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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch I. Quellen. Kap. I. Aufgabe des Werks.
§. 2.
Gemeines Recht in Deutschland.

Mit dem im § 1. festgestellten Begriff des heutigen
Römischen Rechts ist nahe verwandt der Begriff des in
Deutschland geltenden gemeinen Rechts. Dieser steht
in Verbindung mit der eigenthümlichen Verfassung des
deutschen Reichs, dessen einzelne Staaten unter der ge-
meinsamen Staatsgewalt des Reichs vereinigt waren.
So stand jeder Theil von Deutschland unter einer zwie-
fachen Staatsgewalt, und unter dem Einfluß derselben
hatte sich überall ein zwiefaches positives Recht gebildet,
Territorialrecht und gemeines Recht. Bey der Auflö-
sung des Deutschen Reichs behaupteten nun manche Schrift-
steller, daß das gemeine Recht mit seiner Basis, der
Reichsstaatsgewalt, auch seine Geltung verloren habe.
Diese Meynung, entstanden aus einem Misverständniß
über die Natur des positiven Rechts, ist indessen ganz
ohne Einfluß auf den wirklichen Rechtszustand geblieben (a).

Es ist nun das hier genannte gemeine Recht kein
anderes, als jenes heutige Römische Recht, nur in der
besondern Anwendung auf das Deutsche Reich, also mit

(a) Jene gehen von der irri-
gen Ansicht aus, als müsse mit
der Auflösung einer Staatsgewalt
auch alles durch sie oder unter
ihrem Einfluß Gebildete mit auf-
hören. Ein ganz ähnlicher Fall
findet sich bei der Zerstörung
des westlichen Römischen Reiches.
Auch hier behaupten Viele, das
Römische Recht habe durch die
Eroberung verschwinden müssen,
und es sey auch wirklich ver-
schwunden. Wenigstens diese facti-
sche Behauptung dürfte wohl jetzt
nicht leicht mehr Vertheidiger
finden.
Buch I. Quellen. Kap. I. Aufgabe des Werks.
§. 2.
Gemeines Recht in Deutſchland.

Mit dem im § 1. feſtgeſtellten Begriff des heutigen
Römiſchen Rechts iſt nahe verwandt der Begriff des in
Deutſchland geltenden gemeinen Rechts. Dieſer ſteht
in Verbindung mit der eigenthümlichen Verfaſſung des
deutſchen Reichs, deſſen einzelne Staaten unter der ge-
meinſamen Staatsgewalt des Reichs vereinigt waren.
So ſtand jeder Theil von Deutſchland unter einer zwie-
fachen Staatsgewalt, und unter dem Einfluß derſelben
hatte ſich überall ein zwiefaches poſitives Recht gebildet,
Territorialrecht und gemeines Recht. Bey der Auflö-
ſung des Deutſchen Reichs behaupteten nun manche Schrift-
ſteller, daß das gemeine Recht mit ſeiner Baſis, der
Reichsſtaatsgewalt, auch ſeine Geltung verloren habe.
Dieſe Meynung, entſtanden aus einem Misverſtändniß
über die Natur des poſitiven Rechts, iſt indeſſen ganz
ohne Einfluß auf den wirklichen Rechtszuſtand geblieben (a).

Es iſt nun das hier genannte gemeine Recht kein
anderes, als jenes heutige Römiſche Recht, nur in der
beſondern Anwendung auf das Deutſche Reich, alſo mit

(a) Jene gehen von der irri-
gen Anſicht aus, als müſſe mit
der Auflöſung einer Staatsgewalt
auch alles durch ſie oder unter
ihrem Einfluß Gebildete mit auf-
hören. Ein ganz ähnlicher Fall
findet ſich bei der Zerſtörung
des weſtlichen Römiſchen Reiches.
Auch hier behaupten Viele, das
Römiſche Recht habe durch die
Eroberung verſchwinden müſſen,
und es ſey auch wirklich ver-
ſchwunden. Wenigſtens dieſe facti-
ſche Behauptung dürfte wohl jetzt
nicht leicht mehr Vertheidiger
finden.
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[4/0060] Buch I. Quellen. Kap. I. Aufgabe des Werks. §. 2. Gemeines Recht in Deutſchland. Mit dem im § 1. feſtgeſtellten Begriff des heutigen Römiſchen Rechts iſt nahe verwandt der Begriff des in Deutſchland geltenden gemeinen Rechts. Dieſer ſteht in Verbindung mit der eigenthümlichen Verfaſſung des deutſchen Reichs, deſſen einzelne Staaten unter der ge- meinſamen Staatsgewalt des Reichs vereinigt waren. So ſtand jeder Theil von Deutſchland unter einer zwie- fachen Staatsgewalt, und unter dem Einfluß derſelben hatte ſich überall ein zwiefaches poſitives Recht gebildet, Territorialrecht und gemeines Recht. Bey der Auflö- ſung des Deutſchen Reichs behaupteten nun manche Schrift- ſteller, daß das gemeine Recht mit ſeiner Baſis, der Reichsſtaatsgewalt, auch ſeine Geltung verloren habe. Dieſe Meynung, entſtanden aus einem Misverſtändniß über die Natur des poſitiven Rechts, iſt indeſſen ganz ohne Einfluß auf den wirklichen Rechtszuſtand geblieben (a). Es iſt nun das hier genannte gemeine Recht kein anderes, als jenes heutige Römiſche Recht, nur in der beſondern Anwendung auf das Deutſche Reich, alſo mit (a) Jene gehen von der irri- gen Anſicht aus, als müſſe mit der Auflöſung einer Staatsgewalt auch alles durch ſie oder unter ihrem Einfluß Gebildete mit auf- hören. Ein ganz ähnlicher Fall findet ſich bei der Zerſtörung des weſtlichen Römiſchen Reiches. Auch hier behaupten Viele, das Römiſche Recht habe durch die Eroberung verſchwinden müſſen, und es ſey auch wirklich ver- ſchwunden. Wenigſtens dieſe facti- ſche Behauptung dürfte wohl jetzt nicht leicht mehr Vertheidiger finden.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/60>, abgerufen am 24.11.2024.