Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.§. 137. Error in substantia. Fassen wir alle diese Anwendungen zusammen, so läßt Ich will nun diesen Begriff zur Beurtheilung einiger, (l) Wer Wein kauft, will nicht eine in diesem Faß enthaltene Flüssigkeit überhaupt, welche es sey, erwerben, sondern sein Ge- danke ist zunächst und hauptsäch- lich auf Wein gerichtet; eben so, wer ein goldnes Gefäß kauft, denkt nicht an ein Gefäß über- haupt, sondern wesentlich an das Gold als Stoff des Gefäßes. Rö- misch läßt sich das so ausdrücken: es ist eine species gekauft, aber unter der stillschweigenden Bedin- gung, daß sie zu einem bestimmten genus gehöre. Ist also unter der Hülle des Fasses Essig anstatt Wein verborgen, so wird der Fall eben so behandelt, wie wenn bey dem Kauf eines Sklaven un- ter der Hülle eines Gewandes, oder unter der Hülle des gemein- samen Namens Stichus, ein an- deres Individuum verborgen wäre, als dasjenige woran der Käufer denkt. (m) Bey ungefaßten Steinen
und Perlen muß dieses unbedingt gelten. Eben so auch bey gefaß- ten, wenn die Fassung nur dazu dient, den Stein zu zeigen und zu tragen, wie bey Brillantringen und bey dem Frauenschmuck; an- ders wenn der Stein zur Verzie- rung eines Gefäßes oder andern Geräthes gebraucht ist, wobey der Stein als Nebensache gilt, selbst wenn er von größerem Geldwerth seyn mag, als das Gefäß selbst. Vgl. L. 19 § 13--16 § 20 de auro (34. 2.). §. 137. Error in substantia. Faſſen wir alle dieſe Anwendungen zuſammen, ſo läßt Ich will nun dieſen Begriff zur Beurtheilung einiger, (l) Wer Wein kauft, will nicht eine in dieſem Faß enthaltene Flüſſigkeit überhaupt, welche es ſey, erwerben, ſondern ſein Ge- danke iſt zunächſt und hauptſäch- lich auf Wein gerichtet; eben ſo, wer ein goldnes Gefäß kauft, denkt nicht an ein Gefäß über- haupt, ſondern weſentlich an das Gold als Stoff des Gefäßes. Rö- miſch läßt ſich das ſo ausdrücken: es iſt eine species gekauft, aber unter der ſtillſchweigenden Bedin- gung, daß ſie zu einem beſtimmten genus gehöre. Iſt alſo unter der Hülle des Faſſes Eſſig anſtatt Wein verborgen, ſo wird der Fall eben ſo behandelt, wie wenn bey dem Kauf eines Sklaven un- ter der Hülle eines Gewandes, oder unter der Hülle des gemein- ſamen Namens Stichus, ein an- deres Individuum verborgen wäre, als dasjenige woran der Käufer denkt. (m) Bey ungefaßten Steinen
und Perlen muß dieſes unbedingt gelten. Eben ſo auch bey gefaß- ten, wenn die Faſſung nur dazu dient, den Stein zu zeigen und zu tragen, wie bey Brillantringen und bey dem Frauenſchmuck; an- ders wenn der Stein zur Verzie- rung eines Gefäßes oder andern Geräthes gebraucht iſt, wobey der Stein als Nebenſache gilt, ſelbſt wenn er von größerem Geldwerth ſeyn mag, als das Gefäß ſelbſt. Vgl. L. 19 § 13—16 § 20 de auro (34. 2.). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0295" n="283"/> <fw place="top" type="header">§. 137. <hi rendition="#aq">Error in substantia.</hi></fw><lb/> <p>Faſſen wir alle dieſe Anwendungen zuſammen, ſo läßt<lb/> ſich daraus folgender allgemeine Begriff bilden. Der Irr-<lb/> thum über eine Eigenſchaft der Sache iſt ein weſentlicher,<lb/> wenn durch die irrig vorausgeſetzte Eigenſchaft, nach den<lb/> im wirklichen Verkehr herrſchenden Begriffen, die Sache<lb/> zu einer anderen Art von Sachen gerechnet werden müßte,<lb/> als wozu ſie wirklich gehört. Die Verſchiedenheit des<lb/> Stoffs iſt dazu weder nothwendig, noch ſtets hinreichend,<lb/> und der Ausdruck <hi rendition="#aq">Error in substantia</hi> iſt daher keine an-<lb/> gemeſſene Bezeichnung <note place="foot" n="(l)">Wer Wein kauft, will nicht<lb/> eine in dieſem Faß enthaltene<lb/> Flüſſigkeit überhaupt, welche es<lb/> ſey, erwerben, ſondern ſein Ge-<lb/> danke iſt zunächſt und hauptſäch-<lb/> lich auf Wein gerichtet; eben