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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 49. Praktischer Werth der Römischen Aussprüche.
ßen selbst schon eine Art authentischer Interpretation.
Diese Ansicht würde dann ferner zu folgender Unterschei-
dung führen. Die Römischen Auslegungsregeln wären
anwendbar und gesetzlich bindend für Justinians Rechts-
bücher, für seine Novellen, und für die Gesetze der fol-
genden griechischen Kaiser (wenn diese von uns recipirt
wären); sie wären aber nicht anwendbar für das cano-
nische Recht, die Reichsgesetze, und unsere Landesgesetze.
Denn Justinian konnte doch unmöglich, wie durch ein le-
gislatives Fideicommiß auf ewige Zeiten, bestimmen wol-
len, in welchem Sinn künftig Päbste, deutsche Kaiser,
oder deutsche Landesfürsten, ihre gesetzgebende Gewalt
ausüben würden (a).

So steht die Sache nach einer allgemeinen, blos for-
mellen, Betrachtung, und den Römischen Auslegungsre-
geln wäre dadurch ein sehr ausgedehntes Gebiet der Herr-
schaft gesichert, nämlich über Justinians Rechtsbücher, wel-
ches gerade der wichtigste Fall der Anwendung ist. Allein
sehen wir auf den besonderen Inhalt jener Regeln, so
kommen wir vielmehr zu der Überzeugung, daß sie auch
selbst in dieser Anwendung eine gesetzlich bindende Kraft

(a) Die Vergleichung mit fol-
gendem Fall entgegengesetzter Art
wird dieses noch anschaulicher ma-
chen. In das Preußische Land-
recht hat K. Friedrich Wilhelm II.
Regeln über die Auslegung auf-
nehmen lassen. Diese gelten für
das Landrecht selbst, für spätere
Gesetze desselben Königs, und für
alle Gesetze seiner Nachfolger.
Denn sein Gesetz ist auch für die
Ausübung der Regentengewalt
seiner Nachfolger so lange ver-
bindend, bis sie es wieder auf-
gehoben haben. Auch hier also
ist immer wieder entscheidend der
Gegensatz des öffentlichen Rechts
und des Privatrechts.

§. 49. Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche.
ßen ſelbſt ſchon eine Art authentiſcher Interpretation.
Dieſe Anſicht würde dann ferner zu folgender Unterſchei-
dung führen. Die Römiſchen Auslegungsregeln wären
anwendbar und geſetzlich bindend für Juſtinians Rechts-
bücher, für ſeine Novellen, und für die Geſetze der fol-
genden griechiſchen Kaiſer (wenn dieſe von uns recipirt
wären); ſie wären aber nicht anwendbar für das cano-
niſche Recht, die Reichsgeſetze, und unſere Landesgeſetze.
Denn Juſtinian konnte doch unmöglich, wie durch ein le-
gislatives Fideicommiß auf ewige Zeiten, beſtimmen wol-
len, in welchem Sinn künftig Päbſte, deutſche Kaiſer,
oder deutſche Landesfürſten, ihre geſetzgebende Gewalt
ausüben würden (a).

So ſteht die Sache nach einer allgemeinen, blos for-
mellen, Betrachtung, und den Römiſchen Auslegungsre-
geln wäre dadurch ein ſehr ausgedehntes Gebiet der Herr-
ſchaft geſichert, nämlich über Juſtinians Rechtsbücher, wel-
ches gerade der wichtigſte Fall der Anwendung iſt. Allein
ſehen wir auf den beſonderen Inhalt jener Regeln, ſo
kommen wir vielmehr zu der Überzeugung, daß ſie auch
ſelbſt in dieſer Anwendung eine geſetzlich bindende Kraft

(a) Die Vergleichung mit fol-
gendem Fall entgegengeſetzter Art
wird dieſes noch anſchaulicher ma-
chen. In das Preußiſche Land-
recht hat K. Friedrich Wilhelm II.
Regeln über die Auslegung auf-
nehmen laſſen. Dieſe gelten für
das Landrecht ſelbſt, für ſpätere
Geſetze deſſelben Königs, und für
alle Geſetze ſeiner Nachfolger.
Denn ſein Geſetz iſt auch für die
Ausübung der Regentengewalt
ſeiner Nachfolger ſo lange ver-
bindend, bis ſie es wieder auf-
gehoben haben. Auch hier alſo
iſt immer wieder entſcheidend der
Gegenſatz des öffentlichen Rechts
und des Privatrechts.
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[313/0369] §. 49. Praktiſcher Werth der Römiſchen Ausſprüche. ßen ſelbſt ſchon eine Art authentiſcher Interpretation. Dieſe Anſicht würde dann ferner zu folgender Unterſchei- dung führen. Die Römiſchen Auslegungsregeln wären anwendbar und geſetzlich bindend für Juſtinians Rechts- bücher, für ſeine Novellen, und für die Geſetze der fol- genden griechiſchen Kaiſer (wenn dieſe von uns recipirt wären); ſie wären aber nicht anwendbar für das cano- niſche Recht, die Reichsgeſetze, und unſere Landesgeſetze. Denn Juſtinian konnte doch unmöglich, wie durch ein le- gislatives Fideicommiß auf ewige Zeiten, beſtimmen wol- len, in welchem Sinn künftig Päbſte, deutſche Kaiſer, oder deutſche Landesfürſten, ihre geſetzgebende Gewalt ausüben würden (a). So ſteht die Sache nach einer allgemeinen, blos for- mellen, Betrachtung, und den Römiſchen Auslegungsre- geln wäre dadurch ein ſehr ausgedehntes Gebiet der Herr- ſchaft geſichert, nämlich über Juſtinians Rechtsbücher, wel- ches gerade der wichtigſte Fall der Anwendung iſt. Allein ſehen wir auf den beſonderen Inhalt jener Regeln, ſo kommen wir vielmehr zu der Überzeugung, daß ſie auch ſelbſt in dieſer Anwendung eine geſetzlich bindende Kraft (a) Die Vergleichung mit fol- gendem Fall entgegengeſetzter Art wird dieſes noch anſchaulicher ma- chen. In das Preußiſche Land- recht hat K. Friedrich Wilhelm II. Regeln über die Auslegung auf- nehmen laſſen. Dieſe gelten für das Landrecht ſelbſt, für ſpätere Geſetze deſſelben Königs, und für alle Geſetze ſeiner Nachfolger. Denn ſein Geſetz iſt auch für die Ausübung der Regentengewalt ſeiner Nachfolger ſo lange ver- bindend, bis ſie es wieder auf- gehoben haben. Auch hier alſo iſt immer wieder entſcheidend der Gegenſatz des öffentlichen Rechts und des Privatrechts.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/369>, abgerufen am 24.11.2024.