Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten. sönlichkeit als solcher, also die praktische Anerkennung dersogenannten Urrechte. Suum cuique tribuere endlich ist die Anerkennung der gesammten erworbenen Rechte ande- rer Menschen (u). Sind nun dieses in der That Rechts- regeln, wie man nach Ulpians Ausdruck glauben möchte? Das zweyte und dritte praeceptum scheinen solche Regeln zu seyn, das erste nicht; in der That aber sind in allen keine Rechtsregeln zu suchen, sondern vielmehr sittliche Vorschriften, worin Rechtsregeln ihre Grundlage haben. Von dem dritten praeceptum ist dieses sogleich einleuch- tend, es ist das sittliche Gebot der Gerechtigkeit, welches hier mit dem System der erworbenen Rechte gleichen In- halt und Umfang hat (v). Auch bey dem zweyten ist es unverkennbar, daß darin viele der wichtigsten Rechtsre- geln ihren Ursprung haben. Aber selbst das erste prae- ceptum, bey welchem diese Beziehung am meisten zweifel- (u) Manche haben gesagt, das zweyte praeceptum betreffe die Person, das dritte das Vermö- gen; darin liegt aber nicht die wahre Gränze. Daß Einer die Ehe oder väterliche Gewalt eines Andern nicht verletze, gehört zum dritten praeceptum (obgleich es nicht das Vermögen betrifft), die Vermeidung des Todtschlags zum zweyten. -- Burchardi Grund- züge des Rechtssystems § 42 fg. deutet die drey praecepta in sei- ner Weise: das erste als jus pu- blicum, das zweyte als jus pri- vatum, das dritte als das ge- mischte Actionenrecht. Vgl. oben § 16. o. (v) Daraus erklärt sich, warum
die justitia ausschließend als vo- luntas jus suum cuique tribu- endi erklärt zu werden pflegt, ohne Erwähnung der beiden er- sten praecepta. L. 10 pr. de J. et J. (1. 1.), L. 31 § 1 depos. (16. 3.), Cicero de invent. II. 53, de finibus V. 23, Auct. ad Herenn. III. 2. Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten. ſönlichkeit als ſolcher, alſo die praktiſche Anerkennung derſogenannten Urrechte. Suum cuique tribuere endlich iſt die Anerkennung der geſammten erworbenen Rechte ande- rer Menſchen (u). Sind nun dieſes in der That Rechts- regeln, wie man nach Ulpians Ausdruck glauben möchte? Das zweyte und dritte praeceptum ſcheinen ſolche Regeln zu ſeyn, das erſte nicht; in der That aber ſind in allen keine Rechtsregeln zu ſuchen, ſondern vielmehr ſittliche Vorſchriften, worin Rechtsregeln ihre Grundlage haben. Von dem dritten praeceptum iſt dieſes ſogleich einleuch- tend, es iſt das ſittliche Gebot der Gerechtigkeit, welches hier mit dem Syſtem der erworbenen Rechte gleichen In- halt und Umfang hat (v). Auch bey dem zweyten iſt es unverkennbar, daß darin viele der wichtigſten Rechtsre- geln ihren Urſprung haben. Aber ſelbſt das erſte prae- ceptum, bey welchem dieſe Beziehung am meiſten zweifel- (u) Manche haben geſagt, das zweyte praeceptum betreffe die Perſon, das dritte das Vermö- gen; darin liegt aber nicht die wahre Gränze. Daß Einer die Ehe oder väterliche Gewalt eines Andern nicht verletze, gehört zum dritten praeceptum (obgleich es nicht das Vermögen betrifft), die Vermeidung des Todtſchlags zum zweyten. — Burchardi Grund- züge des Rechtsſyſtems § 42 fg. deutet die drey praecepta in ſei- ner Weiſe: das erſte als jus pu- blicum, das zweyte als jus pri- vatum, das dritte als das ge- miſchte Actionenrecht. Vgl. oben § 16. o. (v) Daraus erklärt ſich, warum
die justitia ausſchließend als vo- luntas jus suum cuique tribu- endi erklärt zu werden pflegt, ohne Erwähnung der beiden er- ſten praecepta. L. 10 pr. de J. et J. (1. 1.), L. 31 § 1 depos. (16. 3.), Cicero de invent. II. 53, de finibus V. 23, Auct. ad Herenn. III. 2. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0464" n="408"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">I.</hi> Weſen und Arten.