Allein nicht nur in blos negativen Resultaten wird sich jener kritische Character des Werks zeigen, sondern auch da, wo für eine aufgestellte positive Wahrheit der einfache, absolute Gegensatz des Wahren und Falschen nicht ausreicht. So kommt es in vielen Fällen vor- zugsweise darauf an, den Grad unsrer Überzeugung näher zu bezeichnen. Wenn wir nämlich fremden Mey- nungen streitend entgegen treten, kann dieses auf ver- schiedene Weise geschehen. Nicht selten begleitet unsre Überzeugung das Gefühl vollständiger Gewißheit, in- dem wir einsehen, wie die Meynung des Gegners aus logischen Fehlern, factischer Unkenntniß, oder durchaus verwerflicher Methode entsprungen ist; dann halten wir diese Meynung für wissenschaftlich unerlaubt, und in unsrem Widerspruch ist dann ein entschiedener Tadel des Gegners nothwendig enthalten. Nicht so in ande- ren Fällen, worin wir, nach sorgfältiger Abwägung al- ler Gründe, zwar Einer Meynung den Vorzug geben, doch ohne den Anspruch auf so entschiedene Verurthei- lung unsres Gegners. In dieser Wahrscheinlichkeit nun, womit wir uns dann begnügen müssen, lassen sich Grade unterscheiden, und die genaue Bezeichnung, die gewissenhafte Anerkennung dieser Grade gehört ebenso- wohl zum sittlichen, als zum wissenschaftlichen Werth
Vorrede.
Allein nicht nur in blos negativen Reſultaten wird ſich jener kritiſche Character des Werks zeigen, ſondern auch da, wo für eine aufgeſtellte poſitive Wahrheit der einfache, abſolute Gegenſatz des Wahren und Falſchen nicht ausreicht. So kommt es in vielen Fällen vor- zugsweiſe darauf an, den Grad unſrer Überzeugung näher zu bezeichnen. Wenn wir nämlich fremden Mey- nungen ſtreitend entgegen treten, kann dieſes auf ver- ſchiedene Weiſe geſchehen. Nicht ſelten begleitet unſre Überzeugung das Gefühl vollſtändiger Gewißheit, in- dem wir einſehen, wie die Meynung des Gegners aus logiſchen Fehlern, factiſcher Unkenntniß, oder durchaus verwerflicher Methode entſprungen iſt; dann halten wir dieſe Meynung für wiſſenſchaftlich unerlaubt, und in unſrem Widerſpruch iſt dann ein entſchiedener Tadel des Gegners nothwendig enthalten. Nicht ſo in ande- ren Fällen, worin wir, nach ſorgfältiger Abwägung al- ler Gründe, zwar Einer Meynung den Vorzug geben, doch ohne den Anſpruch auf ſo entſchiedene Verurthei- lung unſres Gegners. In dieſer Wahrſcheinlichkeit nun, womit wir uns dann begnügen müſſen, laſſen ſich Grade unterſcheiden, und die genaue Bezeichnung, die gewiſſenhafte Anerkennung dieſer Grade gehört ebenſo- wohl zum ſittlichen, als zum wiſſenſchaftlichen Werth
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[XXXIV/0040]
Vorrede.
Allein nicht nur in blos negativen Reſultaten wird
ſich jener kritiſche Character des Werks zeigen, ſondern
auch da, wo für eine aufgeſtellte poſitive Wahrheit der
einfache, abſolute Gegenſatz des Wahren und Falſchen
nicht ausreicht. So kommt es in vielen Fällen vor-
zugsweiſe darauf an, den Grad unſrer Überzeugung
näher zu bezeichnen. Wenn wir nämlich fremden Mey-
nungen ſtreitend entgegen treten, kann dieſes auf ver-
ſchiedene Weiſe geſchehen. Nicht ſelten begleitet unſre
Überzeugung das Gefühl vollſtändiger Gewißheit, in-
dem wir einſehen, wie die Meynung des Gegners aus
logiſchen Fehlern, factiſcher Unkenntniß, oder durchaus
verwerflicher Methode entſprungen iſt; dann halten wir
dieſe Meynung für wiſſenſchaftlich unerlaubt, und in
unſrem Widerſpruch iſt dann ein entſchiedener Tadel
des Gegners nothwendig enthalten. Nicht ſo in ande-
ren Fällen, worin wir, nach ſorgfältiger Abwägung al-
ler Gründe, zwar Einer Meynung den Vorzug geben,
doch ohne den Anſpruch auf ſo entſchiedene Verurthei-
lung unſres Gegners. In dieſer Wahrſcheinlichkeit
nun, womit wir uns dann begnügen müſſen, laſſen ſich
Grade unterſcheiden, und die genaue Bezeichnung, die
gewiſſenhafte Anerkennung dieſer Grade gehört ebenſo-
wohl zum ſittlichen, als zum wiſſenſchaftlichen Werth
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. XXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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