Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 59. Abweichende Meynungen über die Klassification.
also das erste Buch der Institutionen wesentlich Mehr und
wesentlich Weniger enthält, als es nach dem von Hugo
angenommenen Inhalt desselben enthalten müßte, so scheint
mir dadurch diese Annahme selbst völlig widerlegt. -- Be-
trachten wir aber genauer dasjenige, was in der That im
ersten Buch der Institutionen vorgefunden wird, so ist es
fast ganz dasselbe, was ich oben als Familienrecht bezeichnet
habe. Es handelt nämlich in der That von Ehe, väter-
licher Gewalt, Manus, Sklaverey, Patronat (nämlich
von den Freygelassenen nach ihren verschiedenen Klassen),
Mancipium, Vormundschaft (k). Dagegen kommen nicht
vor die Cives, latini, peregrini, so wichtig diese auch für
die Rechtsfähigkeit sind: denn diese gehören an sich in das
öffentliche Recht, obgleich eine Einwirkung derselben auf
das Privatrecht (durch die Rechtsfähigkeit) unverkennbar
ist. Nur die Verwandtschaft, die ich als Zweig der Fa-

Freygelassenen, also bey dem Pa-
tronat, womit bey jeder dieser
drey Klassen verschiedene Rechte
verbunden sind (1 § 12 fg.). Die-
ses letzte kann leicht für eine ab-
sichtliche Darstellung der erwähn-
ten Eintheilung angesehen wer-
den, allein es ist doch auf jeden
Fall nur eine ganz einzelne An-
wendung jenes so allgemeinen Un-
terschieds. Wollte man sagen, es
sey zur Zeit des Gajus die wich-
tigste Anwendung gewesen, so
wäre das offenbar falsch. Denn
die vielen Millionen freygeborner
Peregrinen in den Provinzen wa-
ren doch gewiß wichtiger als die
dediticii, und auch an freyge-
bornen Latinen in sehr großer
Anzahl konnte es nicht fehlen, da
die Latinität, welche Vespastan
an ganz Spanien gab (Plinius
hist. nat. III.
4.), so viel wir
wissen, erst in der allgemeinen
Civität von Caracalla unterge-
gangen ist.
(k) Daß Justinian von diesen
Rechtsinstituten die außer Ge-
brauch gekommenen weggelassen
hat, ist gewiß kein Gegengrund;
zugesetzt hat er keine.

§. 59. Abweichende Meynungen über die Klaſſification.
alſo das erſte Buch der Inſtitutionen weſentlich Mehr und
weſentlich Weniger enthält, als es nach dem von Hugo
angenommenen Inhalt deſſelben enthalten müßte, ſo ſcheint
mir dadurch dieſe Annahme ſelbſt voͤllig widerlegt. — Be-
trachten wir aber genauer dasjenige, was in der That im
erſten Buch der Inſtitutionen vorgefunden wird, ſo iſt es
faſt ganz daſſelbe, was ich oben als Familienrecht bezeichnet
habe. Es handelt nämlich in der That von Ehe, väter-
licher Gewalt, Manus, Sklaverey, Patronat (nämlich
von den Freygelaſſenen nach ihren verſchiedenen Klaſſen),
Mancipium, Vormundſchaft (k). Dagegen kommen nicht
vor die Cives, latini, peregrini, ſo wichtig dieſe auch für
die Rechtsfähigkeit ſind: denn dieſe gehoͤren an ſich in das
oͤffentliche Recht, obgleich eine Einwirkung derſelben auf
das Privatrecht (durch die Rechtsfähigkeit) unverkennbar
iſt. Nur die Verwandtſchaft, die ich als Zweig der Fa-

Freygelaſſenen, alſo bey dem Pa-
tronat, womit bey jeder dieſer
drey Klaſſen verſchiedene Rechte
verbunden ſind (1 § 12 fg.). Die-
ſes letzte kann leicht für eine ab-
ſichtliche Darſtellung der erwähn-
ten Eintheilung angeſehen wer-
den, allein es iſt doch auf jeden
Fall nur eine ganz einzelne An-
wendung jenes ſo allgemeinen Un-
terſchieds. Wollte man ſagen, es
ſey zur Zeit des Gajus die wich-
tigſte Anwendung geweſen, ſo
wäre das offenbar falſch. Denn
die vielen Millionen freygeborner
Peregrinen in den Provinzen wa-
ren doch gewiß wichtiger als die
dediticii, und auch an freyge-
bornen Latinen in ſehr großer
Anzahl konnte es nicht fehlen, da
die Latinität, welche Veſpaſtan
an ganz Spanien gab (Plinius
hist. nat. III.
