Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. Zustand des Volkes, welcher uns in Gedanken übrig bleibt,wenn wir von seiner Eigenschaft als Staat künstlich ab- strahiren. -- Hierin erhält zugleich das Verhältniß der Einzelnen zu dem allgemeinen Recht seine Realität und Vollendung. Das Recht hat sein Daseyn in dem gemein- samen Volksgeist (§ 7. 8.), also in dem Gesammtwillen, der insofern auch der Wille jedes Einzelnen ist. Allein der Einzelne kann sich, vermöge seiner Freiheit, durch Das was er für sich will, gegen Das auflehnen, was er als Glied des Ganzen denkt und will. Dieser Widerspruch ist das Unrecht, oder die Rechtsverletzung, welche vernich- tet werden muß, wenn das Recht bestehen und herrschen soll. Soll aber diese Vernichtung vom Zufall unabhängig werden, und eine regelmäßige Sicherheit erhalten, so ist das nur im Staate möglich. Denn hier allein kann dem Einzelnen die Rechtsregel als ein Aeußeres und Objecti- ves gegenüber stehen. Und in diesem neuen Verhältniß erscheint die des Unrechts fähige individuelle Freiheit als von dem Gesammtwillen gebunden und in ihm untergehend. Außerdem aber hat der Staat auch den entschiedensten Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. Zuſtand des Volkes, welcher uns in Gedanken übrig bleibt,wenn wir von ſeiner Eigenſchaft als Staat künſtlich ab- ſtrahiren. — Hierin erhält zugleich das Verhältniß der Einzelnen zu dem allgemeinen Recht ſeine Realität und Vollendung. Das Recht hat ſein Daſeyn in dem gemein- ſamen Volksgeiſt (§ 7. 8.), alſo in dem Geſammtwillen, der inſofern auch der Wille jedes Einzelnen iſt. Allein der Einzelne kann ſich, vermöge ſeiner Freiheit, durch Das was er für ſich will, gegen Das auflehnen, was er als Glied des Ganzen denkt und will. Dieſer Widerſpruch iſt das Unrecht, oder die Rechtsverletzung, welche vernich- tet werden muß, wenn das Recht beſtehen und herrſchen ſoll. Soll aber dieſe Vernichtung vom Zufall unabhängig werden, und eine regelmäßige Sicherheit erhalten, ſo iſt das nur im Staate möglich. Denn hier allein kann dem Einzelnen die Rechtsregel als ein Aeußeres und Objecti- ves gegenüber ſtehen. Und in dieſem neuen Verhältniß erſcheint die des Unrechts fähige individuelle Freiheit als von dem Geſammtwillen gebunden und in ihm untergehend. Außerdem aber hat der Staat auch den entſchiedenſten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0080" n="24"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">II.</hi> Allg. Natur der Quellen.</fw><lb/> Zuſtand des Volkes, welcher uns in Gedanken übrig bleibt,<lb/> wenn wir von ſeiner Eigenſchaft als Staat künſtlich ab-<lb/> ſtrahiren. — Hierin erhält zugleich das Verhältniß der<lb/> Einzelnen zu dem allgemeinen Recht ſeine Realität und<lb/> Vollendung. Das Recht hat ſein Daſeyn in dem gemein-<lb/> ſamen Volksgeiſt (§ 7. 8.), alſo in dem Geſammtwillen,<lb/> der inſofern auch der Wille jedes Einzelnen iſt. Allein<lb/> der Einzelne kann ſich, vermöge ſeiner Freiheit, durch Das<lb/> was er für ſich will, gegen Das auflehnen, was er als<lb/> Glied des Ganzen denkt und will. Dieſer Widerſpruch<lb/> iſt das Unrecht, oder die Rechtsverletzung, welche vernich-<lb/> tet werden muß, wenn das Recht beſtehen und herrſchen<lb/> ſoll. Soll aber dieſe Vernichtung vom Zufall unabhängig<lb/> werden, und eine regelmäßige Sicherheit erhalten, ſo iſt<lb/> das nur im Staate möglich. Denn hier allein kann dem<lb/> Einzelnen die Rechtsregel als ein Aeußeres und Objecti-<lb/> ves gegenüber ſtehen. Und in dieſem neuen Verhältniß<lb/> erſcheint die des Unrechts fähige individuelle Freiheit als<lb/> von dem Geſammtwillen gebunden und in ihm untergehend.</p><lb/> <p>Außerdem aber hat der Staat auch den entſchiedenſten<lb/> Einfluß auf die Rechtserzeugung im Privatrecht: nicht nur<lb/> auf deſſen Inhalt, wovon noch weiter die Rede ſeyn wird,<lb/> ſondern auch auf die Gränzen der Rechtserzeugung, indem<lb/> die Volksgemeinſchaft innerhalb deſſelben Staats inniger<lb/> und wirkſamer, in verſchiedenen Staaten dagegen, auch<lb/> bei Stammesverwandtſchaft, entfernter und auf vielfache<lb/> Weiſe gehemmt ſeyn muß. Eben ſo wird die Entſtehung<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0080]
Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
Zuſtand des Volkes, welcher uns in Gedanken übrig bleibt,
wenn wir von ſeiner Eigenſchaft als Staat künſtlich ab-
ſtrahiren. — Hierin erhält zugleich das Verhältniß der
Einzelnen zu dem allgemeinen Recht ſeine Realität und
Vollendung. Das Recht hat ſein Daſeyn in dem gemein-
ſamen Volksgeiſt (§ 7. 8.), alſo in dem Geſammtwillen,
der inſofern auch der Wille jedes Einzelnen iſt. Allein
der Einzelne kann ſich, vermöge ſeiner Freiheit, durch Das
was er für ſich will, gegen Das auflehnen, was er als
Glied des Ganzen denkt und will. Dieſer Widerſpruch
iſt das Unrecht, oder die Rechtsverletzung, welche vernich-
tet werden muß, wenn das Recht beſtehen und herrſchen
ſoll. Soll aber dieſe Vernichtung vom Zufall unabhängig
werden, und eine regelmäßige Sicherheit erhalten, ſo iſt
das nur im Staate möglich. Denn hier allein kann dem
Einzelnen die Rechtsregel als ein Aeußeres und Objecti-
ves gegenüber ſtehen. Und in dieſem neuen Verhältniß
erſcheint die des Unrechts fähige individuelle Freiheit als
von dem Geſammtwillen gebunden und in ihm untergehend.
Außerdem aber hat der Staat auch den entſchiedenſten
Einfluß auf die Rechtserzeugung im Privatrecht: nicht nur
auf deſſen Inhalt, wovon noch weiter die Rede ſeyn wird,
ſondern auch auf die Gränzen der Rechtserzeugung, indem
die Volksgemeinſchaft innerhalb deſſelben Staats inniger
und wirkſamer, in verſchiedenen Staaten dagegen, auch
bei Stammesverwandtſchaft, entfernter und auf vielfache
Weiſe gehemmt ſeyn muß. Eben ſo wird die Entſtehung
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