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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
möglich ist, und es kann gewiß nicht als der natürliche
Zustand angesehen werden, daß jedem Gesetze ein anderes,
seinen Sinn bestimmendes, nachfolge; ja selbst wenn dieser
Hergang der natürliche wäre, so würde dennoch zunächst,
bis zur Erscheinung des neuen Gesetzes, jene freye Thä-
tigkeit unentbehrlich seyn. Geht man nun von dem
Grundbegriff der Auslegung als einer freyen Thätigkeit
aus, so erscheint dann die sogenannte legale Interpretation
nicht als eine ihr coordinirte Art derselben Gattung, son-
dern vielmehr als reiner Gegensatz, als Ausschließung
oder Verbot jener freyen Thätigkeit überhaupt. Und diese
Auffassung bewährt sich auch dadurch als die richtige,
daß in derselben das wahre und unläugbare Verhältniß
von Regel und Ausnahme am deutlichsten hervortritt.
Es wird daher von jetzt an unter Auslegung überhaupt
nur allein die sogenannte doctrinelle Interpretation ver-
standen werden. -- Neuere Schriftsteller freylich haben
hierin das Verhältniß von Regel und Ausnahme gerade
umgekehrt. Es ist behauptet worden, alle Auslegung sey
ihrer Natur nach eigentlich eine Art der Gesetzgebung,
und sie könne nur durch Delegation von Seiten der höch-
sten Gewalt an einzelne Behörden oder gar in Privat-
hände gerathen (d). Diese Behauptung hängt aber zusam-
men mit anderen Vorstellungen neuerer Schriftsteller, nach
welchen die Auslegung nicht in den Gränzen einer reinen,

(d) Zachariä Hermeneutik des Rechts, Meissen 1805. S. 161
--165.

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
möglich iſt, und es kann gewiß nicht als der natürliche
Zuſtand angeſehen werden, daß jedem Geſetze ein anderes,
ſeinen Sinn beſtimmendes, nachfolge; ja ſelbſt wenn dieſer
Hergang der natürliche wäre, ſo würde dennoch zunächſt,
bis zur Erſcheinung des neuen Geſetzes, jene freye Thä-
tigkeit unentbehrlich ſeyn. Geht man nun von dem
Grundbegriff der Auslegung als einer freyen Thätigkeit
aus, ſo erſcheint dann die ſogenannte legale Interpretation
nicht als eine ihr coordinirte Art derſelben Gattung, ſon-
dern vielmehr als reiner Gegenſatz, als Ausſchließung
oder Verbot jener freyen Thätigkeit überhaupt. Und dieſe
Auffaſſung bewährt ſich auch dadurch als die richtige,
daß in derſelben das wahre und unläugbare Verhältniß
von Regel und Ausnahme am deutlichſten hervortritt.
Es wird daher von jetzt an unter Auslegung überhaupt
nur allein die ſogenannte doctrinelle Interpretation ver-
ſtanden werden. — Neuere Schriftſteller freylich haben
hierin das Verhältniß von Regel und Ausnahme gerade
umgekehrt. Es iſt behauptet worden, alle Auslegung ſey
ihrer Natur nach eigentlich eine Art der Geſetzgebung,
und ſie könne nur durch Delegation von Seiten der höch-
ſten Gewalt an einzelne Behörden oder gar in Privat-
hände gerathen (d). Dieſe Behauptung hängt aber zuſam-
men mit anderen Vorſtellungen neuerer Schriftſteller, nach
welchen die Auslegung nicht in den Gränzen einer reinen,

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—165.
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[210/0266] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. möglich iſt, und es kann gewiß nicht als der natürliche Zuſtand angeſehen werden, daß jedem Geſetze ein anderes, ſeinen Sinn beſtimmendes, nachfolge; ja ſelbſt wenn dieſer Hergang der natürliche wäre, ſo würde dennoch zunächſt, bis zur Erſcheinung des neuen Geſetzes, jene freye Thä- tigkeit unentbehrlich ſeyn. Geht man nun von dem Grundbegriff der Auslegung als einer freyen Thätigkeit aus, ſo erſcheint dann die ſogenannte legale Interpretation nicht als eine ihr coordinirte Art derſelben Gattung, ſon- dern vielmehr als reiner Gegenſatz, als Ausſchließung oder Verbot jener freyen Thätigkeit überhaupt. Und dieſe Auffaſſung bewährt ſich auch dadurch als die richtige, daß in derſelben das wahre und unläugbare Verhältniß von Regel und Ausnahme am deutlichſten hervortritt. Es wird daher von jetzt an unter Auslegung überhaupt nur allein die ſogenannte doctrinelle Interpretation ver- ſtanden werden. — Neuere Schriftſteller freylich haben hierin das Verhältniß von Regel und Ausnahme gerade umgekehrt. Es iſt behauptet worden, alle Auslegung ſey ihrer Natur nach eigentlich eine Art der Geſetzgebung, und ſie könne nur durch Delegation von Seiten der höch- ſten Gewalt an einzelne Behörden oder gar in Privat- hände gerathen (d). Dieſe Behauptung hängt aber zuſam- men mit anderen Vorſtellungen neuerer Schriftſteller, nach welchen die Auslegung nicht in den Gränzen einer reinen, (d) Zachariä Hermeneutik des Rechts, Meiſſen 1805. S. 161 —165.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/266>, abgerufen am 21.11.2024.