ben untersucht ist, anerkennen müssen, daß sie nur als scharf begränzte Ausnahmen denkbar sind; denn wollten wir als Regel annehmen, daß jeder Irrthum über irgend eine dem Gegenstand des Rechtsverhältnisses zukommende Eigenschaft den Willen ausschließe, so würde damit die Sicherheit des Rechtsverkehrs völlig vernichtet seyn.
Unsere Schriftsteller bezeichnen die dahin gehörenden Fälle mit dem Kunstausdruck Error in substantia, und dieser Ausdruck, wie so manche andere, hat nicht wenig dazu beygetragen, die Sache selbst zu verwirren. Die Gewöhnung an diesen vermeintlichen Kunstausdruck führte unvermerkt zu der stillschweigenden Voraussetzung, an der Spitze dieser Lehre stehe etwa folgender Grundsatz: Quo- tiens in substantia erratur, nullus est contractus. Die Untersuchung selbst wird aber zeigen, wie wenig ein so gefaßter Grundsatz der Wahrheit entspricht (§ 138. a.).
Unsere Aufgabe besteht also darin, die einzelnen Fälle aufzusuchen, in welchen der Irrthum über Eigenschaften einer Sache dem Error in corpore gleich wirkt, und diese Fälle wo möglich auf eine gemeinsame Regel zurückzufüh- ren. Bey diesem Unternehmen werden wir uns weniger an abstracte Begriffe halten dürfen, als an die im wirk- lichen Verkehr herrschenden Ansichten und Gewohnheiten, wodurch denn die ganze Untersuchung eine nicht streng ju- ristische Richtung erhält. Die Römischen Juristen geben uns Vier einzelne Fälle dieser Art an:
§. 137. Error in substantia.
ben unterſucht iſt, anerkennen müſſen, daß ſie nur als ſcharf begränzte Ausnahmen denkbar ſind; denn wollten wir als Regel annehmen, daß jeder Irrthum über irgend eine dem Gegenſtand des Rechtsverhältniſſes zukommende Eigenſchaft den Willen ausſchließe, ſo würde damit die Sicherheit des Rechtsverkehrs völlig vernichtet ſeyn.
Unſere Schriftſteller bezeichnen die dahin gehörenden Fälle mit dem Kunſtausdruck Error in substantia, und dieſer Ausdruck, wie ſo manche andere, hat nicht wenig dazu beygetragen, die Sache ſelbſt zu verwirren. Die Gewöhnung an dieſen vermeintlichen Kunſtausdruck führte unvermerkt zu der ſtillſchweigenden Vorausſetzung, an der Spitze dieſer Lehre ſtehe etwa folgender Grundſatz: Quo- tiens in substantia erratur, nullus est contractus. Die Unterſuchung ſelbſt wird aber zeigen, wie wenig ein ſo gefaßter Grundſatz der Wahrheit entſpricht (§ 138. a.).
Unſere Aufgabe beſteht alſo darin, die einzelnen Fälle aufzuſuchen, in welchen der Irrthum über Eigenſchaften einer Sache dem Error in corpore gleich wirkt, und dieſe Fälle wo möglich auf eine gemeinſame Regel zurückzufüh- ren. Bey dieſem Unternehmen werden wir uns weniger an abſtracte Begriffe halten dürfen, als an die im wirk- lichen Verkehr herrſchenden Anſichten und Gewohnheiten, wodurch denn die ganze Unterſuchung eine nicht ſtreng ju- riſtiſche Richtung erhält. Die Römiſchen Juriſten geben uns Vier einzelne Fälle dieſer Art an:
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§. 137. Error in substantia.
ben unterſucht iſt, anerkennen müſſen, daß ſie nur als
ſcharf begränzte Ausnahmen denkbar ſind; denn wollten
wir als Regel annehmen, daß jeder Irrthum über irgend
eine dem Gegenſtand des Rechtsverhältniſſes zukommende
Eigenſchaft den Willen ausſchließe, ſo würde damit die
Sicherheit des Rechtsverkehrs völlig vernichtet ſeyn.
Unſere Schriftſteller bezeichnen die dahin gehörenden
Fälle mit dem Kunſtausdruck Error in substantia, und
dieſer Ausdruck, wie ſo manche andere, hat nicht wenig
dazu beygetragen, die Sache ſelbſt zu verwirren. Die
Gewöhnung an dieſen vermeintlichen Kunſtausdruck führte
unvermerkt zu der ſtillſchweigenden Vorausſetzung, an der
Spitze dieſer Lehre ſtehe etwa folgender Grundſatz: Quo-
tiens in substantia erratur, nullus est contractus. Die
Unterſuchung ſelbſt wird aber zeigen, wie wenig ein ſo
gefaßter Grundſatz der Wahrheit entſpricht (§ 138. a.).
Unſere Aufgabe beſteht alſo darin, die einzelnen Fälle
aufzuſuchen, in welchen der Irrthum über Eigenſchaften
einer Sache dem Error in corpore gleich wirkt, und dieſe
Fälle wo möglich auf eine gemeinſame Regel zurückzufüh-
ren. Bey dieſem Unternehmen werden wir uns weniger
an abſtracte Begriffe halten dürfen, als an die im wirk-
lichen Verkehr herrſchenden Anſichten und Gewohnheiten,
wodurch denn die ganze Unterſuchung eine nicht ſtreng ju-
riſtiſche Richtung erhält. Die Römiſchen Juriſten geben
uns Vier einzelne Fälle dieſer Art an:
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/289>, abgerufen am 24.11.2024.
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