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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 59. Abweichende Meynungen über die Klassification.
haft erscheint, ist dennoch der Entstehungsgrund von Rechts-
regeln, und kann deswegen im Sinn Ulpians ein Juris
praeceptum
genannt werden. Aus ihm entspringt jede
Rechtsanstalt gegen Verletzung der boni mores, gegen das
turpe (w). Aber zu ihm gehört zugleich die wichtige, so
Vieles umfassende, Summe von Rechtsregeln, die sich auf
die Forderung der Wahrheit und Redlichkeit gründen,
also der höchst mannichfaltige Einfluß des Dolus auf alle
Theile des Privatrechts. Von diesen Rechtsregeln kann
man sagen, daß sie dem ersten und zweyten praeceptum
zugleich angehören, indem sie in jedem derselben ihre eigene,
von dem andern praeceptum unabhängige, Rechtfertigung
finden. Die drey praecepta sind also keine Rechtsregeln,
aber sie begründen eine Klassification der Rechtsregeln
nach ihren Entstehungsgründen: nur daß freylich Niemand
daran denken wird, das System der Rechte nach dieser
Ordnung abzuhandeln. Sucht man die Rangordnung der
drey praecepta nach ihrem inneren Wesen zu bestimmen,
so steht das erste am höchsten, weil es das innerlichste ist,
und eben deshalb auch den Keim der anderen mit in sich
trägt; das zweyte hat schon einen mehr äußerlichen Cha-
racter, das dritte noch mehr. Daher können auch diese
beide vollständig beobachtet werden, unabhängig von der
sittlichen Gesinnung des rechtlich handelnden Menschen.

(w) Dahin gehört die Ungül-
tigkeit der Verträge, welche et-
was Unsittliches mittelbar oder un-
mittelbar befördern: eben so die
condictio ob turpem causam.

§. 59. Abweichende Meynungen über die Klaſſification.
haft erſcheint, iſt dennoch der Entſtehungsgrund von Rechts-
regeln, und kann deswegen im Sinn Ulpians ein Juris
praeceptum
genannt werden. Aus ihm entſpringt jede
Rechtsanſtalt gegen Verletzung der boni mores, gegen das
turpe (w). Aber zu ihm gehört zugleich die wichtige, ſo
Vieles umfaſſende, Summe von Rechtsregeln, die ſich auf
die Forderung der Wahrheit und Redlichkeit gründen,
alſo der höchſt mannichfaltige Einfluß des Dolus auf alle
Theile des Privatrechts. Von dieſen Rechtsregeln kann
man ſagen, daß ſie dem erſten und zweyten praeceptum
zugleich angehören, indem ſie in jedem derſelben ihre eigene,
von dem andern praeceptum unabhängige, Rechtfertigung
finden. Die drey praecepta ſind alſo keine Rechtsregeln,
aber ſie begründen eine Klaſſification der Rechtsregeln
nach ihren Entſtehungsgründen: nur daß freylich Niemand
daran denken wird, das Syſtem der Rechte nach dieſer
Ordnung abzuhandeln. Sucht man die Rangordnung der
drey praecepta nach ihrem inneren Weſen zu beſtimmen,
ſo ſteht das erſte am hoͤchſten, weil es das innerlichſte iſt,
und eben deshalb auch den Keim der anderen mit in ſich
trägt; das zweyte hat ſchon einen mehr äußerlichen Cha-
racter, das dritte noch mehr. Daher koͤnnen auch dieſe
beide vollſtändig beobachtet werden, unabhängig von der
ſittlichen Geſinnung des rechtlich handelnden Menſchen.

(w) Dahin gehört die Ungül-
tigkeit der Verträge, welche et-
was Unſittliches mittelbar oder un-
mittelbar befördern: eben ſo die
condictio ob turpem causam.
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[409/0465] §. 59. Abweichende Meynungen über die Klaſſification. haft erſcheint, iſt dennoch der Entſtehungsgrund von Rechts- regeln, und kann deswegen im Sinn Ulpians ein Juris praeceptum genannt werden. Aus ihm entſpringt jede Rechtsanſtalt gegen Verletzung der boni mores, gegen das turpe (w). Aber zu ihm gehört zugleich die wichtige, ſo Vieles umfaſſende, Summe von Rechtsregeln, die ſich auf die Forderung der Wahrheit und Redlichkeit gründen, alſo der höchſt mannichfaltige Einfluß des Dolus auf alle Theile des Privatrechts. Von dieſen Rechtsregeln kann man ſagen, daß ſie dem erſten und zweyten praeceptum zugleich angehören, indem ſie in jedem derſelben ihre eigene, von dem andern praeceptum unabhängige, Rechtfertigung finden. Die drey praecepta ſind alſo keine Rechtsregeln, aber ſie begründen eine Klaſſification der Rechtsregeln nach ihren Entſtehungsgründen: nur daß freylich Niemand daran denken wird, das Syſtem der Rechte nach dieſer Ordnung abzuhandeln. Sucht man die Rangordnung der drey praecepta nach ihrem inneren Weſen zu beſtimmen, ſo ſteht das erſte am hoͤchſten, weil es das innerlichſte iſt, und eben deshalb auch den Keim der anderen mit in ſich trägt; das zweyte hat ſchon einen mehr äußerlichen Cha- racter, das dritte noch mehr. Daher koͤnnen auch dieſe beide vollſtändig beobachtet werden, unabhängig von der ſittlichen Geſinnung des rechtlich handelnden Menſchen. (w) Dahin gehört die Ungül- tigkeit der Verträge, welche et- was Unſittliches mittelbar oder un- mittelbar befördern: eben ſo die condictio ob turpem causam.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/465>, abgerufen am 24.11.2024.