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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 35. Auslegung mangelhafter Gesetze.

Das erste Hülfsmittel besteht in dem inneren Zusam-
menhang der Gesetzgebung; ein zweytes in dem Zusam-
menhang des Gesetzes mit seinem Grunde; ein drittes in
dem innern Werthe des aus der Auslegung hervorgehen-
den Inhalts.

A. Innerer Zusammenhang der Gesetzgebung. Dieser
kann auf zweyerley Weise als Hülfsmittel der Auslegung
bey mangelhaften Gesetzen benutzt werden. Erstlich inso-
ferne der mangelhafte Theil eines Gesetzes aus einem an-
dern Theil desselben Gesetzes erklärt wird, welches die sicherste
unter allen Erklärungsweisen ist (a): zweytens durch Erklä-
rung des mangelhaften Gesetzes aus anderen Gesetzen (b).
Diese letzte Art der Auslegung wird um so gewisser seyn,
je näher die beiden Gesetze einander stehen, also am ge-
wissesten, wenn sie von einem und demselben Gesetzgeber
herrühren. Jedoch können auch die anderen (zur Erklä-
rung benutzten) Gesetze älter seyn, als das aus ihnen
erklärte, wobey also die richtige Voraussetzung zum Grunde
liegt, der Urheber des jetzt auszulegenden Gesetzes habe
diese älteren vor Augen gehabt, und sie seyen also ein
ergänzendes Stück seines Gedankens gewesen (c). Die

(a) L. 24 de legibus (1. 3.)
"Incivile est, nisi tota lege
perspecta, una aliqua particula
ejus proposita, judicare vel
respondere."
(b) Diese Art der Auslegung
des einzelnen mangelhaften Ge-
setzes mit Hülfe eines andern ist
nicht zu verwechseln mit der Aus-
gleichung der Widersprüche, die
zur Behandlung des Quellenkrei-
ses als eines Ganzen gehört. Da-
von wird erst weiter unten die
Rede seyn (§ 42--45).
(c) L. 26. 27 de leg. (1. 3.)
"Non est novum, ut priores
leges ad posteriores trahan-
tur. -- Ideo, quia antiquiores
§. 35. Auslegung mangelhafter Geſetze.

Das erſte Hülfsmittel beſteht in dem inneren Zuſam-
menhang der Geſetzgebung; ein zweytes in dem Zuſam-
menhang des Geſetzes mit ſeinem Grunde; ein drittes in
dem innern Werthe des aus der Auslegung hervorgehen-
den Inhalts.

A. Innerer Zuſammenhang der Geſetzgebung. Dieſer
kann auf zweyerley Weiſe als Hülfsmittel der Auslegung
bey mangelhaften Geſetzen benutzt werden. Erſtlich inſo-
ferne der mangelhafte Theil eines Geſetzes aus einem an-
dern Theil deſſelben Geſetzes erklärt wird, welches die ſicherſte
unter allen Erklärungsweiſen iſt (a): zweytens durch Erklä-
rung des mangelhaften Geſetzes aus anderen Geſetzen (b).
Dieſe letzte Art der Auslegung wird um ſo gewiſſer ſeyn,
je näher die beiden Geſetze einander ſtehen, alſo am ge-
wiſſeſten, wenn ſie von einem und demſelben Geſetzgeber
herrühren. Jedoch können auch die anderen (zur Erklä-
rung benutzten) Geſetze älter ſeyn, als das aus ihnen
erklärte, wobey alſo die richtige Vorausſetzung zum Grunde
liegt, der Urheber des jetzt auszulegenden Geſetzes habe
dieſe älteren vor Augen gehabt, und ſie ſeyen alſo ein
ergänzendes Stück ſeines Gedankens geweſen (c). Die

(a) L. 24 de legibus (1. 3.)
„Incivile est, nisi tota lege
perspecta, una aliqua particula
ejus proposita, judicare vel
respondere.”
(b) Dieſe Art der Auslegung
des einzelnen mangelhaften Ge-
ſetzes mit Hülfe eines andern iſt
nicht zu verwechſeln mit der Aus-
gleichung der Widerſprüche, die
zur Behandlung des Quellenkrei-
ſes als eines Ganzen gehört. Da-
von wird erſt weiter unten die
Rede ſeyn (§ 42—45).
(c) L. 26. 27 de leg. (1. 3.)
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leges ad posteriores trahan-
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[223/0279] §. 35. Auslegung mangelhafter Geſetze. Das erſte Hülfsmittel beſteht in dem inneren Zuſam- menhang der Geſetzgebung; ein zweytes in dem Zuſam- menhang des Geſetzes mit ſeinem Grunde; ein drittes in dem innern Werthe des aus der Auslegung hervorgehen- den Inhalts. A. Innerer Zuſammenhang der Geſetzgebung. Dieſer kann auf zweyerley Weiſe als Hülfsmittel der Auslegung bey mangelhaften Geſetzen benutzt werden. Erſtlich inſo- ferne der mangelhafte Theil eines Geſetzes aus einem an- dern Theil deſſelben Geſetzes erklärt wird, welches die ſicherſte unter allen Erklärungsweiſen iſt (a): zweytens durch Erklä- rung des mangelhaften Geſetzes aus anderen Geſetzen (b). Dieſe letzte Art der Auslegung wird um ſo gewiſſer ſeyn, je näher die beiden Geſetze einander ſtehen, alſo am ge- wiſſeſten, wenn ſie von einem und demſelben Geſetzgeber herrühren. Jedoch können auch die anderen (zur Erklä- rung benutzten) Geſetze älter ſeyn, als das aus ihnen erklärte, wobey alſo die richtige Vorausſetzung zum Grunde liegt, der Urheber des jetzt auszulegenden Geſetzes habe dieſe älteren vor Augen gehabt, und ſie ſeyen alſo ein ergänzendes Stück ſeines Gedankens geweſen (c). Die (a) L. 24 de legibus (1. 3.) „Incivile est, nisi tota lege perspecta, una aliqua particula ejus proposita, judicare vel respondere.” (b) Dieſe Art der Auslegung des einzelnen mangelhaften Ge- ſetzes mit Hülfe eines andern iſt nicht zu verwechſeln mit der Aus- gleichung der Widerſprüche, die zur Behandlung des Quellenkrei- ſes als eines Ganzen gehört. Da- von wird erſt weiter unten die Rede ſeyn (§ 42—45). (c) L. 26. 27 de leg. (1. 3.) „Non est novum, ut priores leges ad posteriores trahan- tur. — Ideo, quia antiquiores

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/279>, abgerufen am 22.11.2024.