4.), ſo viel wir
wiſſen, erſt in der allgemeinen
Civität von Caracalla unterge-
gangen iſt.
(k) Daß Juſtinian von dieſen
Rechtsinſtituten die außer Ge-
brauch gekommenen weggelaſſen
hat, iſt gewiß kein Gegengrund;
zugeſetzt hat er keine.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0455" n="399"/><fw place="top" type="header">§. 59. Abweichende Meynungen über die Kla&#x017F;&#x017F;ification.</fw><lb/>
al&#x017F;o das er&#x017F;te Buch der In&#x017F;titutionen we&#x017F;entlich Mehr und<lb/>
we&#x017F;entlich Weniger enthält, als es nach dem von Hugo<lb/>
angenommenen Inhalt de&#x017F;&#x017F;elben enthalten müßte, &#x017F;o &#x017F;cheint<lb/>
mir dadurch die&#x017F;e Annahme &#x017F;elb&#x017F;t vo&#x0364;llig widerlegt. &#x2014; Be-<lb/>
trachten wir aber genauer dasjenige, was in der That im<lb/>
er&#x017F;ten Buch der In&#x017F;titutionen vorgefunden wird, &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
fa&#x017F;t ganz da&#x017F;&#x017F;elbe, was ich oben als Familienrecht bezeichnet<lb/>
habe. Es handelt nämlich in der That von Ehe, väter-<lb/>
licher Gewalt, Manus, Sklaverey, Patronat (nämlich<lb/>
von den Freygela&#x017F;&#x017F;enen nach ihren ver&#x017F;chiedenen Kla&#x017F;&#x017F;en),<lb/>
Mancipium, Vormund&#x017F;chaft <note place="foot" n="(k)">Daß Ju&#x017F;tinian von die&#x017F;en<lb/>
Rechtsin&#x017F;tituten die außer Ge-<lb/>
brauch gekommenen weggela&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hat, i&#x017F;t gewiß kein Gegengrund;<lb/>
zuge&#x017F;etzt hat er keine.</note>. Dagegen kommen nicht<lb/>
vor die <hi rendition="#aq">Cives, latini, peregrini,</hi> &#x017F;o wichtig die&#x017F;e auch für<lb/>
die Rechtsfähigkeit &#x017F;ind: denn die&#x017F;e geho&#x0364;ren an &#x017F;ich in das<lb/>
o&#x0364;ffentliche Recht, obgleich eine Einwirkung der&#x017F;elben auf<lb/>
das Privatrecht (durch die Rechtsfähigkeit) unverkennbar<lb/>
i&#x017F;t. Nur die Verwandt&#x017F;chaft, die ich als Zweig der Fa-<lb/><note xml:id="seg2pn_54_2" prev="#seg2pn_54_1" place="foot" n="(i)">Freygela&#x017F;&#x017F;enen, al&#x017F;o bey dem Pa-<lb/>
tronat, womit bey jeder die&#x017F;er<lb/>
drey Kla&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;chiedene Rechte<lb/>
verbunden &#x017F;ind (1 § 12 fg.). Die-<lb/>
&#x017F;es letzte kann leicht für eine ab-<lb/>
&#x017F;ichtliche Dar&#x017F;tellung der erwähn-<lb/>
ten Eintheilung ange&#x017F;ehen wer-<lb/>
den, allein es i&#x017F;t doch auf jeden<lb/>
Fall nur eine ganz einzelne An-<lb/>
wendung jenes &#x017F;o allgemeinen Un-<lb/>
ter&#x017F;chieds. Wollte man &#x017F;agen, es<lb/>
&#x017F;ey zur Zeit des Gajus die wich-<lb/>
tig&#x017F;te Anwendung gewe&#x017F;en, &#x017F;o<lb/>
wäre das offenbar fal&#x017F;ch. Denn<lb/>
