Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorrede.

Allein nicht nur in blos negativen Resultaten wird
sich jener kritische Character des Werks zeigen, sondern
auch da, wo für eine aufgestellte positive Wahrheit der
einfache, absolute Gegensatz des Wahren und Falschen
nicht ausreicht. So kommt es in vielen Fällen vor-
zugsweise darauf an, den Grad unsrer Überzeugung
näher zu bezeichnen. Wenn wir nämlich fremden Mey-
nungen streitend entgegen treten, kann dieses auf ver-
schiedene Weise geschehen. Nicht selten begleitet unsre
Überzeugung das Gefühl vollständiger Gewißheit, in-
dem wir einsehen, wie die Meynung des Gegners aus
logischen Fehlern, factischer Unkenntniß, oder durchaus
verwerflicher Methode entsprungen ist; dann halten wir
diese Meynung für wissenschaftlich unerlaubt, und in
unsrem Widerspruch ist dann ein entschiedener Tadel
des Gegners nothwendig enthalten. Nicht so in ande-
ren Fällen, worin wir, nach sorgfältiger Abwägung al-
ler Gründe, zwar Einer Meynung den Vorzug geben,
doch ohne den Anspruch auf so entschiedene Verurthei-
lung unsres Gegners. In dieser Wahrscheinlichkeit
nun, womit wir uns dann begnügen müssen, lassen sich
Grade unterscheiden, und die genaue Bezeichnung, die
gewissenhafte Anerkennung dieser Grade gehört ebenso-
wohl zum sittlichen, als zum wissenschaftlichen Werth

Vorrede.

Allein nicht nur in blos negativen Reſultaten wird
ſich jener kritiſche Character des Werks zeigen, ſondern
auch da, wo für eine aufgeſtellte poſitive Wahrheit der
einfache, abſolute Gegenſatz des Wahren und Falſchen
nicht ausreicht. So kommt es in vielen Fällen vor-
zugsweiſe darauf an, den Grad unſrer Überzeugung
näher zu bezeichnen. Wenn wir nämlich fremden Mey-
nungen ſtreitend entgegen treten, kann dieſes auf ver-
ſchiedene Weiſe geſchehen. Nicht ſelten begleitet unſre
Überzeugung das Gefühl vollſtändiger Gewißheit, in-
dem wir einſehen, wie die Meynung des Gegners aus
logiſchen Fehlern, factiſcher Unkenntniß, oder durchaus
verwerflicher Methode entſprungen iſt; dann halten wir
dieſe Meynung für wiſſenſchaftlich unerlaubt, und in
unſrem Widerſpruch iſt dann ein entſchiedener Tadel
des Gegners nothwendig enthalten. Nicht ſo in ande-
ren Fällen, worin wir, nach ſorgfältiger Abwägung al-
ler Gründe, zwar Einer Meynung den Vorzug geben,
doch ohne den Anſpruch auf ſo entſchiedene Verurthei-
lung unſres Gegners. In dieſer Wahrſcheinlichkeit
nun, womit wir uns dann begnügen müſſen, laſſen ſich
Grade unterſcheiden, und die genaue Bezeichnung, die
gewiſſenhafte Anerkennung dieſer Grade gehört ebenſo-
wohl zum ſittlichen, als zum wiſſenſchaftlichen Werth

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0040" n="XXXIV"/>
        <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/>
        <p>Allein nicht nur in blos negativen Re&#x017F;ultaten wird<lb/>
&#x017F;ich jener kriti&#x017F;che Character des Werks zeigen, &#x017F;ondern<lb/>
auch da, wo für eine aufge&#x017F;tellte po&#x017F;itive Wahrheit der<lb/>
einfache, ab&#x017F;olute Gegen&#x017F;atz des Wahren und Fal&#x017F;chen<lb/>
nicht ausreicht. So kommt es in vielen Fällen vor-<lb/>
zugswei&#x017F;e darauf an, den Grad un&#x017F;rer Überzeugung<lb/>
näher zu bezeichnen. Wenn wir nämlich fremden Mey-<lb/>
nungen &#x017F;treitend entgegen treten, kann die&#x017F;es auf ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Wei&#x017F;e ge&#x017F;chehen. Nicht &#x017F;elten begleitet un&#x017F;re<lb/>
Überzeugung das Gefühl voll&#x017F;tändiger Gewißheit, in-<lb/>
dem wir ein&#x017F;ehen, wie die Meynung des Gegners aus<lb/>
logi&#x017F;chen Fehlern, facti&#x017F;cher Unkenntniß, oder durchaus<lb/>
verwerflicher Methode ent&#x017F;prungen i&#x017F;t; dann halten wir<lb/>
die&#x017F;e Meynung für wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich unerlaubt, und in<lb/>
un&#x017F;rem Wider&#x017F;pruch i&#x017F;t dann ein ent&#x017F;chiedener Tadel<lb/>
des Gegners nothwendig enthalten. Nicht &#x017F;o in ande-<lb/>
ren Fällen, worin wir, nach &#x017F;orgfältiger Abwägung al-<lb/>
ler Gründe, zwar Einer Meynung den Vorzug geben,<lb/>
doch ohne den An&#x017F;pruch auf &#x017F;o ent&#x017F;chiedene Verurthei-<lb/>
lung un&#x017F;res Gegners. In die&#x017F;er Wahr&#x017F;cheinlichkeit<lb/>
nun, womit wir uns dann begnügen mü&#x017F;&#x017F;en, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
Grade unter&#x017F;cheiden, und die genaue Bezeichnung, die<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;enhafte Anerkennung die&#x017F;er Grade gehört eben&#x017F;o-<lb/>
wohl zum &#x017F;ittlichen, als zum wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Werth<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XXXIV/0040] Vorrede. Allein nicht nur in blos negativen Reſultaten wird ſich jener kritiſche Character des Werks zeigen, ſondern auch da, wo für eine aufgeſtellte poſitive Wahrheit der einfache, abſolute Gegenſatz des Wahren und Falſchen nicht ausreicht. So kommt es in vielen Fällen vor- zugsweiſe darauf an, den Grad unſrer Überzeugung näher zu bezeichnen. Wenn wir nämlich fremden Mey- nungen ſtreitend entgegen treten, kann dieſes auf ver- ſchiedene Weiſe geſchehen. Nicht ſelten begleitet unſre Überzeugung das Gefühl vollſtändiger Gewißheit, in- dem wir einſehen, wie die Meynung des Gegners aus logiſchen Fehlern, factiſcher Unkenntniß, oder durchaus verwerflicher Methode entſprungen iſt; dann halten wir dieſe Meynung für wiſſenſchaftlich unerlaubt, und in unſrem Widerſpruch iſt dann ein entſchiedener Tadel des Gegners nothwendig enthalten. Nicht ſo in ande- ren Fällen, worin wir, nach ſorgfältiger Abwägung al- ler Gründe, zwar Einer Meynung den Vorzug geben, doch ohne den Anſpruch auf ſo entſchiedene Verurthei- lung unſres Gegners. In dieſer Wahrſcheinlichkeit nun, womit wir uns dann begnügen müſſen, laſſen ſich Grade unterſcheiden, und die genaue Bezeichnung, die gewiſſenhafte Anerkennung dieſer Grade gehört ebenſo- wohl zum ſittlichen, als zum wiſſenſchaftlichen Werth

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/40
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. XXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/40>, abgerufen am 21.11.2024.