</fw><lb/> ſönlichkeit als ſolcher, alſo die praktiſche Anerkennung der<lb/> ſogenannten Urrechte. <hi rendition="#aq">Suum cuique tribuere</hi> endlich iſt<lb/> die Anerkennung der geſammten erworbenen Rechte ande-<lb/> rer Menſchen <note place="foot" n="(u)">Manche haben geſagt, das<lb/> zweyte <hi rendition="#aq">praeceptum</hi> betreffe die<lb/> Perſon, das dritte das Vermö-<lb/> gen; darin liegt aber nicht die<lb/> wahre Gränze. Daß Einer die<lb/> Ehe oder väterliche Gewalt eines<lb/> Andern nicht verletze, gehört zum<lb/> dritten <hi rendition="#aq">praeceptum</hi> (obgleich es<lb/> nicht das Vermögen betrifft), die<lb/> Vermeidung des Todtſchlags zum<lb/> zweyten. — <hi rendition="#g">Burchardi</hi> Grund-<lb/> züge des Rechtsſyſtems § 42 fg.<lb/> deutet die drey <hi rendition="#aq">praecepta</hi> in ſei-<lb/> ner Weiſe: das erſte als <hi rendition="#aq">jus pu-<lb/> blicum,</hi> das zweyte als <hi rendition="#aq">jus pri-<lb/> vatum,</hi> das dritte als das ge-<lb/> miſchte Actionenrecht. Vgl. oben<lb/> § 16. o.</note>. Sind nun dieſes in der That Rechts-<lb/> regeln, wie man nach Ulpians Ausdruck glauben möchte?<lb/> Das zweyte und dritte <hi rendition="#aq">praeceptum</hi> ſcheinen ſolche Regeln<lb/> zu ſeyn, das erſte nicht; in der That aber ſind in allen<lb/> keine Rechtsregeln zu ſuchen, ſondern vielmehr ſittliche<lb/> Vorſchriften, worin Rechtsregeln ihre Grundlage haben.<lb/> Von dem dritten <hi rendition="#aq">praeceptum</hi> iſt dieſes ſogleich einleuch-<lb/> tend, es iſt das ſittliche Gebot der Gerechtigkeit, welches<lb/> hier mit dem Syſtem der erworbenen Rechte gleichen In-<lb/> halt und Umfang hat <note place="foot" n="(v)">Daraus erklärt ſich, warum<lb/> die <hi rendition="#aq">justitia</hi> ausſchließend als <hi rendition="#aq">vo-<lb/> luntas jus suum cuique tribu-<lb/> endi</hi> erklärt zu werden pflegt,<lb/> ohne Erwähnung der beiden er-<lb/> ſten <hi rendition="#aq">praecepta. <hi rendition="#i">L.</hi> 10 <hi rendition="#i">pr. de J.<lb/> et J.</hi> (1. 1.), <hi rendition="#i">L.</hi> 31 § 1 <hi rendition="#i">depos.</hi><lb/> (16. 3.), <hi rendition="#k">Cicero</hi> de invent. II.<lb/> 53, de finibus V. 23, Auct. ad<lb/> Herenn. III.</hi> 2.</note>. Auch bey dem zweyten iſt es<lb/> unverkennbar, daß darin viele der wichtigſten Rechtsre-<lb/> geln ihren Urſprung haben. Aber ſelbſt das erſte <hi rendition="#aq">prae-<lb/> ceptum,</hi> bey welchem dieſe Beziehung am meiſten zweifel-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [408/0464]
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ſönlichkeit als ſolcher, alſo die praktiſche Anerkennung der
ſogenannten Urrechte. Suum cuique tribuere endlich iſt
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rer Menſchen (u). Sind nun dieſes in der That Rechts-
regeln, wie man nach Ulpians Ausdruck glauben möchte?
Das zweyte und dritte praeceptum ſcheinen ſolche Regeln
zu ſeyn, das erſte nicht; in der That aber ſind in allen
keine Rechtsregeln zu ſuchen, ſondern vielmehr ſittliche
Vorſchriften, worin Rechtsregeln ihre Grundlage haben.
Von dem dritten praeceptum iſt dieſes ſogleich einleuch-
tend, es iſt das ſittliche Gebot der Gerechtigkeit, welches
hier mit dem Syſtem der erworbenen Rechte gleichen In-
halt und Umfang hat (v). Auch bey dem zweyten iſt es
unverkennbar, daß darin viele der wichtigſten Rechtsre-
geln ihren Urſprung haben. Aber ſelbſt das erſte prae-
ceptum, bey welchem dieſe Beziehung am meiſten zweifel-
(u) Manche haben geſagt, das
zweyte praeceptum betreffe die
Perſon, das dritte das Vermö-
gen; darin liegt aber nicht die
wahre Gränze. Daß Einer die
Ehe oder väterliche Gewalt eines
Andern nicht verletze, gehört zum
dritten praeceptum (obgleich es
nicht das Vermögen betrifft), die
Vermeidung des Todtſchlags zum
zweyten. — Burchardi Grund-
züge des Rechtsſyſtems § 42 fg.
deutet die drey praecepta in ſei-
ner Weiſe: das erſte als jus pu-
blicum, das zweyte als jus pri-
vatum, das dritte als das ge-
miſchte Actionenrecht. Vgl. oben
§ 16. o.
(v) Daraus erklärt ſich, warum
die justitia ausſchließend als vo-
luntas jus suum cuique tribu-
endi erklärt zu werden pflegt,
ohne Erwähnung der beiden er-
ſten praecepta. L. 10 pr. de J.
et J. (1. 1.), L. 31 § 1 depos.
(16. 3.), Cicero de invent. II.
53, de finibus V. 23, Auct. ad
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