Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 38. Justinianische Gesetze. Kritik. bewachen will, gar nicht existirt. Sieht man zu, was siesich als ein solches denken, so entdeckt man eben so ver- schiedene als unklare Vorstellungen. Die Vulgata, oder Bo- lognesische Recension, könnte dafür gelten, wenn sie zu Stande gekommen wäre. Die Ubereinstimmung aller erhaltenen Hand- schriften giebt wieder einen bestimmten Begriff, wenngleich kein Recht zu Abweisung der Kritik: allein diese meynen sie auch nicht. Denn theils war bis jetzt in Fällen strei- tiger Kritik fast niemals auch nur ein Anfang dazu ge- macht worden, jene Übereinstimmung zu erfahren, theils beruhte der Kampf gegen die Kritik hauptsächlich auf der Furcht, die in Gerichten hergebrachten Meynungen könn- ten durch tiefer gehende Untersuchung gestört werden, wobey ja gerade die Vergleichung von Handschriften be- sonders gefährlich war. Giebt man aber diese Bestim- mungen des gegebenen Textes (welcher unantastbar seyn soll) auf, so bleibt fast Nichts übrig, als denjenigen Text dafür zu nehmen, der den Meisten vor Augen liegt, weil er gerade in den verbreitetsten Ausgaben steht, wofür vielleicht die Gothofredischen gelten dürften (d). Allein ein so schwankender und so willkührlich angenommener Begriff darf doch gewiß nicht auf ernsthafte Rücksicht An- spruch machen. (d) Die meisten Widersacher
der Kritik denken dergleichen, ohne es sich klar zu machen oder auszusprechen. Deutlich ausge- sprochen, unter vielem Verworre- nen, ist es bey Dabelow Hand- buch des Pandectenrechts Th. 1 S. 204 (Halle 1816), der aber gerade keinen Gebrauch davon macht, sondern der Kritik große Freyheit einräumt. §. 38. Juſtinianiſche Geſetze. Kritik. bewachen will, gar nicht exiſtirt. Sieht man zu, was ſieſich als ein ſolches denken, ſo entdeckt man eben ſo ver- ſchiedene als unklare Vorſtellungen. Die Vulgata, oder Bo- logneſiſche Recenſion, könnte dafür gelten, wenn ſie zu Stande gekommen wäre. Die Ubereinſtimmung aller erhaltenen Hand- ſchriften giebt wieder einen beſtimmten Begriff, wenngleich kein Recht zu Abweiſung der Kritik: allein dieſe meynen ſie auch nicht. Denn theils war bis jetzt in Fällen ſtrei- tiger Kritik faſt niemals auch nur ein Anfang dazu ge- macht worden, jene Übereinſtimmung zu erfahren, theils beruhte der Kampf gegen die Kritik hauptſächlich auf der Furcht, die in Gerichten hergebrachten Meynungen könn- ten durch tiefer gehende Unterſuchung geſtört werden, wobey ja gerade die Vergleichung von Handſchriften be- ſonders gefährlich war. Giebt man aber dieſe Beſtim- mungen des gegebenen Textes (welcher unantaſtbar ſeyn ſoll) auf, ſo bleibt faſt Nichts übrig, als denjenigen Text dafür zu nehmen, der den Meiſten vor Augen liegt, weil er gerade in den verbreitetſten Ausgaben ſteht, wofür vielleicht die Gothofrediſchen gelten dürften (d). Allein ein ſo ſchwankender und ſo willkührlich angenommener Begriff darf doch gewiß nicht auf ernſthafte Rückſicht An- ſpruch machen. (d) Die meiſten Widerſacher