die vielen Millionen freygeborner<lb/>
Peregrinen in den Provinzen wa-<lb/>
ren doch gewiß wichtiger als die<lb/><hi rendition="#aq">dediticii,</hi> und auch an freyge-<lb/>
bornen Latinen in &#x017F;ehr großer<lb/>
Anzahl konnte es nicht fehlen, da<lb/>
die Latinität, welche Ve&#x017F;pa&#x017F;tan<lb/>
an ganz Spanien gab (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Plinius</hi><lb/>
hist. nat. III.</hi> 4.), &#x017F;o viel wir<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, er&#x017F;t in der allgemeinen<lb/>
Civität von Caracalla unterge-<lb/>
gangen i&#x017F;t.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0455] §. 59. Abweichende Meynungen über die Klaſſification. alſo das erſte Buch der Inſtitutionen weſentlich Mehr und weſentlich Weniger enthält, als es nach dem von Hugo angenommenen Inhalt deſſelben enthalten müßte, ſo ſcheint mir dadurch dieſe Annahme ſelbſt voͤllig widerlegt. — Be- trachten wir aber genauer dasjenige, was in der That im erſten Buch der Inſtitutionen vorgefunden wird, ſo iſt es faſt ganz daſſelbe, was ich oben als Familienrecht bezeichnet habe. Es handelt nämlich in der That von Ehe, väter- licher Gewalt, Manus, Sklaverey, Patronat (nämlich von den Freygelaſſenen nach ihren verſchiedenen Klaſſen), Mancipium, Vormundſchaft (k). Dagegen kommen nicht vor die Cives, latini, peregrini, ſo wichtig dieſe auch für die Rechtsfähigkeit ſind: denn dieſe gehoͤren an ſich in das oͤffentliche Recht, obgleich eine Einwirkung derſelben auf das Privatrecht (durch die Rechtsfähigkeit) unverkennbar iſt. Nur die Verwandtſchaft, die ich als Zweig der Fa- (i) (k) Daß Juſtinian von dieſen Rechtsinſtituten die außer Ge- brauch gekommenen weggelaſſen hat, iſt gewiß kein Gegengrund; zugeſetzt hat er keine. (i) Freygelaſſenen, alſo bey dem Pa- tronat, womit bey jeder dieſer drey Klaſſen verſchiedene Rechte verbunden ſind (1 § 12 fg.). Die- ſes letzte kann leicht für eine ab- ſichtliche Darſtellung der erwähn- ten Eintheilung angeſehen wer- den, allein es iſt doch auf jeden Fall nur eine ganz einzelne An- wendung jenes ſo allgemeinen Un- terſchieds. Wollte man ſagen, es ſey zur Zeit des Gajus die wich- tigſte Anwendung geweſen, ſo wäre das offenbar falſch. Denn die vielen Millionen freygeborner Peregrinen in den Provinzen wa- ren doch gewiß wichtiger als die dediticii, und auch an freyge- bornen Latinen in ſehr großer Anzahl konnte es nicht fehlen, da die Latinität, welche Veſpaſtan an ganz Spanien gab (Plinius hist. nat. III. 4.), ſo viel wir wiſſen, erſt in der allgemeinen Civität von Caracalla unterge- gangen iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/455
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/455>, abgerufen am 19.05.2024.