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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Beylage V.
väterlicher Gewalt lebten, war dieser Grund einer will-
kührlichen Einschränkung nicht vorhanden, es war also
keine Veranlassung da, den natürlichen Zustand abzuän-
dern, nach welchem die mündigen Töchter eben so fähig
waren Schulden zu haben, als die mündigen Söhne. --
Neuerlich ist der Meynung des Cujacius eine besondere
Wendung gegeben worden durch die Unterscheidung zwi-
schen den streng civilrechtlichen, und den freyeren Obliga-
tionen: jene sollten an die auctoritas gebunden, und da-
her während der väterlichen Gewalt ganz unmöglich seyn,
diese aber nicht (e). Allein zu dieser Unterscheidung liegt
weder in den Worten von Gajus und Ulpian, die allge-
mein von jeder Obligirung reden, noch in der Natur und
dem Zweck der Geschlechtsvormundschaft irgend ein Grund.
Denn Verschuldungen einer Frau aus einem Darlehen oder
einem Kaufcontract waren ja für das künftige Erbrecht
eines Agnaten durchaus nicht weniger gefährlich, als die
aus einer Stipulation (f). Ich glaube daher, daß unab-

rung jener beiden Fälle (der legi-
tima tutela
) zu betrachten waren.
(e) Rudorff Vormundschafts-
recht B. 1 S. 171. B. 2 S. 273. 274.
(f) Gegen diese Behauptung,
daß die auetoritas zu allen Ar-
ten der Verschuldung (streng oder
frey) gleich nöthig war, könnte
vielleicht ein Zweifel erhoben wer-
den aus Gajus III. § 91, wo es
von der Schuld aus einem em-
pfangenen indebitum heißt: "qui-
dam putant,
pupillam aut mu-
lierem,
cui sine tutoris aucto-
ritate non debitum per erro-
rem datum est, non teneri con-
dictione, non magis quam mu-
tui datione;"
er selbst erklärt sich
nachher gegen diese Meynung.
Aber bey dieser Frage kam es
nicht auf die historische Klasse an,
wozu die vorliegende Obligation
gehörte, sondern darauf, daß die
auctoritas überall nur dazu die-
nen sollte, den Willen zu ergän-
zen, hier aber die Obligation gar

Beylage V.
väterlicher Gewalt lebten, war dieſer Grund einer will-
kührlichen Einſchränkung nicht vorhanden, es war alſo
keine Veranlaſſung da, den natürlichen Zuſtand abzuän-
dern, nach welchem die mündigen Töchter eben ſo fähig
waren Schulden zu haben, als die mündigen Söhne. —
Neuerlich iſt der Meynung des Cujacius eine beſondere
Wendung gegeben worden durch die Unterſcheidung zwi-
ſchen den ſtreng civilrechtlichen, und den freyeren Obliga-
tionen: jene ſollten an die auctoritas gebunden, und da-
her während der väterlichen Gewalt ganz unmoͤglich ſeyn,
dieſe aber nicht (e). Allein zu dieſer Unterſcheidung liegt
weder in den Worten von Gajus und Ulpian, die allge-
mein von jeder Obligirung reden, noch in der Natur und
dem Zweck der Geſchlechtsvormundſchaft irgend ein Grund.
Denn Verſchuldungen einer Frau aus einem Darlehen oder
einem Kaufcontract waren ja für das künftige Erbrecht
eines Agnaten durchaus nicht weniger gefährlich, als die
aus einer Stipulation (f). Ich glaube daher, daß unab-

rung jener beiden Fälle (der legi-
tima tutela
) zu betrachten waren.
(e) Rudorff Vormundſchafts-
recht B. 1 S. 171. B. 2 S. 273. 274.
(f) Gegen dieſe Behauptung,
daß die auetoritas zu allen Ar-
ten der Verſchuldung (ſtreng oder
frey) gleich nöthig war, könnte
vielleicht ein Zweifel erhoben wer-
den aus Gajus III. § 91, wo es
von der Schuld aus einem em-
pfangenen indebitum heißt: qui-
dam putant,
pupillam aut mu-
lierem,
cui sine tutoris aucto-
ritate non debitum per erro-
rem datum est, non teneri con-
dictione, non magis quam mu-
tui datione;”
er ſelbſt erklärt ſich
nachher gegen dieſe Meynung.
Aber bey dieſer Frage kam es
nicht auf die hiſtoriſche Klaſſe an,
wozu die vorliegende Obligation
gehörte, ſondern darauf, daß die
auctoritas überall nur dazu die-
nen ſollte, den Willen zu ergän-
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[432/0446] Beylage V. väterlicher Gewalt lebten, war dieſer Grund einer will- kührlichen Einſchränkung nicht vorhanden, es war alſo keine Veranlaſſung da, den natürlichen Zuſtand abzuän- dern, nach welchem die mündigen Töchter eben ſo fähig waren Schulden zu haben, als die mündigen Söhne. — Neuerlich iſt der Meynung des Cujacius eine beſondere Wendung gegeben worden durch die Unterſcheidung zwi- ſchen den ſtreng civilrechtlichen, und den freyeren Obliga- tionen: jene ſollten an die auctoritas gebunden, und da- her während der väterlichen Gewalt ganz unmoͤglich ſeyn, dieſe aber nicht (e). Allein zu dieſer Unterſcheidung liegt weder in den Worten von Gajus und Ulpian, die allge- mein von jeder Obligirung reden, noch in der Natur und dem Zweck der Geſchlechtsvormundſchaft irgend ein Grund. Denn Verſchuldungen einer Frau aus einem Darlehen oder einem Kaufcontract waren ja für das künftige Erbrecht eines Agnaten durchaus nicht weniger gefährlich, als die aus einer Stipulation (f). Ich glaube daher, daß unab- (d) (e) Rudorff Vormundſchafts- recht B. 1 S. 171. B. 2 S. 273. 274. (f) Gegen dieſe Behauptung, daß die auetoritas zu allen Ar- ten der Verſchuldung (ſtreng oder frey) gleich nöthig war, könnte vielleicht ein Zweifel erhoben wer- den aus Gajus III. § 91, wo es von der Schuld aus einem em- pfangenen indebitum heißt: „qui- dam putant, pupillam aut mu- lierem, cui sine tutoris aucto- ritate non debitum per erro- rem datum est, non teneri con- dictione, non magis quam mu- tui datione;” er ſelbſt erklärt ſich nachher gegen dieſe Meynung. Aber bey dieſer Frage kam es nicht auf die hiſtoriſche Klaſſe an, wozu die vorliegende Obligation gehörte, ſondern darauf, daß die auctoritas überall nur dazu die- nen ſollte, den Willen zu ergän- zen, hier aber die Obligation gar (d) rung jener beiden Fälle (der legi- tima tutela) zu betrachten waren.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/446>, abgerufen am 17.07.2024.