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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 10. Abweichende Meynungen über den Staat.
ihrer Totalität, sondern immer nur in einem mäßigen Aus-
zug, wollen und handeln können, so daß in Ansehung der
Mehrzahl (der Frauen und der Minderjährigen) nur die
Zuflucht zu der leeren Fiction einer Vertretung übrig bleibt.
Endlich weil selbst die Totalität der Einzelnen doch nur
die des gegenwärtigen Augenblickes seyn würde, anstatt
daß das ideale Volk, wovon hier die Rede ist, auch die
ganze Zukunft in sich schließt, also ein unvergängliches
Daseyn hat (§ 8).

Dennoch ist in den hier bestrittenen Ansichten ein wah-
res Element enthalten. Allerdings kann auf die Bildung
der Staaten Zufall und Willkühr großen Einfluß aus-
üben, und besonders wird die Begränzung derselben durch
Eroberung und Zerstückelung oft sehr abweichend von den
natürlichen, durch Volkseinheit angegebenen Gränzen be-
stimmt. Umgekehrt kann oft ein fremdartiges Element dem
Staat völlig assimilirt werden; nur hat die Möglichkeit
einer solchen Assimilation ihre Bedingungen und ihre Stu-
fen, wie sie denn besonders durch einige Verwandtschaft
des neuen Elements, so wie durch die innere Vollkommen-
heit des aufnehmenden Staates gefördert wird. Allein
alle solche Ereignisse, wie häufig sie auch in der Geschichte
vorkommen mögen, sind doch nur Anomalien. Das Volk
bleibt darum nicht minder die natürliche Basis des Staats,
und die Bildung durch inwohnende Kraft seine naturge-
mäße Entstehung. Tritt nun ein fremdartiges historisches
Moment in diesen natürlichen Bildungsprozeß ein, so kann

§. 10. Abweichende Meynungen über den Staat.
ihrer Totalität, ſondern immer nur in einem mäßigen Aus-
zug, wollen und handeln können, ſo daß in Anſehung der
Mehrzahl (der Frauen und der Minderjährigen) nur die
Zuflucht zu der leeren Fiction einer Vertretung übrig bleibt.
Endlich weil ſelbſt die Totalität der Einzelnen doch nur
die des gegenwärtigen Augenblickes ſeyn würde, anſtatt
daß das ideale Volk, wovon hier die Rede iſt, auch die
ganze Zukunft in ſich ſchließt, alſo ein unvergängliches
Daſeyn hat (§ 8).

Dennoch iſt in den hier beſtrittenen Anſichten ein wah-
res Element enthalten. Allerdings kann auf die Bildung
der Staaten Zufall und Willkühr großen Einfluß aus-
üben, und beſonders wird die Begränzung derſelben durch
Eroberung und Zerſtückelung oft ſehr abweichend von den
natürlichen, durch Volkseinheit angegebenen Gränzen be-
ſtimmt. Umgekehrt kann oft ein fremdartiges Element dem
Staat völlig aſſimilirt werden; nur hat die Möglichkeit
einer ſolchen Aſſimilation ihre Bedingungen und ihre Stu-
fen, wie ſie denn beſonders durch einige Verwandtſchaft
des neuen Elements, ſo wie durch die innere Vollkommen-
heit des aufnehmenden Staates gefördert wird. Allein
alle ſolche Ereigniſſe, wie häufig ſie auch in der Geſchichte
vorkommen mögen, ſind doch nur Anomalien. Das Volk
bleibt darum nicht minder die natürliche Baſis des Staats,
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[31/0087] §. 10. Abweichende Meynungen über den Staat. ihrer Totalität, ſondern immer nur in einem mäßigen Aus- zug, wollen und handeln können, ſo daß in Anſehung der Mehrzahl (der Frauen und der Minderjährigen) nur die Zuflucht zu der leeren Fiction einer Vertretung übrig bleibt. Endlich weil ſelbſt die Totalität der Einzelnen doch nur die des gegenwärtigen Augenblickes ſeyn würde, anſtatt daß das ideale Volk, wovon hier die Rede iſt, auch die ganze Zukunft in ſich ſchließt, alſo ein unvergängliches Daſeyn hat (§ 8). Dennoch iſt in den hier beſtrittenen Anſichten ein wah- res Element enthalten. Allerdings kann auf die Bildung der Staaten Zufall und Willkühr großen Einfluß aus- üben, und beſonders wird die Begränzung derſelben durch Eroberung und Zerſtückelung oft ſehr abweichend von den natürlichen, durch Volkseinheit angegebenen Gränzen be- ſtimmt. Umgekehrt kann oft ein fremdartiges Element dem Staat völlig aſſimilirt werden; nur hat die Möglichkeit einer ſolchen Aſſimilation ihre Bedingungen und ihre Stu- fen, wie ſie denn beſonders durch einige Verwandtſchaft des neuen Elements, ſo wie durch die innere Vollkommen- heit des aufnehmenden Staates gefördert wird. Allein alle ſolche Ereigniſſe, wie häufig ſie auch in der Geſchichte vorkommen mögen, ſind doch nur Anomalien. Das Volk bleibt darum nicht minder die natürliche Baſis des Staats, und die Bildung durch inwohnende Kraft ſeine naturge- mäße Entſtehung. Tritt nun ein fremdartiges hiſtoriſches Moment in dieſen natürlichen Bildungsprozeß ein, ſo kann

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/87>, abgerufen am 21.11.2024.