ſo,<lb/> wer ein goldnes Gefäß kauft,<lb/> denkt nicht an ein Gefäß über-<lb/> haupt, ſondern weſentlich an das<lb/> Gold als Stoff des Gefäßes. Rö-<lb/> miſch läßt ſich das ſo ausdrücken:<lb/> es iſt eine <hi rendition="#aq">species</hi> gekauft, aber<lb/> unter der ſtillſchweigenden Bedin-<lb/> gung, daß ſie zu einem beſtimmten<lb/><hi rendition="#aq">genus</hi> gehöre. Iſt alſo unter der<lb/> Hülle des Faſſes Eſſig anſtatt<lb/> Wein verborgen, ſo wird der<lb/> Fall eben ſo behandelt, wie wenn<lb/> bey dem Kauf eines Sklaven un-<lb/> ter der Hülle eines Gewandes,<lb/> oder unter der Hülle des gemein-<lb/> ſamen Namens Stichus, ein an-<lb/> deres Individuum verborgen wäre,<lb/> als dasjenige woran der Käufer<lb/> denkt.</note>.</p><lb/> <p>Ich will nun dieſen Begriff zur Beurtheilung einiger,<lb/> in den Rechtsquellen nicht erwähnter, Fälle anwenden.<lb/> Der Irrthum iſt weſentlich, wenn unächte Edelſteine oder<lb/> Perlen für ächte gekauft werden <note place="foot" n="(m)">Bey ungefaßten Steinen<lb/> und Perlen muß dieſes unbedingt<lb/> gelten. Eben ſo auch bey gefaß-<lb/> ten, wenn die Faſſung nur dazu<lb/> dient, den Stein zu zeigen und<lb/> zu tragen, wie bey Brillantringen<lb/> und bey dem Frauenſchmuck; an-<lb/> ders wenn der Stein zur Verzie-<lb/> rung eines Gefäßes oder andern<lb/> Geräthes gebraucht iſt, wobey der<lb/> Stein als Nebenſache gilt, ſelbſt<lb/> wenn er von größerem Geldwerth<lb/> ſeyn mag, als das Gefäß ſelbſt.<lb/> Vgl. <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">L.</hi></hi> 19 § 13—16 § 20 <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">de<lb/> auro</hi></hi> (34. 2.).</note>. — Eben ſo wenn<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [283/0295]
§. 137. Error in substantia.
Faſſen wir alle dieſe Anwendungen zuſammen, ſo läßt
ſich daraus folgender allgemeine Begriff bilden. Der Irr-
thum über eine Eigenſchaft der Sache iſt ein weſentlicher,
wenn durch die irrig vorausgeſetzte Eigenſchaft, nach den
im wirklichen Verkehr herrſchenden Begriffen, die Sache
zu einer anderen Art von Sachen gerechnet werden müßte,
als wozu ſie wirklich gehört. Die Verſchiedenheit des
Stoffs iſt dazu weder nothwendig, noch ſtets hinreichend,
und der Ausdruck Error in substantia iſt daher keine an-
gemeſſene Bezeichnung (l).
Ich will nun dieſen Begriff zur Beurtheilung einiger,
in den Rechtsquellen nicht erwähnter, Fälle anwenden.
Der Irrthum iſt weſentlich, wenn unächte Edelſteine oder
Perlen für ächte gekauft werden (m). — Eben ſo wenn
(l) Wer Wein kauft, will nicht
eine in dieſem Faß enthaltene
Flüſſigkeit überhaupt, welche es
ſey, erwerben, ſondern ſein Ge-
danke iſt zunächſt und hauptſäch-
lich auf Wein gerichtet; eben ſo,
wer ein goldnes Gefäß kauft,
denkt nicht an ein Gefäß über-
haupt, ſondern weſentlich an das
Gold als Stoff des Gefäßes. Rö-
miſch läßt ſich das ſo ausdrücken:
es iſt eine species gekauft, aber
unter der ſtillſchweigenden Bedin-
gung, daß ſie zu einem beſtimmten
genus gehöre. Iſt alſo unter der
Hülle des Faſſes Eſſig anſtatt
Wein verborgen, ſo wird der
Fall eben ſo behandelt, wie wenn
bey dem Kauf eines Sklaven un-
ter der Hülle eines Gewandes,
oder unter der Hülle des gemein-
ſamen Namens Stichus, ein an-
deres Individuum verborgen wäre,
als dasjenige woran der Käufer
denkt.
(m) Bey ungefaßten Steinen
und Perlen muß dieſes unbedingt
gelten. Eben ſo auch bey gefaß-
ten, wenn die Faſſung nur dazu
dient, den Stein zu zeigen und
zu tragen, wie bey Brillantringen
und bey dem Frauenſchmuck; an-
ders wenn der Stein zur Verzie-
rung eines Gefäßes oder andern
Geräthes gebraucht iſt, wobey der
Stein als Nebenſache gilt, ſelbſt
wenn er von größerem Geldwerth
ſeyn mag, als das Gefäß ſelbſt.
Vgl. L. 19 § 13—16 § 20 de
auro (34. 2.).
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