Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Ich will es versuchen, durch die Analyse eines Falles, an dessen Vertragsnatur Niemand zweifelt, den Begriff selbst zur Anschauung zu bringen. Betrachten wir zu die- sem Zweck den Kaufcontract, so ist das Erste, was wir dabey wahrnehmen, eine Mehrheit einander gegenüber ste- hender Personen. In diesem besonderen Fall, so wie in den meisten, sind es gerade zwey Personen; in manchen Fällen aber, wie bey der Societät, ist die Anzahl ganz zufällig, und so müssen wir bey dem allgemeinen, unbe- stimmten Merkmal der Mehrheit stehen bleiben. -- Diese Mehreren müssen irgend Etwas, und zwar Beide dasselbe, bestimmt gewollt haben, denn so lange noch entweder Un- entschiedenheit, oder Mangel an Übereinstimmung vorhan- den ist, wird Niemand einen Vertrag annehmen können. -- Sie müssen sich dieser Übereinstimmung bewußt gewor- den seyn, das heißt der Wille muß gegenseitig erklärt wor- den seyn, da der blos gefaßte, aber heimlich gehaltene Entschluß nicht als Bestandtheil eines Vertrags gelten kann. -- Ferner ist der Gegenstand des Willens zu beach- ten. Kommen zwey Menschen mit einander überein, sich gegenseitig in Tugend, Wissenschaft, Kunst, durch Rath und Beyspiel zu fördern, so würde das nur sehr uneigent- lich ein Vertrag genannt werden. Der Unterschied von dem beyspielsweise angeführten Kaufcontract, der wirklich ein Vertrag ist, liegt aber darin, daß in diesem der Wille auf ein Rechtsverhältniß als Zweck gerichtet ist, in jenen Fällen auf andere Zwecke. -- Aber auch die bloße Rich-
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Ich will es verſuchen, durch die Analyſe eines Falles, an deſſen Vertragsnatur Niemand zweifelt, den Begriff ſelbſt zur Anſchauung zu bringen. Betrachten wir zu die- ſem Zweck den Kaufcontract, ſo iſt das Erſte, was wir dabey wahrnehmen, eine Mehrheit einander gegenüber ſte- hender Perſonen. In dieſem beſonderen Fall, ſo wie in den meiſten, ſind es gerade zwey Perſonen; in manchen Fällen aber, wie bey der Societät, iſt die Anzahl ganz zufällig, und ſo müſſen wir bey dem allgemeinen, unbe- ſtimmten Merkmal der Mehrheit ſtehen bleiben. — Dieſe Mehreren müſſen irgend Etwas, und zwar Beide daſſelbe, beſtimmt gewollt haben, denn ſo lange noch entweder Un- entſchiedenheit, oder Mangel an Übereinſtimmung vorhan- den iſt, wird Niemand einen Vertrag annehmen können. — Sie müſſen ſich dieſer Übereinſtimmung bewußt gewor- den ſeyn, das heißt der Wille muß gegenſeitig erklärt wor- den ſeyn, da der blos gefaßte, aber heimlich gehaltene Entſchluß nicht als Beſtandtheil eines Vertrags gelten kann. — Ferner iſt der Gegenſtand des Willens zu beach- ten. Kommen zwey Menſchen mit einander überein, ſich gegenſeitig in Tugend, Wiſſenſchaft, Kunſt, durch Rath und Beyſpiel zu fördern, ſo würde das nur ſehr uneigent- lich ein Vertrag genannt werden. Der Unterſchied von dem beyſpielsweiſe angeführten Kaufcontract, der wirklich ein Vertrag iſt, liegt aber darin, daß in dieſem der Wille auf ein Rechtsverhältniß als Zweck gerichtet iſt, in jenen Fällen auf andere Zwecke. — Aber auch die bloße Rich-
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Ich will es verſuchen, durch die Analyſe eines Falles,
an deſſen Vertragsnatur Niemand zweifelt, den Begriff
ſelbſt zur Anſchauung zu bringen. Betrachten wir zu die-
ſem Zweck den Kaufcontract, ſo iſt das Erſte, was wir
dabey wahrnehmen, eine Mehrheit einander gegenüber ſte-
hender Perſonen. In dieſem beſonderen Fall, ſo wie in
den meiſten, ſind es gerade zwey Perſonen; in manchen
Fällen aber, wie bey der Societät, iſt die Anzahl ganz
zufällig, und ſo müſſen wir bey dem allgemeinen, unbe-
ſtimmten Merkmal der Mehrheit ſtehen bleiben. — Dieſe
Mehreren müſſen irgend Etwas, und zwar Beide daſſelbe,
beſtimmt gewollt haben, denn ſo lange noch entweder Un-
entſchiedenheit, oder Mangel an Übereinſtimmung vorhan-
den iſt, wird Niemand einen Vertrag annehmen können.
— Sie müſſen ſich dieſer Übereinſtimmung bewußt gewor-
den ſeyn, das heißt der Wille muß gegenſeitig erklärt wor-
den ſeyn, da der blos gefaßte, aber heimlich gehaltene
Entſchluß nicht als Beſtandtheil eines Vertrags gelten
kann. — Ferner iſt der Gegenſtand des Willens zu beach-
ten. Kommen zwey Menſchen mit einander überein, ſich
gegenſeitig in Tugend, Wiſſenſchaft, Kunſt, durch Rath
und Beyſpiel zu fördern, ſo würde das nur ſehr uneigent-
lich ein Vertrag genannt werden. Der Unterſchied von
dem beyſpielsweiſe angeführten Kaufcontract, der wirklich
ein Vertrag iſt, liegt aber darin, daß in dieſem der Wille
auf ein Rechtsverhältniß als Zweck gerichtet iſt, in jenen
Fällen auf andere Zwecke. — Aber auch die bloße Rich-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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