Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
nicht haben. Die wichtigste unter allen diesen Regeln ist
unstreitig die, welche wir in beiden Verordnungen von
Justinian finden (§ 47. 48); sie sagt uns ganz deutlich,
wie wir auslegen sollen, nämlich gar nicht. Gerade diese
wichtigste Regel aber können wir als Gesetz aus zwey
Gründen nicht anerkennen.

Erstens weil sie in unzertrennlicher Verbindung steht
mit Justinians Verbot, juristische Bücher zu schreiben (§ 26).
Diese Verbindung erhellt nicht blos aus dem Inhalt und
Zweck beider Vorschriften, sondern auch aus ihrer Fas-
sung, indem sie in der neueren Verordnung unmittelbar
neben einander stehen, und zwar so, daß die eine als
Folge und nähere Bestimmung der anderen ausgedrückt
wird. Da nun das Verbot der rechtswissenschaftlichen
Bücher als Gesetz für uns nicht gilt (§ 27), so kann
auch das der Auslegung nicht gelten; denn wollten wir
dieses, herausgerissen aus seinem Zusammenhang, einzeln
gelten lassen, so wäre es ja in der That nicht mehr Ju-
stinians Vorschrift, sondern etwas das wir daraus will-
kührlich gemacht hätten, und worin sich blos der wört-
liche Schein seiner Vorschrift wiederfände.

Zweytens weil ihre Ausführung für uns nicht etwa
schwierig, sondern völlig unmöglich ist. Denn Justinian
macht die Auslegung der Richter entbehrlich durch kaiser-
liche Rescripte, eine solche Anstalt aber findet sich in kei-
nem neueren Staate. Man täusche sich nicht durch die

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
nicht haben. Die wichtigſte unter allen dieſen Regeln iſt
unſtreitig die, welche wir in beiden Verordnungen von
Juſtinian finden (§ 47. 48); ſie ſagt uns ganz deutlich,
wie wir auslegen ſollen, nämlich gar nicht. Gerade dieſe
wichtigſte Regel aber können wir als Geſetz aus zwey
Gründen nicht anerkennen.

Erſtens weil ſie in unzertrennlicher Verbindung ſteht
mit Juſtinians Verbot, juriſtiſche Bücher zu ſchreiben (§ 26).
Dieſe Verbindung erhellt nicht blos aus dem Inhalt und
Zweck beider Vorſchriften, ſondern auch aus ihrer Faſ-
ſung, indem ſie in der neueren Verordnung unmittelbar
neben einander ſtehen, und zwar ſo, daß die eine als
Folge und nähere Beſtimmung der anderen ausgedrückt
wird. Da nun das Verbot der rechtswiſſenſchaftlichen
Bücher als Geſetz für uns nicht gilt (§ 27), ſo kann
auch das der Auslegung nicht gelten; denn wollten wir
dieſes, herausgeriſſen aus ſeinem Zuſammenhang, einzeln
gelten laſſen, ſo wäre es ja in der That nicht mehr Ju-
ſtinians Vorſchrift, ſondern etwas das wir daraus will-
kührlich gemacht hätten, und worin ſich blos der wört-
liche Schein ſeiner Vorſchrift wiederfände.

