Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Vorrede. unsrer Arbeit (a). -- In anderen Fällen streitenderMeynungen ist es von Wichtigkeit, die eigentliche Gränze des Streitigen, so wie den Werth und Einfluß, den diese Meynungsverschiedenheit für die Wissenschaft hat, ge- nau zu bestimmen. Die Lebhaftigkeit des Streites, so wie das durch denselben häufig erhöhte Selbstgefühl, verleitet uns leicht zu einer übertriebenen Werthschätzung desselben, und läßt uns dann auch Andere hierin irre führen. -- Endlich verdient noch, in den von uns ange- fochtenen fremden Meynungen, große Aufmerksamkeit ein Verhältniß derselben, das sich als relative Wahr- heit bezeichnen läßt. Nicht selten nämlich werden wir in einer Meynung, die wir als entschiedenen Irrthum verwerfen müssen, dennoch ein wahres Element erken- nen, welches nur durch verkehrte Behandlung oder ein- seitige Übertreibung in Irrthum umgewandelt worden ist; namentlich gilt dieses von den vielen Fällen, worin der Irrthum nur darin besteht, daß das Concrete zu (a) Lebensnachrichten über B. G. Niebuhr B. 2 S. 208: "Vor allen Dingen aber müssen wir in den Wissenschaften unsre Wahr- haftigkeit so rein erhalten, daß wir absolut allen falschen Schein fliehen, daß wir auch nicht das allergeringste als gewiß schreiben, wovon wir nicht völlig überzeugt sind, daß wir, wo wir Vermu- thung aussprechen müssen, alles anstrengen um den Grad unsers Wahrhaltens anschaulich zu ma- chen." -- Vieles in dem treffli- chen Briefe, woraus diese Stelle genommen ist, gehört nicht der Philologie allein an (worauf es sich zunächst bezieht); sondern al- len Wissenschaften überhaupt. c*
Vorrede. unſrer Arbeit (a). — In anderen Fällen ſtreitenderMeynungen iſt es von Wichtigkeit, die eigentliche Gränze des Streitigen, ſo wie den Werth und Einfluß, den dieſe Meynungsverſchiedenheit für die Wiſſenſchaft hat, ge- nau zu beſtimmen. Die Lebhaftigkeit des Streites, ſo wie das durch denſelben häufig erhöhte Selbſtgefühl, verleitet uns leicht zu einer übertriebenen Werthſchätzung deſſelben, und läßt uns dann auch Andere hierin irre führen. — Endlich verdient noch, in den von uns ange- fochtenen fremden Meynungen, große Aufmerkſamkeit ein Verhältniß derſelben, das ſich als relative Wahr- heit bezeichnen läßt. Nicht ſelten nämlich werden wir in einer Meynung, die wir als entſchiedenen Irrthum verwerfen müſſen, dennoch ein wahres Element erken- nen, welches nur durch verkehrte Behandlung oder ein- ſeitige Übertreibung in Irrthum umgewandelt worden iſt; namentlich gilt dieſes von den vielen Fällen, worin der Irrthum nur darin beſteht, daß das Concrete zu (a) Lebensnachrichten über B. G. Niebuhr B. 2 S. 208: „Vor allen Dingen aber müſſen wir in den Wiſſenſchaften unſre Wahr- haftigkeit ſo rein erhalten, daß wir abſolut allen falſchen Schein fliehen, daß wir auch nicht das allergeringſte als gewiß ſchreiben, wovon wir nicht völlig überzeugt ſind, daß wir, wo wir Vermu- thung ausſprechen müſſen, alles anſtrengen um den Grad unſers Wahrhaltens anſchaulich zu ma- chen.“ — Vieles in dem treffli- chen Briefe, woraus dieſe Stelle genommen iſt, gehört nicht der Philologie allein an (worauf es ſich zunächſt bezieht); ſondern al- len Wiſſenſchaften überhaupt. c*
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Vorrede.
unſrer Arbeit (a). — In anderen Fällen ſtreitender
Meynungen iſt es von Wichtigkeit, die eigentliche Gränze
des Streitigen, ſo wie den Werth und Einfluß, den dieſe
Meynungsverſchiedenheit für die Wiſſenſchaft hat, ge-
nau zu beſtimmen. Die Lebhaftigkeit des Streites, ſo
wie das durch denſelben häufig erhöhte Selbſtgefühl,
verleitet uns leicht zu einer übertriebenen Werthſchätzung
deſſelben, und läßt uns dann auch Andere hierin irre
führen. — Endlich verdient noch, in den von uns ange-
fochtenen fremden Meynungen, große Aufmerkſamkeit
ein Verhältniß derſelben, das ſich als relative Wahr-
heit bezeichnen läßt. Nicht ſelten nämlich werden wir
in einer Meynung, die wir als entſchiedenen Irrthum
verwerfen müſſen, dennoch ein wahres Element erken-
nen, welches nur durch verkehrte Behandlung oder ein-
ſeitige Übertreibung in Irrthum umgewandelt worden
iſt; namentlich gilt dieſes von den vielen Fällen, worin
der Irrthum nur darin beſteht, daß das Concrete zu
(a) Lebensnachrichten über B.
G. Niebuhr B. 2 S. 208: „Vor
allen Dingen aber müſſen wir in
den Wiſſenſchaften unſre Wahr-
haftigkeit ſo rein erhalten, daß
wir abſolut allen falſchen Schein
fliehen, daß wir auch nicht das
allergeringſte als gewiß ſchreiben,
wovon wir nicht völlig überzeugt
ſind, daß wir, wo wir Vermu-
thung ausſprechen müſſen, alles
anſtrengen um den Grad unſers
Wahrhaltens anſchaulich zu ma-
chen.“ — Vieles in dem treffli-
chen Briefe, woraus dieſe Stelle
genommen iſt, gehört nicht der
Philologie allein an (worauf es
ſich zunächſt bezieht); ſondern al-
len Wiſſenſchaften überhaupt.
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