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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
fahren nicht fremd, welches sich aus folgendem merkwür-
digen Fall ergiebt. Justinian war gebeten worden, über
das foenus nauticum (bey uns Bodmerey genannt), ein
neues Gesetz zu geben. Er befahl einem Beamten, solche
Personen, die dieses Gewerbe betrieben, über die darin
beobachteten Rechtsregeln eidlich als Zeugen zu verneh-
men, und in Gemäßheit dieser Aussagen erließ er ein Ge-
setz, wodurch der Inhalt der erkundeten Gewohnheiten
bestätigt wurde (d). Wie selbst in unsrer Zeit eine solche
Erforschung des Gewohnheitsrechts durch das Bedürfniß
einzelner Fälle veranlaßt werden könne, wird sogleich be-
merkt werden, da wo von dem Verhalten des Richters in
Beziehung auf ein zweifelhaftes Gewohnheitsrecht die
Rede seyn wird.

Unter die Aufzeichnungen, die ein Gewohnheitsrecht
auch für weitere Kreise und für künftige Zeiten bezeugen,
gehören zuerst auch viele Weisthümer, die nicht durch das
Bedürfniß eines einzelnen Falles veranlaßt waren. Fer-
ner gehören dahin größtentheils die alten Völkergesetze,
die späteren Rechtsbücher, die Deutschen Stadt- und Land-
rechte, die Statuten Italienischer Städte, und die Franzö-

möchten glauben, ein solches Ver-
fahren sey nur in so einfachen
Zeiten, wie die der alten Schöf-
fen waren, möglich, nicht in un-
srer Zeit. Zur Widerlegung dient
England, wo man noch in un-
sren Tagen sehr geübt ist in der
Erforschung von Volkszuständen
aller Art, durch Vernehmung
von Sachkundigen der verschie-
densten Stände. Die dort übli-
chen Formen könnten theilweise
auch bey uns angewendet werden,
da wo es auf die Feststellung ei-
nes Gewohnheitsrechts ankommt.
(d) Nov. 106. Vgl. Puchta
I. S. 116. II. S. 133.

Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
fahren nicht fremd, welches ſich aus folgendem merkwür-
digen Fall ergiebt. Juſtinian war gebeten worden, über
das foenus nauticum (bey uns Bodmerey genannt), ein
neues Geſetz zu geben. Er befahl einem Beamten, ſolche
Perſonen, die dieſes Gewerbe betrieben, über die darin
beobachteten Rechtsregeln eidlich als Zeugen zu verneh-
men, und in Gemäßheit dieſer Ausſagen erließ er ein Ge-
ſetz, wodurch der Inhalt der erkundeten Gewohnheiten
beſtätigt wurde (d). Wie ſelbſt in unſrer Zeit eine ſolche
Erforſchung des Gewohnheitsrechts durch das Bedürfniß
einzelner Fälle veranlaßt werden könne, wird ſogleich be-
merkt werden, da wo von dem Verhalten des Richters in
Beziehung auf ein zweifelhaftes Gewohnheitsrecht die
Rede ſeyn wird.

Unter die Aufzeichnungen, die ein Gewohnheitsrecht
auch für weitere Kreiſe und für künftige Zeiten bezeugen,
gehören zuerſt auch viele Weisthümer, die nicht durch das
Bedürfniß eines einzelnen Falles veranlaßt waren. Fer-
ner gehören dahin größtentheils die alten Völkergeſetze,
die ſpäteren Rechtsbücher, die Deutſchen Stadt- und Land-
rechte, die Statuten Italieniſcher Städte, und die Franzö-

möchten glauben, ein ſolches Ver-
fahren ſey nur in ſo einfachen
Zeiten, wie die der alten Schöf-
fen waren, möglich, nicht in un-
ſrer Zeit. Zur Widerlegung dient
England, wo man noch in un-
ſren Tagen ſehr geübt iſt in der
Erforſchung von Volkszuſtänden
aller Art, durch Vernehmung
von Sachkundigen der verſchie-
denſten Stände. Die dort übli-
chen Formen könnten theilweiſe
auch bey uns angewendet werden,
da wo es auf die Feſtſtellung ei-
nes Gewohnheitsrechts ankommt.
(d) Nov. 106. Vgl. Puchta
I. S. 116. II. S. 133.
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[184/0240] Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. fahren nicht fremd, welches ſich aus folgendem merkwür- digen Fall ergiebt. Juſtinian war gebeten worden, über das foenus nauticum (bey uns Bodmerey genannt), ein neues Geſetz zu geben. Er befahl einem Beamten, ſolche Perſonen, die dieſes Gewerbe betrieben, über die darin beobachteten Rechtsregeln eidlich als Zeugen zu verneh- men, und in Gemäßheit dieſer Ausſagen erließ er ein Ge- ſetz, wodurch der Inhalt der erkundeten Gewohnheiten beſtätigt wurde (d). Wie ſelbſt in unſrer Zeit eine ſolche Erforſchung des Gewohnheitsrechts durch das Bedürfniß einzelner Fälle veranlaßt werden könne, wird ſogleich be- merkt werden, da wo von dem Verhalten des Richters in Beziehung auf ein zweifelhaftes Gewohnheitsrecht die Rede ſeyn wird. Unter die Aufzeichnungen, die ein Gewohnheitsrecht auch für weitere Kreiſe und für künftige Zeiten bezeugen, gehören zuerſt auch viele Weisthümer, die nicht durch das Bedürfniß eines einzelnen Falles veranlaßt waren. Fer- ner gehören dahin größtentheils die alten Völkergeſetze, die ſpäteren Rechtsbücher, die Deutſchen Stadt- und Land- rechte, die Statuten Italieniſcher Städte, und die Franzö- (c) (d) Nov. 106. Vgl. Puchta I. S. 116. II. S. 133. (c) möchten glauben, ein ſolches Ver- fahren ſey nur in ſo einfachen Zeiten, wie die der alten Schöf- fen waren, möglich, nicht in un- ſrer Zeit. Zur Widerlegung dient England, wo man noch in un- ſren Tagen ſehr geübt iſt in der Erforſchung von Volkszuſtänden aller Art, durch Vernehmung von Sachkundigen der verſchie- denſten Stände. Die dort übli- chen Formen könnten theilweiſe auch bey uns angewendet werden, da wo es auf die Feſtſtellung ei- nes Gewohnheitsrechts ankommt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/240>, abgerufen am 20.05.2024.