4. Endlich nur das System der Rechte selbst, mit Ausschluß des Prozesses, oder der zur Rechtsverfolgung bestimmten Anstalten: also nur dasjenige, was von Vie- len das materielle Privatrecht genannt wird. Denn der Prozeß hat sich durch die Mischung historisch verschiede- ner Quellen auf so eigenthümliche Weise ausgebildet, daß eine abgesonderte Behandlung desselben nothwendig ge- worden ist, anstatt daß die Römischen Juristen die unmit- telbare Verbindung desselben mit der Theorie des mate- riellen Rechts nicht nur für möglich, sondern für zweck- mäßig halten durften. Was nun die Gränze unsrer Aufgabe nach dieser Seite hin betrifft, so ist dieselbe zwar dem Grundsatz nach nicht zweifelhaft, in der Anwendung aber wird sie häufig verkannt, hauptsächlich deshalb, weil ein und dasselbe Institut in der That beiden Ge- bieten angehören kann. So z. B. gehört das richterliche Urtheil, nach seiner Form und seinen Bedingungen, in den Prozeß: dagegen hat es, sobald es rechtskräftig ist, zweyerley Wirkungen: die aus einer res judicata ent- springende actio und exceptio (die in das System der Rechte selbst gehören), und die Exsecution, die eine reine Prozeßlehre ist.
Werden diese Beschränkungen unter einen gemeinsa- men Gesichtspunkt zusammengefaßt, so bestimmen sie das Römische Recht genau in dem Sinn, in welchem es für einen großen Theil von Europa gemeines Recht ge- worden ist.
1*
§. 1. Heutiges Römiſches Recht.
4. Endlich nur das Syſtem der Rechte ſelbſt, mit Ausſchluß des Prozeſſes, oder der zur Rechtsverfolgung beſtimmten Anſtalten: alſo nur dasjenige, was von Vie- len das materielle Privatrecht genannt wird. Denn der Prozeß hat ſich durch die Miſchung hiſtoriſch verſchiede- ner Quellen auf ſo eigenthümliche Weiſe ausgebildet, daß eine abgeſonderte Behandlung deſſelben nothwendig ge- worden iſt, anſtatt daß die Römiſchen Juriſten die unmit- telbare Verbindung deſſelben mit der Theorie des mate- riellen Rechts nicht nur für möglich, ſondern für zweck- mäßig halten durften. Was nun die Gränze unſrer Aufgabe nach dieſer Seite hin betrifft, ſo iſt dieſelbe zwar dem Grundſatz nach nicht zweifelhaft, in der Anwendung aber wird ſie häufig verkannt, hauptſächlich deshalb, weil ein und daſſelbe Inſtitut in der That beiden Ge- bieten angehören kann. So z. B. gehört das richterliche Urtheil, nach ſeiner Form und ſeinen Bedingungen, in den Prozeß: dagegen hat es, ſobald es rechtskräftig iſt, zweyerley Wirkungen: die aus einer res judicata ent- ſpringende actio und exceptio (die in das Syſtem der Rechte ſelbſt gehören), und die Exſecution, die eine reine Prozeßlehre iſt.
Werden dieſe Beſchränkungen unter einen gemeinſa- men Geſichtspunkt zuſammengefaßt, ſo beſtimmen ſie das Römiſche Recht genau in dem Sinn, in welchem es für einen großen Theil von Europa gemeines Recht ge- worden iſt.
1*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0059"n="3"/><fwplace="top"type="header">§. 1. Heutiges Römiſches Recht.</fw><lb/><p>4. Endlich nur das Syſtem der Rechte ſelbſt, mit<lb/>
Ausſchluß des Prozeſſes, oder der zur Rechtsverfolgung<lb/>
beſtimmten Anſtalten: alſo nur dasjenige, was von Vie-<lb/>
len das materielle Privatrecht genannt wird. Denn der<lb/>
Prozeß hat ſich durch die Miſchung hiſtoriſch verſchiede-<lb/>
ner Quellen auf ſo eigenthümliche Weiſe ausgebildet, daß<lb/>
eine abgeſonderte Behandlung deſſelben nothwendig ge-<lb/>
worden iſt, anſtatt daß die Römiſchen Juriſten die unmit-<lb/>
telbare Verbindung deſſelben mit der Theorie des mate-<lb/>
riellen Rechts nicht nur für möglich, ſondern für zweck-<lb/>
mäßig halten durften. Was nun die Gränze unſrer<lb/>
Aufgabe nach dieſer Seite hin betrifft, ſo iſt dieſelbe zwar<lb/>
dem Grundſatz nach nicht zweifelhaft, in der Anwendung<lb/>
aber wird ſie häufig verkannt, hauptſächlich deshalb,<lb/>
weil ein und daſſelbe Inſtitut in der That beiden Ge-<lb/>
bieten angehören kann. So z. B. gehört das richterliche<lb/>
Urtheil, nach ſeiner Form und ſeinen Bedingungen, in<lb/>
den Prozeß: dagegen hat es, ſobald es rechtskräftig iſt,<lb/>
zweyerley Wirkungen: die aus einer <hirendition="#aq">res judicata</hi> ent-<lb/>ſpringende <hirendition="#aq">actio</hi> und <hirendition="#aq">exceptio</hi> (die in das Syſtem der<lb/>
Rechte ſelbſt gehören), und die Exſecution, die eine reine<lb/>
Prozeßlehre iſt.</p><lb/><p>Werden dieſe Beſchränkungen unter einen gemeinſa-<lb/>
men Geſichtspunkt zuſammengefaßt, ſo beſtimmen ſie<lb/>
das Römiſche Recht genau in dem Sinn, in welchem es<lb/>
für einen großen Theil von Europa gemeines Recht ge-<lb/>
worden iſt.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">1*</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[3/0059]
§. 1. Heutiges Römiſches Recht.
4. Endlich nur das Syſtem der Rechte ſelbſt, mit
Ausſchluß des Prozeſſes, oder der zur Rechtsverfolgung
beſtimmten Anſtalten: alſo nur dasjenige, was von Vie-
len das materielle Privatrecht genannt wird. Denn der
Prozeß hat ſich durch die Miſchung hiſtoriſch verſchiede-
ner Quellen auf ſo eigenthümliche Weiſe ausgebildet, daß
eine abgeſonderte Behandlung deſſelben nothwendig ge-
worden iſt, anſtatt daß die Römiſchen Juriſten die unmit-
telbare Verbindung deſſelben mit der Theorie des mate-
riellen Rechts nicht nur für möglich, ſondern für zweck-
mäßig halten durften. Was nun die Gränze unſrer
Aufgabe nach dieſer Seite hin betrifft, ſo iſt dieſelbe zwar
dem Grundſatz nach nicht zweifelhaft, in der Anwendung
aber wird ſie häufig verkannt, hauptſächlich deshalb,
weil ein und daſſelbe Inſtitut in der That beiden Ge-
bieten angehören kann. So z. B. gehört das richterliche
Urtheil, nach ſeiner Form und ſeinen Bedingungen, in
den Prozeß: dagegen hat es, ſobald es rechtskräftig iſt,
zweyerley Wirkungen: die aus einer res judicata ent-
ſpringende actio und exceptio (die in das Syſtem der
Rechte ſelbſt gehören), und die Exſecution, die eine reine
Prozeßlehre iſt.
Werden dieſe Beſchränkungen unter einen gemeinſa-
men Geſichtspunkt zuſammengefaßt, ſo beſtimmen ſie
das Römiſche Recht genau in dem Sinn, in welchem es
für einen großen Theil von Europa gemeines Recht ge-
worden iſt.
1*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/59>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.