Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.§. 59. Abweichende Meynungen über die Klassification. erklärt worden, daß der Werth des Gajus durch das,was wir an ihm auszusetzen finden, gar nicht vermindert werde: und nach demselben Princip können auch in un- sern Tagen verschiedene Rechtssysteme friedlich neben ein- ander bestehen, so abweichend ihre Einrichtung dem ersten Blick auch erscheinen mag. Die Duldsamkeit also, die hier in Anspruch genommen wird, darf nicht verstanden werden als Gleichgültigkeit gegen das Unvollkommene ir- gend einer Art, sondern als ehrende Anerkennung des freyen Spielraums individueller Auffassung, worauf das wahre Leben aller Wissenschaft beruht. Noch ist hier eine in unsern Rechtsquellen vorkom- (t) L. 10 § 1 de just. et jure (1. 1.), § 3 J. eod. (1. 1.).
§. 59. Abweichende Meynungen über die Klaſſification. erklärt worden, daß der Werth des Gajus durch das,was wir an ihm auszuſetzen finden, gar nicht vermindert werde: und nach demſelben Princip können auch in un- ſern Tagen verſchiedene Rechtsſyſteme friedlich neben ein- ander beſtehen, ſo abweichend ihre Einrichtung dem erſten Blick auch erſcheinen mag. Die Duldſamkeit alſo, die hier in Anſpruch genommen wird, darf nicht verſtanden werden als Gleichgültigkeit gegen das Unvollkommene ir- gend einer Art, ſondern als ehrende Anerkennung des freyen Spielraums individueller Auffaſſung, worauf das wahre Leben aller Wiſſenſchaft beruht. Noch iſt hier eine in unſern Rechtsquellen vorkom- (t) L. 10 § 1 de just. et jure (1. 1.), § 3 J. eod. (1. 1.).
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§. 59. Abweichende Meynungen über die Klaſſification.
erklärt worden, daß der Werth des Gajus durch das,
was wir an ihm auszuſetzen finden, gar nicht vermindert
werde: und nach demſelben Princip können auch in un-
ſern Tagen verſchiedene Rechtsſyſteme friedlich neben ein-
ander beſtehen, ſo abweichend ihre Einrichtung dem erſten
Blick auch erſcheinen mag. Die Duldſamkeit alſo, die
hier in Anſpruch genommen wird, darf nicht verſtanden
werden als Gleichgültigkeit gegen das Unvollkommene ir-
gend einer Art, ſondern als ehrende Anerkennung des freyen
Spielraums individueller Auffaſſung, worauf das wahre
Leben aller Wiſſenſchaft beruht.
Noch iſt hier eine in unſern Rechtsquellen vorkom-
mende allgemeine Anſicht zu erwähnen, die auf den erſten
Blick gleichfalls als Grundlage einer Klaſſification ange-
ſehen werden könnte, die ich jedoch nur anhangsweiſe be-
handle, weil ſie in der That zu jenem Zweck von neueren
Schriftſtellern nicht angewendet worden iſt. Ich meyne
die drey Juris praecepta, welche Ulpian in folgenden
Worten aufſtellt: Juris praecepta sunt haec; honeste vi-
vere, neminem laedere, suum cuique tribuere (t). Ho-
neste vivere iſt die Erhaltung der ſittlichen Würde in der
eigenen Perſon, ſo weit dieſe Würde äußerlich ſichtbar
wird. Neminem laedere iſt die Achtung der fremden Per-
(t) L. 10 § 1 de just. et jure (1. 1.), § 3 J. eod. (1. 1.).
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