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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 79. Infamie. Juristische Bedeutung. (Fortsetzung.)
Tribus versetzen, aus allen Tribus ausstoßen, wodurch
der Ausgestoßene aerarius wurde und sein Stimmrecht ver-
lor (b): sie konnten sich auch blos mit einem ausgesproch-
nen Tadel begnügen, indem sie dem Namen eines Rö-
mers in den Bürgerlisten eine nota censoria hinzufügten (c).
Solche Verfügungen beruhten nicht nothwendig auf einer
genauen Untersuchung der Thatsachen, vielmehr konnten
auch bloße Gerüchte, ja vorübergehende politische Stim-
mungen, Einfluß darauf haben (d). Darum geschah es
oft, daß eine solche censorum opinio durch den Wider-
spruch des Collegen, oder durch den Beschluß der folgen-
den Censoren, oder durch Richtersprüche oder Volksschlüsse,
wieder entkräftet wurde (e). Sie war also durchaus nicht
von sicherer Dauer (f), und darin völlig verschieden von
der Infamie, die unabänderlich für das ganze Leben fort-
wirkte (g). -- War daher die Ausübung der censorischen

(b) "de senatu moveri ... in
aerarios referri, aut tribu mo-
veri" Cic. pro Cluentio C. 43.
-- "aerarium reliquissent" ib.
C.
45.
(c) Die bloße subscriptio oder
notatio censoria kommt oft vor,
z. B. pro Cluentio C. 42. 43. 44.
46. 47. -- Es wurden einzelne
Handlungen ausgedrückt, z. B.
"furti et captarum pecuniarum
nomine notaverunt" C.
42, oder
"contra leges pecunias acce-
pisse subscriptum est" C.
43.
(d) pro Cluentio C. 45 und
C. 47 "in istis subscriptionibus
ventum quendam popularem
esse quacsitum .... ex tota ipsa
subscriptione rumorem quen-
dam, et plausum popularem
esse quaesitum."
(e) pro Cluentio C. 43.
(f) pro Cluentio C. 47 "quid
est, quamobrem quisquam no-
straum censorias subscriptiones
omnes fixas, et in perpetuum
ratas putet esse oportere?"
(g) pro Cluentio C. 42 "turpi
judicio damnati, in perpetuum
omni honore ac dignitate pri-
vantur."
-- Damit steht nicht im
Widerspruch, daß der Kaiser (frü-
her das Volk), oder auch der Se-
nat restituiren konnte; die Will-

§. 79. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.)
Tribus verſetzen, aus allen Tribus ausſtoßen, wodurch
der Ausgeſtoßene aerarius wurde und ſein Stimmrecht ver-
lor (b): ſie konnten ſich auch blos mit einem ausgeſproch-
nen Tadel begnügen, indem ſie dem Namen eines Rö-
mers in den Bürgerliſten eine nota censoria hinzufügten (c).
Solche Verfügungen beruhten nicht nothwendig auf einer
genauen Unterſuchung der Thatſachen, vielmehr konnten
auch bloße Gerüchte, ja vorübergehende politiſche Stim-
mungen, Einfluß darauf haben (d). Darum geſchah es
oft, daß eine ſolche censorum opinio durch den Wider-
ſpruch des Collegen, oder durch den Beſchluß der folgen-
den Cenſoren, oder durch Richterſprüche oder Volksſchlüſſe,
wieder entkräftet wurde (e). Sie war alſo durchaus nicht
von ſicherer Dauer (f), und darin völlig verſchieden von
der Infamie, die unabänderlich für das ganze Leben fort-
wirkte (g). — War daher die Ausübung der cenſoriſchen

(b) „de senatu moveri … in
aerarios referri, aut tribu mo-
veri” Cic. pro Cluentio C. 43.
— „aerarium reliquissent” ib.
C.
45.
(c) Die bloße subscriptio oder
notatio censoria kommt oft vor,
z. B. pro Cluentio C. 42. 43. 44.
46. 47. — Es wurden einzelne
Handlungen ausgedrückt, z. B.
„furti et captarum pecuniarum
nomine notaverunt” C.
42, oder
„contra leges pecunias acce-
pisse subscriptum est” C.
43.
(d) pro Cluentio C. 45 und
C. 47 „in istis subscriptionibus
ventum quendam popularem
esse quacsitum .... ex tota ipsa
subscriptione rumorem quen-
dam, et plausum popularem
esse quaesitum.”
(e) pro Cluentio C. 43.
(f) pro Cluentio C. 47 „quid
est, quamobrem quisquam no-
strûm censorias subscriptiones
omnes fixas, et in perpetuum
ratas putet esse oportere?”
(g) pro Cluentio C. 42 „turpi
judicio damnati, in perpetuum
omni honore ac dignitate pri-
vantur.”
— Damit ſteht nicht im
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her das Volk), oder auch der Se-
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[197/0211] §. 79. Infamie. Juriſtiſche Bedeutung. (Fortſetzung.) Tribus verſetzen, aus allen Tribus ausſtoßen, wodurch der Ausgeſtoßene aerarius wurde und ſein Stimmrecht ver- lor (b): ſie konnten ſich auch blos mit einem ausgeſproch- nen Tadel begnügen, indem ſie dem Namen eines Rö- mers in den Bürgerliſten eine nota censoria hinzufügten (c). Solche Verfügungen beruhten nicht nothwendig auf einer genauen Unterſuchung der Thatſachen, vielmehr konnten auch bloße Gerüchte, ja vorübergehende politiſche Stim- mungen, Einfluß darauf haben (d). Darum geſchah es oft, daß eine ſolche censorum opinio durch den Wider- ſpruch des Collegen, oder durch den Beſchluß der folgen- den Cenſoren, oder durch Richterſprüche oder Volksſchlüſſe, wieder entkräftet wurde (e). Sie war alſo durchaus nicht von ſicherer Dauer (f), und darin völlig verſchieden von der Infamie, die unabänderlich für das ganze Leben fort- wirkte (g). — War daher die Ausübung der cenſoriſchen (b) „de senatu moveri … in aerarios referri, aut tribu mo- veri” Cic. pro Cluentio C. 43. — „aerarium reliquissent” ib. C. 45. (c) Die bloße subscriptio oder notatio censoria kommt oft vor, z. B. pro Cluentio C. 42. 43. 44. 46. 47. — Es wurden einzelne Handlungen ausgedrückt, z. B. „furti et captarum pecuniarum nomine notaverunt” C. 42, oder „contra leges pecunias acce- pisse subscriptum est” C. 43. (d) pro Cluentio C. 45 und C. 47 „in istis subscriptionibus ventum quendam popularem esse quacsitum .... ex tota ipsa subscriptione rumorem quen- dam, et plausum popularem esse quaesitum.” (e) pro Cluentio C. 43. (f) pro Cluentio C. 47 „quid est, quamobrem quisquam no- strûm censorias subscriptiones omnes fixas, et in perpetuum ratas putet esse oportere?” (g) pro Cluentio C. 42 „turpi judicio damnati, in perpetuum omni honore ac dignitate pri- vantur.” — Damit ſteht nicht im Widerſpruch, daß der Kaiſer (frü- her das Volk), oder auch der Se- nat reſtituiren konnte; die Will-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/211>, abgerufen am 20.05.2024.