Familienverhältnisse unterscheiden sich von den natürlichen darin, daß sie nicht so wie diese auf einer natürlich-sitt- lichen Grundlage beruhen, weshalb ihr Daseyn auch nicht in einer allgemeinen Nothwendigkeit gegründet ist. Nach dem Römischen Kunstausdruck also gehören sie nicht zu dem jus naturale.
Das Römische Recht kennt folgende Institute dieses künstlich erweiterten Familienrechts:
1) Manus. Sie beruht auf einer künstlichen Verschmel- zung der beiden Hauptzweige der natürlichen Familie, der Ehe mit der väterlichen Gewalt. Die Ehefrau wird da- durch in das rechtliche Verhältniß einer Tochter des Ehe- mannes versetzt, worin also ein äußerer Zusatz zu der Ehe, und eine Modification derselben, hauptsächlich in Beziehung auf das Vermögen, enthalten ist. -- Allerdings gilt aber diese Ansicht der manus nur von einer etwas späteren Zeit des Römischen Rechts, in welcher es der Willkühr überlassen blieb, ob der Ehe noch dieser beson- dere Zusatz beygegeben werden sollte. In der ältesten Zeit war sie die einzig mögliche Form der Ehe überhaupt.
2) Servitus. Das Verhältniß eines Sklaven zu sei- nem Gebieter hatte bey den Römern zwey ganz verschie- dene juristische Beziehungen, dominium und potestas, die nur in der Wirklichkeit stets vereinigt waren. Nach der einen war es reines, wahres Eigenthum, der Sklave stand hierin jeder anderen Sache völlig gleich, er konnte veräu- ßert werden, nicht nur dem vollen Eigenthum nach, son-
§. 55. Familienrecht. Fortſetzung.
Familienverhältniſſe unterſcheiden ſich von den natürlichen darin, daß ſie nicht ſo wie dieſe auf einer natürlich-ſitt- lichen Grundlage beruhen, weshalb ihr Daſeyn auch nicht in einer allgemeinen Nothwendigkeit gegründet iſt. Nach dem Römiſchen Kunſtausdruck alſo gehören ſie nicht zu dem jus naturale.
Das Römiſche Recht kennt folgende Inſtitute dieſes künſtlich erweiterten Familienrechts:
1) Manus. Sie beruht auf einer künſtlichen Verſchmel- zung der beiden Hauptzweige der natürlichen Familie, der Ehe mit der väterlichen Gewalt. Die Ehefrau wird da- durch in das rechtliche Verhältniß einer Tochter des Ehe- mannes verſetzt, worin alſo ein äußerer Zuſatz zu der Ehe, und eine Modification derſelben, hauptſächlich in Beziehung auf das Vermögen, enthalten iſt. — Allerdings gilt aber dieſe Anſicht der manus nur von einer etwas ſpäteren Zeit des Römiſchen Rechts, in welcher es der Willkühr überlaſſen blieb, ob der Ehe noch dieſer beſon- dere Zuſatz beygegeben werden ſollte. In der älteſten Zeit war ſie die einzig mögliche Form der Ehe überhaupt.
2) Servitus. Das Verhältniß eines Sklaven zu ſei- nem Gebieter hatte bey den Römern zwey ganz verſchie- dene juriſtiſche Beziehungen, dominium und potestas, die nur in der Wirklichkeit ſtets vereinigt waren. Nach der einen war es reines, wahres Eigenthum, der Sklave ſtand hierin jeder anderen Sache völlig gleich, er konnte veräu- ßert werden, nicht nur dem vollen Eigenthum nach, ſon-
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§. 55. Familienrecht. Fortſetzung.
Familienverhältniſſe unterſcheiden ſich von den natürlichen
darin, daß ſie nicht ſo wie dieſe auf einer natürlich-ſitt-
lichen Grundlage beruhen, weshalb ihr Daſeyn auch nicht
in einer allgemeinen Nothwendigkeit gegründet iſt. Nach
dem Römiſchen Kunſtausdruck alſo gehören ſie nicht zu
dem jus naturale.
Das Römiſche Recht kennt folgende Inſtitute dieſes
künſtlich erweiterten Familienrechts:
1) Manus. Sie beruht auf einer künſtlichen Verſchmel-
zung der beiden Hauptzweige der natürlichen Familie, der
Ehe mit der väterlichen Gewalt. Die Ehefrau wird da-
durch in das rechtliche Verhältniß einer Tochter des Ehe-
mannes verſetzt, worin alſo ein äußerer Zuſatz zu der
Ehe, und eine Modification derſelben, hauptſächlich in
Beziehung auf das Vermögen, enthalten iſt. — Allerdings
gilt aber dieſe Anſicht der manus nur von einer etwas
ſpäteren Zeit des Römiſchen Rechts, in welcher es der
Willkühr überlaſſen blieb, ob der Ehe noch dieſer beſon-
dere Zuſatz beygegeben werden ſollte. In der älteſten
Zeit war ſie die einzig mögliche Form der Ehe überhaupt.
2) Servitus. Das Verhältniß eines Sklaven zu ſei-
nem Gebieter hatte bey den Römern zwey ganz verſchie-
dene juriſtiſche Beziehungen, dominium und potestas, die
nur in der Wirklichkeit ſtets vereinigt waren. Nach der
einen war es reines, wahres Eigenthum, der Sklave ſtand
hierin jeder anderen Sache völlig gleich, er konnte veräu-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/413>, abgerufen am 25.11.2024.
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