Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.Schuldenfähigkeit einer filiafamilias. hängige Frauen zu allen Schulden (aus altem jus civileherstammend oder nicht) die auctoritas nöthig hatten, die filiaefamilias dagegen in allen Fällen schon allein durch ihre eigene Handlungen verpflichtet werden konnten, so gut wie die Söhne: das heißt beide nur unter der Voraus- setzung des mündigen Alters. Wenn daher in der oben angeführten Stelle Ulpian die Verschuldung einer Frau an die Bedingung vormundschaftlicher auctoritas knüpft, so ist das nur von solchen Frauen zu verstehen, die über- haupt einen Tutor haben oder wenigstens haben können (g), also nur von unabhängigen. Diese Einschränkung aber ist so wenig in jene Stelle willkührlich hinein getragen, daß sie ja ohnehin in dem ganzen elften Titel Ulpians, bey Unmündigen und bey Frauen, stets hinzu gedacht wer- den muß, ohne daß es Ulpian auch nur nöthig fände, die- ses ausdrücklich zu sagen, weil es sich zu sehr von selbst versteht. So steht die Sache nach allgemeiner Betrachtung; noch nicht ex voluntate, sondern ex re, entstand. Ohnehin müßte die- ser Fall, wegen der condictio, vielmehr den strengen Obligatio- nen zugezählt werden; besonders aber macht es die Gleichstellung mit dem Pupillen ganz unmög- lich, hier an eine Eigenthümlich- keit der Geschlechtstutel zu den- ken. -- In diesem speciellen Fall hat übrigens Justinian das Ge- gentheil von der Meynung des Gajus angenommen, und ist den Quidam beygetreten, hat aber wörtlich den Grund des Gajus beybehalten, so daß bey ihm der rechte Zusammenhang des Gedan- kens fehlt, der bey Gajus sehr befriedigend erscheint. § 1 J. quib. mod. re (3. 14.). (g) Gajus III. § 108. "Idem juris est in feminis, quae in tu- tela sunt." II. 28
Schuldenfähigkeit einer filiafamilias. hängige Frauen zu allen Schulden (aus altem jus civileherſtammend oder nicht) die auctoritas nöthig hatten, die filiaefamilias dagegen in allen Fällen ſchon allein durch ihre eigene Handlungen verpflichtet werden konnten, ſo gut wie die Soͤhne: das heißt beide nur unter der Voraus- ſetzung des mündigen Alters. Wenn daher in der oben angeführten Stelle Ulpian die Verſchuldung einer Frau an die Bedingung vormundſchaftlicher auctoritas knüpft, ſo iſt das nur von ſolchen Frauen zu verſtehen, die über- haupt einen Tutor haben oder wenigſtens haben können (g), alſo nur von unabhängigen. Dieſe Einſchränkung aber iſt ſo wenig in jene Stelle willkührlich hinein getragen, daß ſie ja ohnehin in dem ganzen elften Titel Ulpians, bey Unmündigen und bey Frauen, ſtets hinzu gedacht wer- den muß, ohne daß es Ulpian auch nur nöthig fände, die- ſes ausdrücklich zu ſagen, weil es ſich zu ſehr von ſelbſt verſteht. So ſteht die Sache nach allgemeiner Betrachtung; noch nicht ex voluntate, ſondern ex re, entſtand. Ohnehin müßte die- ſer Fall, wegen der condictio, vielmehr den ſtrengen Obligatio- nen zugezählt werden; beſonders aber macht es die Gleichſtellung mit dem Pupillen ganz unmög- lich, hier an eine Eigenthümlich- keit der Geſchlechtstutel zu den- ken. — In dieſem ſpeciellen Fall hat übrigens Juſtinian das Ge- gentheil von der Meynung des Gajus angenommen, und iſt den Quidam beygetreten, hat aber wörtlich den Grund des Gajus beybehalten, ſo daß bey ihm der rechte Zuſammenhang des Gedan- kens fehlt, der bey Gajus ſehr befriedigend erſcheint. § 1 J. quib. mod. re (3. 14.). (g) Gajus III. § 108. „Idem juris est in feminis, quae in tu- tela sunt.” II. 28
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Schuldenfähigkeit einer filiafamilias.
hängige Frauen zu allen Schulden (aus altem jus civile
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filiaefamilias dagegen in allen Fällen ſchon allein durch
ihre eigene Handlungen verpflichtet werden konnten, ſo
gut wie die Soͤhne: das heißt beide nur unter der Voraus-
ſetzung des mündigen Alters. Wenn daher in der oben
angeführten Stelle Ulpian die Verſchuldung einer Frau
an die Bedingung vormundſchaftlicher auctoritas knüpft,
ſo iſt das nur von ſolchen Frauen zu verſtehen, die über-
haupt einen Tutor haben oder wenigſtens haben können (g),
alſo nur von unabhängigen. Dieſe Einſchränkung aber
iſt ſo wenig in jene Stelle willkührlich hinein getragen,
daß ſie ja ohnehin in dem ganzen elften Titel Ulpians,
bey Unmündigen und bey Frauen, ſtets hinzu gedacht wer-
den muß, ohne daß es Ulpian auch nur nöthig fände, die-
ſes ausdrücklich zu ſagen, weil es ſich zu ſehr von ſelbſt
verſteht.
So ſteht die Sache nach allgemeiner Betrachtung; noch
entſcheidender aber müſſen einzelne Anwendungen ſeyn,
(f)
(g) Gajus III. § 108. „Idem
juris est in feminis, quae in tu-
tela sunt.”
(f) nicht ex voluntate, ſondern ex
re, entſtand. Ohnehin müßte die-
ſer Fall, wegen der condictio,
vielmehr den ſtrengen Obligatio-
nen zugezählt werden; beſonders
aber macht es die Gleichſtellung
mit dem Pupillen ganz unmög-
lich, hier an eine Eigenthümlich-
keit der Geſchlechtstutel zu den-
ken. — In dieſem ſpeciellen Fall
hat übrigens Juſtinian das Ge-
gentheil von der Meynung des
Gajus angenommen, und iſt den
Quidam beygetreten, hat aber
wörtlich den Grund des Gajus
beybehalten, ſo daß bey ihm der
rechte Zuſammenhang des Gedan-
kens fehlt, der bey Gajus ſehr
befriedigend erſcheint. § 1 J. quib.
mod. re (3. 14.).
II. 28
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