der Kritik denken dergleichen, ohne es ſich klar zu machen oder auszuſprechen. Deutlich ausge- ſprochen, unter vielem Verworre- nen, iſt es bey Dabelow Hand- buch des Pandectenrechts Th. 1 S. 204 (Halle 1816), der aber gerade keinen Gebrauch davon macht, ſondern der Kritik große Freyheit einräumt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0301" n="245"/><fw place="top" type="header">§. 38. Juſtinianiſche Geſetze. Kritik.</fw><lb/> bewachen will, gar nicht exiſtirt. Sieht man zu, was ſie<lb/> ſich als ein ſolches denken, ſo entdeckt man eben ſo ver-<lb/> ſchiedene als unklare Vorſtellungen. Die Vulgata, oder Bo-<lb/> logneſiſche Recenſion, könnte dafür gelten, wenn ſie zu Stande<lb/> gekommen wäre. Die Ubereinſtimmung aller erhaltenen Hand-<lb/> ſchriften giebt wieder einen beſtimmten Begriff, wenngleich<lb/> kein Recht zu Abweiſung der Kritik: allein dieſe meynen<lb/> ſie auch nicht. Denn theils war bis jetzt in Fällen ſtrei-<lb/> tiger Kritik faſt niemals auch nur ein Anfang dazu ge-<lb/> macht worden, jene Übereinſtimmung zu erfahren, theils<lb/> beruhte der Kampf gegen die Kritik hauptſächlich auf der<lb/> Furcht, die in Gerichten hergebrachten Meynungen könn-<lb/> ten durch tiefer gehende Unterſuchung geſtört werden,<lb/> wobey ja gerade die Vergleichung von Handſchriften be-<lb/> ſonders gefährlich war. Giebt man aber dieſe Beſtim-<lb/> mungen des gegebenen Textes (welcher unantaſtbar ſeyn<lb/> ſoll) auf, ſo bleibt faſt Nichts übrig, als denjenigen Text<lb/> dafür zu nehmen, der den Meiſten vor Augen liegt, weil<lb/> er gerade in den verbreitetſten Ausgaben ſteht, wofür<lb/> vielleicht die Gothofrediſchen gelten dürften <note place="foot" n="(d)">Die meiſten Widerſacher<lb/> der Kritik denken dergleichen,<lb/> ohne es ſich klar zu machen oder<lb/> auszuſprechen. Deutlich ausge-<lb/> ſprochen, unter vielem Verworre-<lb/> nen, iſt es bey <hi rendition="#g">Dabelow</hi> Hand-<lb/> buch des Pandectenrechts Th. 1<lb/> S. 204 (Halle 1816), der aber<lb/> gerade keinen Gebrauch davon<lb/> macht, ſondern der Kritik große<lb/> Freyheit einräumt.</note>. Allein<lb/> ein ſo ſchwankender und ſo willkührlich angenommener<lb/> Begriff darf doch gewiß nicht auf ernſthafte Rückſicht An-<lb/> ſpruch machen.</p> </div><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [245/0301]
§. 38. Juſtinianiſche Geſetze. Kritik.
bewachen will, gar nicht exiſtirt. Sieht man zu, was ſie
ſich als ein ſolches denken, ſo entdeckt man eben ſo ver-
ſchiedene als unklare Vorſtellungen. Die Vulgata, oder Bo-
logneſiſche Recenſion, könnte dafür gelten, wenn ſie zu Stande
gekommen wäre. Die Ubereinſtimmung aller erhaltenen Hand-
ſchriften giebt wieder einen beſtimmten Begriff, wenngleich
kein Recht zu Abweiſung der Kritik: allein dieſe meynen
ſie auch nicht. Denn theils war bis jetzt in Fällen ſtrei-
tiger Kritik faſt niemals auch nur ein Anfang dazu ge-
macht worden, jene Übereinſtimmung zu erfahren, theils
beruhte der Kampf gegen die Kritik hauptſächlich auf der
Furcht, die in Gerichten hergebrachten Meynungen könn-
ten durch tiefer gehende Unterſuchung geſtört werden,
wobey ja gerade die Vergleichung von Handſchriften be-
ſonders gefährlich war. Giebt man aber dieſe Beſtim-
mungen des gegebenen Textes (welcher unantaſtbar ſeyn
ſoll) auf, ſo bleibt faſt Nichts übrig, als denjenigen Text
dafür zu nehmen, der den Meiſten vor Augen liegt, weil
er gerade in den verbreitetſten Ausgaben ſteht, wofür
vielleicht die Gothofrediſchen gelten dürften (d). Allein
ein ſo ſchwankender und ſo willkührlich angenommener
Begriff darf doch gewiß nicht auf ernſthafte Rückſicht An-
ſpruch machen.
(d) Die meiſten Widerſacher
der Kritik denken dergleichen,
ohne es ſich klar zu machen oder
auszuſprechen. Deutlich ausge-
ſprochen, unter vielem Verworre-
nen, iſt es bey Dabelow Hand-
buch des Pandectenrechts Th. 1
S. 204 (Halle 1816), der aber
gerade keinen Gebrauch davon
macht, ſondern der Kritik große
Freyheit einräumt.
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