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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Vorrede.

Der Stoff zu dem vorliegenden Werk ist allmälig
in Vorlesungen gesammelt und verarbeitet worden, die
der Verfasser gerade seit dem Anfang des Jahrhunderts
über das Römische Recht gehalten hat. Allein in der
Gestalt, in welcher es hier vorliegt, ist es dennoch eine
völlig neue Arbeit, wozu jene Vorlesungen nur als Vor-
bereitung benutzt werden konnten. Denn Vorlesungen
sind für Unkundige bestimmt; sie sollen Denselben neue,
fremde Gegenstände zum Bewußtseyn bringen, indem sie
diese Mittheilung an andere Kenntnisse der Zuhörer,
und an die allgemeine Bildung derselben, anzuknüpfen
suchen. Der Schriftsteller dagegen arbeitet für die Kun-
digen; er setzt bey ihnen den Besitz der Wissenschaft in
ihrer gegenwärtigen Gestalt voraus, knüpft seine Mit-
theilung an diesen Besitz an, und fordert sie auf, Das
was sie wissen, gemeinschaftlich mit ihm, von Neuem zu
durchdenken, damit sie ihren Besitz reinigen, sichern, er-
weitern. So unläugbar nun dieser Gegensatz beider
Formen der Mittheilung ist, so sind doch auch Über-
gänge nicht nur denkbar, sondern unverwerflich. Auch
der Schriftsteller kann zuweilen den Stoff auf solche
Weise behandeln, daß er unvermerkt, gemeinschaftlich
mit dem Leser, auf die Anfänge wissenschaftlicher Be-
griffe zurückgeht, und sie so vor seinen Augen gleichsam

Vorrede.

Der Stoff zu dem vorliegenden Werk iſt allmälig
in Vorleſungen geſammelt und verarbeitet worden, die
der Verfaſſer gerade ſeit dem Anfang des Jahrhunderts
über das Römiſche Recht gehalten hat. Allein in der
Geſtalt, in welcher es hier vorliegt, iſt es dennoch eine
völlig neue Arbeit, wozu jene Vorleſungen nur als Vor-
bereitung benutzt werden konnten. Denn Vorleſungen
ſind für Unkundige beſtimmt; ſie ſollen Denſelben neue,
fremde Gegenſtände zum Bewußtſeyn bringen, indem ſie
dieſe Mittheilung an andere Kenntniſſe der Zuhörer,
und an die allgemeine Bildung derſelben, anzuknüpfen
ſuchen. Der Schriftſteller dagegen arbeitet für die Kun-
digen; er ſetzt bey ihnen den Beſitz der Wiſſenſchaft in
ihrer gegenwärtigen Geſtalt voraus, knüpft ſeine Mit-
theilung an dieſen Beſitz an, und fordert ſie auf, Das
was ſie wiſſen, gemeinſchaftlich mit ihm, von Neuem zu
durchdenken, damit ſie ihren Beſitz reinigen, ſichern, er-
weitern. So unläugbar nun dieſer Gegenſatz beider
Formen der Mittheilung iſt, ſo ſind doch auch Über-
gänge nicht nur denkbar, ſondern unverwerflich. Auch
der Schriftſteller kann zuweilen den Stoff auf ſolche
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[XLVIII/0054] Vorrede. Der Stoff zu dem vorliegenden Werk iſt allmälig in Vorleſungen geſammelt und verarbeitet worden, die der Verfaſſer gerade ſeit dem Anfang des Jahrhunderts über das Römiſche Recht gehalten hat. Allein in der Geſtalt, in welcher es hier vorliegt, iſt es dennoch eine völlig neue Arbeit, wozu jene Vorleſungen nur als Vor- bereitung benutzt werden konnten. Denn Vorleſungen ſind für Unkundige beſtimmt; ſie ſollen Denſelben neue, fremde Gegenſtände zum Bewußtſeyn bringen, indem ſie dieſe Mittheilung an andere Kenntniſſe der Zuhörer, und an die allgemeine Bildung derſelben, anzuknüpfen ſuchen. Der Schriftſteller dagegen arbeitet für die Kun- digen; er ſetzt bey ihnen den Beſitz der Wiſſenſchaft in ihrer gegenwärtigen Geſtalt voraus, knüpft ſeine Mit- theilung an dieſen Beſitz an, und fordert ſie auf, Das was ſie wiſſen, gemeinſchaftlich mit ihm, von Neuem zu durchdenken, damit ſie ihren Beſitz reinigen, ſichern, er- weitern. So unläugbar nun dieſer Gegenſatz beider Formen der Mittheilung iſt, ſo ſind doch auch Über- gänge nicht nur denkbar, ſondern unverwerflich. Auch der Schriftſteller kann zuweilen den Stoff auf ſolche Weiſe behandeln, daß er unvermerkt, gemeinſchaftlich mit dem Leſer, auf die Anfänge wiſſenſchaftlicher Be- griffe zurückgeht, und ſie ſo vor ſeinen Augen gleichſam

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. XLVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/54>, abgerufen am 24.11.2024.