjenigen, die als Kundige eine unmittelbare
Erkenntniß haben. Ein solches Zeugniß kann gesucht und
gegeben werden für das vorübergehende Bedürfniß einer
einzelnen, in der Gegenwart wichtigen Rechtsfrage; es
kann aber auch in Aufzeichnungen niedergelegt seyn, deren
Wirksamkeit eine größere Ausdehnung und Dauer hat.

Solche Zeugnisse für ein einzelnes Vedürfniß der Ge-
genwart waren die von den alten Schöffen ausgestellten
Weisthümer (c). Auch den Römern war ein solches Ver-

(c) Eichhorn deutsches Privatrecht §. 5. 14. 26. -- Manche

§. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
der einzelnen Rechtsregeln, und je nach der Sinnesart
und Bildungsſtufe des Volks; für eigentliche Juriſten ſind
ſolche des Gewohnheitsrechts Kundige in keinem Fall zu
halten. Auf einem ſolchen Zuſtand unmittelbarer Erkennt-
niß des Gewohnheitsrechts beruhte das altgermaniſche In-
ſtitut der Schöffengerichte, die aus Kundigen zuſammen-
geſetzt waren.

Es iſt nun ferner anzugeben, wie für Diejenigen, die
außer dem Kreiſe der Kundigen ſtehen, die ihnen allein
zugängliche mittelbare Erkenntniß des Gewohnheitsrechts
entſtehen könne, zu deren Erwerb ſie bald durch das eigene
Intereſſe an ihren Rechtsverhältniſſen, bald durch das
uneigennützige Bedürfniß der Belehrung, angetrieben wer-
den können. Sie können dieſe Erkenntniß erlangen erſtlich
durch einzelne Fälle der Übung, und wie dieſe beſchaffen
ſeyn müſſen, um zu einem ſolchen Zweck tauglich zu ſeyn,
iſt bereits beſtimmt worden (§ 29). Zweytens durch das
Zeugniß Derjenigen, die als Kundige eine unmittelbare
Erkenntniß haben. Ein ſolches Zeugniß kann geſucht und
gegeben werden für das vorübergehende Bedürfniß einer
einzelnen, in der Gegenwart wichtigen Rechtsfrage; es
kann aber auch in Aufzeichnungen niedergelegt ſeyn, deren
Wirkſamkeit eine größere Ausdehnung und Dauer hat.

Solche Zeugniſſe für ein einzelnes Vedürfniß der Ge-
genwart waren die von den alten Schöffen ausgeſtellten
Weisthümer (c). Auch den Römern war ein ſolches Ver-

(c) Eichhorn deutſches Privatrecht §. 5. 14. 26. — Manche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0239" n="183"/><fw place="top" type="header">§. 30. An&#x017F;ichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fort&#x017F;etzung.</fw><lb/>
der einzelnen Rechtsregeln, und je nach der Sinnesart<lb/>
und Bildungs&#x017F;tufe des Volks; für eigentliche Juri&#x017F;ten &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;olche des Gewohnheitsrechts Kundige in keinem Fall zu<lb/>
halten. Auf einem &#x017F;olchen Zu&#x017F;tand unmittelbarer Erkennt-<lb/>
niß des Gewohnheitsrechts beruhte das altgermani&#x017F;che In-<lb/>
&#x017F;titut der Schöffengerichte, die aus Kundigen zu&#x017F;ammen-<lb/>
ge&#x017F;etzt waren.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t nun ferner anzugeben, wie für Diejenigen, die<lb/>
außer dem Krei&#x017F;e der Kundigen &#x017F;tehen, die ihnen allein<lb/>
zugängliche mittelbare Erkenntniß des Gewohnheitsrechts<lb/>
ent&#x017F;tehen könne, zu deren Erwerb &#x017F;ie bald durch das eigene<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e an ihren Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;en, bald durch das<lb/>
uneigennützige Bedürfniß der Belehrung, angetrieben wer-<lb/>
den können. Sie können die&#x017F;e Erkenntniß erlangen er&#x017F;tlich<lb/>
durch einzelne Fälle der Übung, und wie die&#x017F;e be&#x017F;chaffen<lb/>
&#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;en, um zu einem &#x017F;olchen Zweck tauglich zu &#x017F;eyn,<lb/>
i&#x017F;t bereits be&#x017F;timmt worden (§ 29). Zweytens durch das<lb/>
Zeugniß Derjenigen, die als Kundige eine unmittelbare<lb/>
Erkenntniß haben. Ein &#x017F;olches Zeugniß kann ge&#x017F;ucht und<lb/>
gegeben werden für das vorübergehende Bedürfniß einer<lb/>
einzelnen, in der Gegenwart wichtigen Rechtsfrage; es<lb/>
kann aber auch in Aufzeichnungen niedergelegt &#x017F;eyn, deren<lb/>
Wirk&#x017F;amkeit eine größere Ausdehnung und Dauer hat.</p><lb/>
            <p>Solche Zeugni&#x017F;&#x017F;e für ein einzelnes Vedürfniß der Ge-<lb/>
genwart waren die von den alten Schöffen ausge&#x017F;tellten<lb/>
Weisthümer <note xml:id="seg2pn_27_1" next="#seg2pn_27_2" place="foot" n="(c)"><hi rendition="#g">Eichhorn</hi> deut&#x017F;ches Privatrecht §. 5. 14. 26. &#x2014; Manche</note>. Auch den Römern war ein &#x017F;olches Ver-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0239] §. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung. der einzelnen Rechtsregeln, und je nach der Sinnesart und Bildungsſtufe des Volks; für eigentliche Juriſten ſind ſolche des Gewohnheitsrechts Kundige in keinem Fall zu halten. Auf einem ſolchen Zuſtand unmittelbarer Erkennt- niß des Gewohnheitsrechts beruhte das altgermaniſche In- ſtitut der Schöffengerichte, die aus Kundigen zuſammen- geſetzt waren. Es iſt nun ferner anzugeben, wie für Diejenigen, die außer dem Kreiſe der Kundigen ſtehen, die ihnen allein zugängliche mittelbare Erkenntniß des Gewohnheitsrechts entſtehen könne, zu deren Erwerb ſie bald durch das eigene Intereſſe an ihren Rechtsverhältniſſen, bald durch das uneigennützige Bedürfniß der Belehrung, angetrieben wer- den können. Sie können dieſe Erkenntniß erlangen erſtlich durch einzelne Fälle der Übung, und wie dieſe beſchaffen ſeyn müſſen, um zu einem ſolchen Zweck tauglich zu ſeyn, iſt bereits beſtimmt worden (§ 29). Zweytens durch das Zeugniß Derjenigen, die als Kundige eine unmittelbare Erkenntniß haben. Ein ſolches Zeugniß kann geſucht und gegeben werden für das vorübergehende Bedürfniß einer einzelnen, in der Gegenwart wichtigen Rechtsfrage; es kann aber auch in Aufzeichnungen niedergelegt ſeyn, deren Wirkſamkeit eine größere Ausdehnung und Dauer hat. Solche Zeugniſſe für ein einzelnes Vedürfniß der Ge- genwart waren die von den alten Schöffen ausgeſtellten Weisthümer (c). Auch den Römern war ein ſolches Ver- (c) Eichhorn deutſches Privatrecht §. 5. 14. 26. — Manche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/239
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/239>, abgerufen am 21.11.2024.