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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Infamie.
die vorhergehenden Worte cum eum mortuum esse sciret
offenbar auf den Gegensatz eines Falles schuldloser Un-
wissenheit hindeuten, von welchem die Infamie abgewen-
det werden soll (a). Dieser unschuldige Fall würde so ge-
dacht werden müssen, daß der Vater glaubte, sein erster
Schwiegersohn sey noch am Leben. Allein bey diesem Ge-
danken wäre ja die Handlung des Vaters noch weit schlech-
ter, indem er dann die Absicht hätte, eine Bigamie sei-
ner Tochter zu veranlassen.

Diese Schwierigkeiten verschwinden, wenn man die an-
geführten Worte in zwey, durch Sinn und Construction
getrennte Theile auflöst. Die Worte antequam virum elu-
geret
gehören in der That zu collocaverit, und haben den
oben erklärten Sinn. Allein die vorhergehenden Worte
gehören als nähere Bestimmung zu mortuum esse, und
sollen folgenden Gedanken ausdrücken:
Nur dann wird der einwilligende Vater infam, wenn
er wußte, daß der Tod seines Schwiegersohnes in einen
solchen Zeitpunkt falle, seit welchem die Trauerzeit noch
nicht abgelaufen war. Ein Irrthum über diesen Um-
stand macht seine Einwilligung schuldlos.

Gesetzt also, der Schwiegersohn war in den Krieg ge-
zogen, und hatte seitdem keine Nachricht gegeben. Nach
anderthalb Jahren wird sein Tod gemeldet, mit dem Zu-
satz, er sey schon einen Monat nach der Abreise umge-

(a) L. 8 de his qui not. (3. 2.).
"Merito adjecit Praetor, cum
eum mortuum esse sciret,
ne
ignorantia puniatur."

Infamie.
die vorhergehenden Worte cum eum mortuum esse sciret
offenbar auf den Gegenſatz eines Falles ſchuldloſer Un-
wiſſenheit hindeuten, von welchem die Infamie abgewen-
det werden ſoll (a). Dieſer unſchuldige Fall würde ſo ge-
dacht werden müſſen, daß der Vater glaubte, ſein erſter
Schwiegerſohn ſey noch am Leben. Allein bey dieſem Ge-
danken wäre ja die Handlung des Vaters noch weit ſchlech-
ter, indem er dann die Abſicht hätte, eine Bigamie ſei-
ner Tochter zu veranlaſſen.

Dieſe Schwierigkeiten verſchwinden, wenn man die an-
geführten Worte in zwey, durch Sinn und Conſtruction
getrennte Theile aufloͤſt. Die Worte antequam virum elu-
geret
gehoͤren in der That zu collocaverit, und haben den
oben erklärten Sinn. Allein die vorhergehenden Worte
gehören als nähere Beſtimmung zu mortuum esse, und
ſollen folgenden Gedanken ausdrücken:
Nur dann wird der einwilligende Vater infam, wenn
er wußte, daß der Tod ſeines Schwiegerſohnes in einen
ſolchen Zeitpunkt falle, ſeit welchem die Trauerzeit noch
nicht abgelaufen war. Ein Irrthum über dieſen Um-
ſtand macht ſeine Einwilligung ſchuldlos.

Geſetzt alſo, der Schwiegerſohn war in den Krieg ge-
zogen, und hatte ſeitdem keine Nachricht gegeben. Nach
anderthalb Jahren wird ſein Tod gemeldet, mit dem Zu-
ſatz, er ſey ſchon einen Monat nach der Abreiſe umge-

(a) L. 8 de his qui not. (3. 2.).
„Merito adjecit Praetor, cum
eum mortuum esse sciret,
ne
ignorantia puniatur.”
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[549/0563] Infamie. die vorhergehenden Worte cum eum mortuum esse sciret offenbar auf den Gegenſatz eines Falles ſchuldloſer Un- wiſſenheit hindeuten, von welchem die Infamie abgewen- det werden ſoll (a). Dieſer unſchuldige Fall würde ſo ge- dacht werden müſſen, daß der Vater glaubte, ſein erſter Schwiegerſohn ſey noch am Leben. Allein bey dieſem Ge- danken wäre ja die Handlung des Vaters noch weit ſchlech- ter, indem er dann die Abſicht hätte, eine Bigamie ſei- ner Tochter zu veranlaſſen. Dieſe Schwierigkeiten verſchwinden, wenn man die an- geführten Worte in zwey, durch Sinn und Conſtruction getrennte Theile aufloͤſt. Die Worte antequam virum elu- geret gehoͤren in der That zu collocaverit, und haben den oben erklärten Sinn. Allein die vorhergehenden Worte gehören als nähere Beſtimmung zu mortuum esse, und ſollen folgenden Gedanken ausdrücken: Nur dann wird der einwilligende Vater infam, wenn er wußte, daß der Tod ſeines Schwiegerſohnes in einen ſolchen Zeitpunkt falle, ſeit welchem die Trauerzeit noch nicht abgelaufen war. Ein Irrthum über dieſen Um- ſtand macht ſeine Einwilligung ſchuldlos. Geſetzt alſo, der Schwiegerſohn war in den Krieg ge- zogen, und hatte ſeitdem keine Nachricht gegeben. Nach anderthalb Jahren wird ſein Tod gemeldet, mit dem Zu- ſatz, er ſey ſchon einen Monat nach der Abreiſe umge- (a) L. 8 de his qui not. (3. 2.). „Merito adjecit Praetor, cum eum mortuum esse sciret, ne ignorantia puniatur.”

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/563>, abgerufen am 19.05.2024.