Zweytens weil ihre Ausführung für uns nicht etwa
ſchwierig, ſondern völlig unmöglich iſt. Denn Juſtinian
macht die Auslegung der Richter entbehrlich durch kaiſer-
liche Reſcripte, eine ſolche Anſtalt aber findet ſich in kei-
nem neueren Staate. Man täuſche ſich nicht durch die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0370" n="314"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Auslegung der Ge&#x017F;etze.</fw><lb/>
nicht haben. Die wichtig&#x017F;te unter allen die&#x017F;en Regeln i&#x017F;t<lb/>
un&#x017F;treitig die, welche wir in beiden Verordnungen von<lb/>
Ju&#x017F;tinian finden (§ 47. 48); &#x017F;ie &#x017F;agt uns ganz deutlich,<lb/>
wie wir auslegen &#x017F;ollen, nämlich gar nicht. Gerade die&#x017F;e<lb/>
wichtig&#x017F;te Regel aber können wir als Ge&#x017F;etz aus zwey<lb/>
Gründen nicht anerkennen.</p><lb/>
            <p>Er&#x017F;tens weil &#x017F;ie in unzertrennlicher Verbindung &#x017F;teht<lb/>
mit Ju&#x017F;tinians Verbot, juri&#x017F;ti&#x017F;che Bücher zu &#x017F;chreiben (§ 26).<lb/>
Die&#x017F;e Verbindung erhellt nicht blos aus dem Inhalt und<lb/>
Zweck beider Vor&#x017F;chriften, &#x017F;ondern auch aus ihrer Fa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung, indem &#x017F;ie in der neueren Verordnung unmittelbar<lb/>
neben einander &#x017F;tehen, und zwar &#x017F;o, daß die eine als<lb/>
Folge und nähere Be&#x017F;timmung der anderen ausgedrückt<lb/>
wird. Da nun das Verbot der rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen<lb/>
Bücher als Ge&#x017F;etz für uns nicht gilt (§ 27), &#x017F;o kann<lb/>
auch das der Auslegung nicht gelten; denn wollten wir<lb/>
die&#x017F;es, herausgeri&#x017F;&#x017F;en aus &#x017F;einem Zu&#x017F;ammenhang, einzeln<lb/>
gelten la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wäre es ja in der That nicht mehr Ju-<lb/>
&#x017F;tinians Vor&#x017F;chrift, &#x017F;ondern etwas das wir daraus will-<lb/>
kührlich gemacht hätten, und worin &#x017F;ich blos der wört-<lb/>
liche Schein &#x017F;einer Vor&#x017F;chrift wiederfände.</p><lb/>
            <p>Zweytens weil ihre Ausführung für uns nicht etwa<lb/>
&#x017F;chwierig, &#x017F;ondern völlig unmöglich i&#x017F;t. Denn Ju&#x017F;tinian<lb/>
macht die Auslegung der Richter entbehrlich durch kai&#x017F;er-<lb/>
liche Re&#x017F;cripte, eine &#x017F;olche An&#x017F;talt aber findet &#x017F;ich in kei-<lb/>
nem neueren Staate. Man täu&#x017F;che &#x017F;ich nicht durch die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0370] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. nicht haben. Die wichtigſte unter allen dieſen Regeln iſt unſtreitig die, welche wir in beiden Verordnungen von Juſtinian finden (§ 47. 48); ſie ſagt uns ganz deutlich, wie wir auslegen ſollen, nämlich gar nicht. Gerade dieſe wichtigſte Regel aber können wir als Geſetz aus zwey Gründen nicht anerkennen. Erſtens weil ſie in unzertrennlicher Verbindung ſteht mit Juſtinians Verbot, juriſtiſche Bücher zu ſchreiben (§ 26). Dieſe Verbindung erhellt nicht blos aus dem Inhalt und Zweck beider Vorſchriften, ſondern auch aus ihrer Faſ- ſung, indem ſie in der neueren Verordnung unmittelbar neben einander ſtehen, und zwar ſo, daß die eine als Folge und nähere Beſtimmung der anderen ausgedrückt wird. Da nun das Verbot der rechtswiſſenſchaftlichen Bücher als Geſetz für uns nicht gilt (§ 27), ſo kann auch das der Auslegung nicht gelten; denn wollten wir dieſes, herausgeriſſen aus ſeinem Zuſammenhang, einzeln gelten laſſen, ſo wäre es ja in der That nicht mehr Ju- ſtinians Vorſchrift, ſondern etwas das wir daraus will- kührlich gemacht hätten, und worin ſich blos der wört- liche Schein ſeiner Vorſchrift wiederfände. Zweytens weil ihre Ausführung für uns nicht etwa ſchwierig, ſondern völlig unmöglich iſt. Denn Juſtinian macht die Auslegung der Richter entbehrlich durch kaiſer- liche Reſcripte, eine ſolche Anſtalt aber findet ſich in kei- nem neueren Staate. Man täuſche ſich nicht durch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/370
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/370>, abgerufen am 24.11.2024.