Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
eine weit ausgedehntere Anwendung zuläßt, weil die neuere,
allein gültige Stelle durch aufgenommene Stellen aus dem
älteren Recht deutlicher werden sollte. Dabey also wird
vorausgesetzt, daß die älteren Stellen dazu aufgenommen
wurden, um ein Stück der Rechtsgeschichte mitzutheilen,
welches zur Erläuterung der neuesten Stelle nöthig schien.

Die Richtigkeit dieser letzten Voraussetzung wird aber
durch folgende Umstände vollkommen bestätigt. Erstlich
durch die Zusammensetzung der Rechtsbücher aus einem
seit Jahrhunderten allmälig entstandenen historischen Ma-
terial, wobey die Entwicklung der Rechtssätze durchaus
sichtbar werden mußte, anstatt daß sie bey einem neu ge-
schriebenen Werk wohl hätte verwischt werden können.
Zweytens durch die sorgfältige Beybehaltung der histori-
schen Bezeichnung jeder Stelle, wobey kein anderer Zweck
gedacht werden kann, als die Erklärung des Geltenden
aus dem Früheren möglich zu machen. Drittens durch so
viele neue, abändernde Constitutionen, welche fast gar
nicht zu verstehen sind, wenn man sie nicht mit dem frü-
heren Recht, das sie abändern sollen, vergleicht. Endlich
durch die Beschaffenheit der Institutionen insbesondere.
Diese sollten nichts Veraltetes enthalten (m), und dennoch

aufzunehmen, da ja die alten
Constitutionen und Bücher nicht
zerstört wurden. Daß es aber
in der That geschehen ist, sagt
ausdrücklich Justinian selbst. Nov.
89. C.
7.
(m) Prooem. Inst. § 3 "ut ..
nihil inutile, nihil perperam
positum, sed quod in ipsis re-
rum obtinet argumentis
, ac-
cipiant."

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
eine weit ausgedehntere Anwendung zuläßt, weil die neuere,
allein gültige Stelle durch aufgenommene Stellen aus dem
älteren Recht deutlicher werden ſollte. Dabey alſo wird
vorausgeſetzt, daß die älteren Stellen dazu aufgenommen
wurden, um ein Stück der Rechtsgeſchichte mitzutheilen,
welches zur Erläuterung der neueſten Stelle nöthig ſchien.

Die Richtigkeit dieſer letzten Vorausſetzung wird aber
durch folgende Umſtände vollkommen beſtätigt. Erſtlich
durch die Zuſammenſetzung der Rechtsbücher aus einem
ſeit Jahrhunderten allmälig entſtandenen hiſtoriſchen Ma-
terial, wobey die Entwicklung der Rechtsſätze durchaus
ſichtbar werden mußte, anſtatt daß ſie bey einem neu ge-
ſchriebenen Werk wohl hätte verwiſcht werden können.
Zweytens durch die ſorgfältige Beybehaltung der hiſtori-
ſchen Bezeichnung jeder Stelle, wobey kein anderer Zweck
gedacht werden kann, als die Erklärung des Geltenden
aus dem Früheren möglich zu machen. Drittens durch ſo
viele neue, abändernde Conſtitutionen, welche faſt gar
nicht zu verſtehen ſind, wenn man ſie nicht mit dem frü-
heren Recht, das ſie abändern ſollen, vergleicht. Endlich
durch die Beſchaffenheit der Inſtitutionen insbeſondere.
Dieſe ſollten nichts Veraltetes enthalten (m), und dennoch

