Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. II. Personen. Macht über die Bürgerehre, gefährlich wegen der mögli-chen Willkühr und Ungerechtigkeit (h), so wurde diese Ge- fahr dadurch gemildert, daß jedes so zugefügte Unrecht von vielen Seiten her wieder gut gemacht werden konnte. Die Infamie war gefährlicher durch ihre unveränderliche Dauer, dagegen beruhte sie auf festen, bekannten Regeln, und so konnte sie Jeder vermeiden. Diese vergleichende Zusammenstellung der Infamie mit kühr einzelner Obrigkeiten konnte es nicht, und selbst jene feyerliche Restitution mag in der Republik selten oder nie vorgekommen seyn. Der Prätor konnte es nicht, au- ßer indirect, insofern durch die ge- wöhnliche Restitution der Grund der Infamie weggeräumt wurde, z. B. wenn ein Minderjähriger wegen nachlässiger Prozeßführung in einem famosum judicium ver- urtheilt wurde, der Prätor ihn restituirte, und nun der neue ju- dex die Klage abwies. L. 1 § 9. 10 de postul. (3. 1.). (h) Cicero's Darstellung könnte
zu dem Irrthum verleiten, als wä- ren solche Ungerechtigkeiten ganz gewöhnlich gewesen; man muß aber bedenken, daß er ein censo- risches Urtheil zn entkräften hatte, weshalb es im Interesse seines Clienten lag, solche Urtheile im Allgemeinen verdächtig zu machen. Ohne Zweifel übten die Censoren ihr Amt meist mit ernster und weiser Strenge, sonst hätte sich dasselbe nicht in so großem An- sehen erhalten können. Persönlich- keiten also kamen zwar vor, aber gewiß nur als seltene Ausnah- men, jedoch lag ihre Möglichkeit in der Natur des Amtes selbst. Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen. Macht über die Bürgerehre, gefährlich wegen der mögli-chen Willkühr und Ungerechtigkeit (h), ſo wurde dieſe Ge- fahr dadurch gemildert, daß jedes ſo zugefügte Unrecht von vielen Seiten her wieder gut gemacht werden konnte. Die Infamie war gefährlicher durch ihre unveränderliche Dauer, dagegen beruhte ſie auf feſten, bekannten Regeln, und ſo konnte ſie Jeder vermeiden. Dieſe vergleichende Zuſammenſtellung der Infamie mit kühr einzelner Obrigkeiten konnte es nicht, und ſelbſt jene feyerliche Reſtitution mag in der Republik ſelten oder nie vorgekommen ſeyn. Der Prätor konnte es nicht, au- ßer indirect, inſofern durch die ge- wöhnliche Reſtitution der Grund der Infamie weggeräumt wurde, z. B. wenn ein Minderjähriger wegen nachläſſiger Prozeßführung in einem famosum judicium ver- urtheilt wurde, der Prätor ihn reſtituirte, und nun der neue ju- dex die Klage abwies. L. 1 § 9. 10 de postul. (3. 1.). (h) Cicero’s Darſtellung könnte
zu dem Irrthum verleiten, als wä- ren ſolche Ungerechtigkeiten ganz gewöhnlich geweſen; man muß aber bedenken, daß er ein cenſo- riſches Urtheil zn entkräften hatte, weshalb es im Intereſſe ſeines Clienten lag, ſolche Urtheile im Allgemeinen verdächtig zu machen. Ohne Zweifel übten die Cenſoren ihr Amt meiſt mit ernſter und weiſer Strenge, ſonſt hätte ſich daſſelbe nicht in ſo großem An- ſehen erhalten können. Perſönlich- keiten alſo kamen zwar vor, aber gewiß nur als ſeltene Ausnah- men, jedoch lag ihre Möglichkeit in der Natur des Amtes ſelbſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0212" n="198"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">II.</hi> Perſonen.</fw><lb/> Macht über die Bürgerehre, gefährlich wegen der mögli-<lb/> chen Willkühr und Ungerechtigkeit <note place="foot" n="(h)">Cicero’s Darſtellung könnte<lb/> zu dem Irrthum verleiten, als wä-<lb/> ren ſolche Ungerechtigkeiten ganz<lb/> gewöhnlich geweſen; man muß<lb/> aber bedenken, daß er ein cenſo-<lb/> riſches Urtheil zn entkräften hatte,<lb/> weshalb es im Intereſſe ſeines<lb/> Clienten lag, ſolche Urtheile im<lb/> Allgemeinen verdächtig zu machen.<lb/> Ohne Zweifel übten die Cenſoren<lb/> ihr Amt meiſt mit ernſter und<lb/> weiſer Strenge, ſonſt hätte ſich<lb/> daſſelbe nicht in ſo großem An-<lb/> ſehen erhalten können. Perſönlich-<lb/> keiten alſo kamen zwar vor, aber<lb/> gewiß nur als ſeltene Ausnah-<lb/> men, jedoch lag ihre Möglichkeit<lb/> in der Natur des Amtes ſelbſt.