aufzunehmen, da ja die alten
Conſtitutionen und Bücher nicht
zerſtört wurden. Daß es aber
in der That geſchehen iſt, ſagt
ausdrücklich Juſtinian ſelbſt. Nov.
89. C.
7.
(m) Prooem. Inst. § 3 „ut ..
nihil inutile, nihil perperam
positum, sed quod in ipsis re-
rum obtinet argumentis
, ac-
cipiant.”
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0334" n="278"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Auslegung der Ge&#x017F;etze.</fw><lb/>
eine weit ausgedehntere Anwendung zuläßt, weil die neuere,<lb/>
allein gültige Stelle durch aufgenommene Stellen aus dem<lb/>
älteren Recht deutlicher werden &#x017F;ollte. Dabey al&#x017F;o wird<lb/>
vorausge&#x017F;etzt, daß die älteren Stellen dazu aufgenommen<lb/>
wurden, um ein Stück der Rechtsge&#x017F;chichte mitzutheilen,<lb/>
welches zur Erläuterung der neue&#x017F;ten Stelle nöthig &#x017F;chien.</p><lb/>
            <p>Die Richtigkeit die&#x017F;er letzten Voraus&#x017F;etzung wird aber<lb/>
durch folgende Um&#x017F;tände vollkommen be&#x017F;tätigt. Er&#x017F;tlich<lb/>
durch die Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung der Rechtsbücher aus einem<lb/>
&#x017F;eit Jahrhunderten allmälig ent&#x017F;tandenen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Ma-<lb/>
terial, wobey die Entwicklung der Rechts&#x017F;ätze durchaus<lb/>
&#x017F;ichtbar werden mußte, an&#x017F;tatt daß &#x017F;ie bey einem neu ge-<lb/>
&#x017F;chriebenen Werk wohl hätte verwi&#x017F;cht werden können.<lb/>
Zweytens durch die &#x017F;orgfältige Beybehaltung der hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;chen Bezeichnung jeder Stelle, wobey kein anderer Zweck<lb/>
gedacht werden kann, als die Erklärung des Geltenden<lb/>
aus dem Früheren möglich zu machen. Drittens durch &#x017F;o<lb/>
viele neue, abändernde Con&#x017F;titutionen, welche fa&#x017F;t gar<lb/>
nicht zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ind, wenn man &#x017F;ie nicht mit dem frü-<lb/>
heren Recht, das &#x017F;ie abändern &#x017F;ollen, vergleicht. Endlich<lb/>
durch die Be&#x017F;chaffenheit der In&#x017F;titutionen insbe&#x017F;ondere.<lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;ollten nichts Veraltetes enthalten <note place="foot" n="(m)"><hi rendition="#aq">Prooem. Inst. § 3 &#x201E;ut ..<lb/><hi rendition="#i">nihil inutile</hi>, nihil perperam<lb/>
positum, <hi rendition="#i">sed quod in ipsis re-<lb/>
rum obtinet argumentis</hi>, ac-<lb/>
cipiant.&#x201D;</hi></note>, und dennoch<lb/><note xml:id="seg2pn_35_2" prev="#seg2pn_35_1" place="foot" n="(l)">aufzunehmen, da ja die alten<lb/>
Con&#x017F;titutionen und Bücher nicht<lb/>
zer&#x017F;tört wurden. Daß es aber<lb/>
in der That ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, &#x017F;agt<lb/>
ausdrücklich Ju&#x017F;tinian &#x017F;elb&#x017F;t. <hi rendition="#aq">Nov.<lb/>
89. C.</hi> 7.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0334] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. eine weit ausgedehntere Anwendung zuläßt, weil die neuere, allein gültige Stelle durch aufgenommene Stellen aus dem älteren Recht deutlicher werden ſollte. Dabey alſo wird vorausgeſetzt, daß die älteren Stellen dazu aufgenommen wurden, um ein Stück der Rechtsgeſchichte mitzutheilen, welches zur Erläuterung der neueſten Stelle nöthig ſchien. Die Richtigkeit dieſer letzten Vorausſetzung wird aber durch folgende Umſtände vollkommen beſtätigt. Erſtlich durch die Zuſammenſetzung der Rechtsbücher aus einem ſeit Jahrhunderten allmälig entſtandenen hiſtoriſchen Ma- terial, wobey die Entwicklung der Rechtsſätze durchaus ſichtbar werden mußte, anſtatt daß ſie bey einem neu ge- ſchriebenen Werk wohl hätte verwiſcht werden können. Zweytens durch die ſorgfältige Beybehaltung der hiſtori- ſchen Bezeichnung jeder Stelle, wobey kein anderer Zweck gedacht werden kann, als die Erklärung des Geltenden aus dem Früheren möglich zu machen. Drittens durch ſo viele neue, abändernde Conſtitutionen, welche faſt gar nicht zu verſtehen ſind, wenn man ſie nicht mit dem frü- heren Recht, das ſie abändern ſollen, vergleicht. Endlich durch die Beſchaffenheit der Inſtitutionen insbeſondere. Dieſe ſollten nichts Veraltetes enthalten (m), und dennoch (l) (m) Prooem. Inst. § 3 „ut .. nihil inutile, nihil perperam positum, sed quod in ipsis re- rum obtinet argumentis, ac- cipiant.” (l) aufzunehmen, da ja die alten Conſtitutionen und Bücher nicht zerſtört wurden. Daß es aber in der That geſchehen iſt, ſagt ausdrücklich Juſtinian ſelbſt. Nov. 89. C. 7.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/334
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/334>, abgerufen am 25.11.2024.