</note>, ſo wurde dieſe Ge-<lb/> fahr dadurch gemildert, daß jedes ſo zugefügte Unrecht<lb/> von vielen Seiten her wieder gut gemacht werden konnte.<lb/> Die Infamie war gefährlicher durch ihre unveränderliche<lb/> Dauer, dagegen beruhte ſie auf feſten, bekannten Regeln,<lb/> und ſo konnte ſie Jeder vermeiden.</p><lb/> <p>Dieſe vergleichende Zuſammenſtellung der Infamie mit<lb/> der cenſoriſchen Gewalt über die Ehre führt uns nun un-<lb/> mittelbar zu dem geſuchten praktiſchen Begriff der Infa-<lb/> mie ſelbſt. Dieſelbe beſteht in nichts Anderem, als dem<lb/> Verluſt aller politiſchen Rechte bey fortdauernder Civität.<lb/> Der <hi rendition="#aq">Infamis</hi> wurde alſo <hi rendition="#aq">aerarius,</hi> er verlor ſein Stimm-<lb/> recht und ſeine Wählbarkeit (<hi rendition="#aq">suffragium et honores</hi>), und<lb/> die Definition deſſelben wird nun vollſtändig ſo lau-<lb/> ten müſſen:<lb/><note xml:id="seg2pn_39_2" prev="#seg2pn_39_1" place="foot" n="(g)">kühr einzelner Obrigkeiten konnte<lb/> es nicht, und ſelbſt jene feyerliche<lb/> Reſtitution mag in der Republik<lb/> ſelten oder nie vorgekommen ſeyn.<lb/> Der Prätor konnte es nicht, au-<lb/> ßer indirect, inſofern durch die ge-<lb/> wöhnliche Reſtitution der Grund<lb/> der Infamie weggeräumt wurde,<lb/> z. B. wenn ein Minderjähriger<lb/> wegen nachläſſiger Prozeßführung<lb/> in einem <hi rendition="#aq">famosum judicium</hi> ver-<lb/> urtheilt wurde, der Prätor ihn<lb/> reſtituirte, und nun der neue <hi rendition="#aq">ju-<lb/> dex</hi> die Klage abwies. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 1 § 9.<lb/> 10 <hi rendition="#i">de postul.</hi></hi> (3. 1.).</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [198/0212]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
Macht über die Bürgerehre, gefährlich wegen der mögli-
chen Willkühr und Ungerechtigkeit (h), ſo wurde dieſe Ge-
fahr dadurch gemildert, daß jedes ſo zugefügte Unrecht
von vielen Seiten her wieder gut gemacht werden konnte.
Die Infamie war gefährlicher durch ihre unveränderliche
Dauer, dagegen beruhte ſie auf feſten, bekannten Regeln,
und ſo konnte ſie Jeder vermeiden.
Dieſe vergleichende Zuſammenſtellung der Infamie mit
der cenſoriſchen Gewalt über die Ehre führt uns nun un-
mittelbar zu dem geſuchten praktiſchen Begriff der Infa-
mie ſelbſt. Dieſelbe beſteht in nichts Anderem, als dem
Verluſt aller politiſchen Rechte bey fortdauernder Civität.
Der Infamis wurde alſo aerarius, er verlor ſein Stimm-
recht und ſeine Wählbarkeit (suffragium et honores), und
die Definition deſſelben wird nun vollſtändig ſo lau-
ten müſſen:
(g)
(h) Cicero’s Darſtellung könnte
zu dem Irrthum verleiten, als wä-
ren ſolche Ungerechtigkeiten ganz
gewöhnlich geweſen; man muß
aber bedenken, daß er ein cenſo-
riſches Urtheil zn entkräften hatte,
weshalb es im Intereſſe ſeines
Clienten lag, ſolche Urtheile im
Allgemeinen verdächtig zu machen.
Ohne Zweifel übten die Cenſoren
ihr Amt meiſt mit ernſter und
weiſer Strenge, ſonſt hätte ſich
daſſelbe nicht in ſo großem An-
ſehen erhalten können. Perſönlich-
keiten alſo kamen zwar vor, aber
gewiß nur als ſeltene Ausnah-
men, jedoch lag ihre Möglichkeit
in der Natur des Amtes ſelbſt.
(g) kühr einzelner Obrigkeiten konnte
es nicht, und ſelbſt jene feyerliche
Reſtitution mag in der Republik
ſelten oder nie vorgekommen ſeyn.
Der Prätor konnte es nicht, au-
ßer indirect, inſofern durch die ge-
wöhnliche Reſtitution der Grund
der Infamie weggeräumt wurde,
z. B. wenn ein Minderjähriger
wegen nachläſſiger Prozeßführung
in einem famosum judicium ver-
urtheilt wurde, der Prätor ihn
reſtituirte, und nun der neue ju-
dex die Klage abwies. L. 1 § 9.
10 de postul. (3. 1.).
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