Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Irrthum und Unwissenheit.
die Betrachtung wählen; dieser Zeitpunkt aber wird durch
jenes Princip auf keine Weise bestimmt, so daß dasselbe
den letzten Erfolg meist unentschieden lassen wird. Wer
z. B. die condictio indebiti anstellt, will etwas gewinnen
in Beziehung auf die unmittelbar vorhergehende Zeit, da
das bezahlte Geld in seinem Vermögen gegenwärtig gar
nicht mehr enthalten, er also durch die geleistete Zahlung
schon wirklich ärmer geworden ist; in Beziehung auf die
Zeit vor der Zahlung will er Verlust abwenden; Alles
hängt also davon ab, ob wir den Umfang des Vermögens
vor oder nach der Zahlung unsrer Betrachtung zum Grund
legen wollen (g). Wer eine Usucapion vollendet, wird
vielleicht gar nicht reicher, da die Usucapion sehr oft nur
dadurch einen praktisch höchst wichtigen Dienst leistet, daß
sie den fehlenden Beweis des bereits vorhandenen Eigen-

(g) Hieraus erklärt sich die
subtile Unterscheidung des Donel-
lus zwischen damnum rei amit-
tendae
und amissae. -- Höpf-
ner
, Institutionencommentar §
954, nimmt an, der Kläger bey
der condictio indebiti wolle zwar
gewöhnlich nur Verlust abwenden,
zuweilen aber auch Gewinn ma-
chen; dieses namentlich wenn der
Testamentserbe die Legate ohne
Abzug der Falcidia ausgezahlt
habe, und nun das so zuviel
Bezahlte zurückfordere; denn die-
ser Abzug sey reiner Gewinn.
Hier schiebt also Höpfner den
Standpunkt der Beurtheilung in
eine noch frühere Zeit zurück,
nämlich vor den Erwerb der Erb-
schaft, in welcher Zeit freylich die
ganze Erbschaft, also auch der in
der Falcidia enthaltene Theil der-
selben, noch als bevorstehender
reiner Gewinn erscheinen muß;
oder gar in die Zeit vor der Lex
Falcidia, die ja überhaupt erst den
Abzug, als reinen Gewinn, dem
Erben zugestanden hat. Hieraus
wird es nun immer einleuchten-
der, daß jene Unterscheidung die
willkührlichste Anwendung zuläßt,
also schon an sich selbst als sichere
Regel zu dienen unfähig ist.

Irrthum und Unwiſſenheit.
die Betrachtung wählen; dieſer Zeitpunkt aber wird durch
jenes Princip auf keine Weiſe beſtimmt, ſo daß daſſelbe
den letzten Erfolg meiſt unentſchieden laſſen wird. Wer
z. B. die condictio indebiti anſtellt, will etwas gewinnen
in Beziehung auf die unmittelbar vorhergehende Zeit, da
das bezahlte Geld in ſeinem Vermögen gegenwärtig gar
nicht mehr enthalten, er alſo durch die geleiſtete Zahlung
ſchon wirklich ärmer geworden iſt; in Beziehung auf die
Zeit vor der Zahlung will er Verluſt abwenden; Alles
hängt alſo davon ab, ob wir den Umfang des Vermögens
vor oder nach der Zahlung unſrer Betrachtung zum Grund
legen wollen (g). Wer eine Uſucapion vollendet, wird
vielleicht gar nicht reicher, da die Uſucapion ſehr oft nur
dadurch einen praktiſch höchſt wichtigen Dienſt leiſtet, daß
ſie den fehlenden Beweis des bereits vorhandenen Eigen-

(g) Hieraus erklärt ſich die
ſubtile Unterſcheidung des Donel-
lus zwiſchen damnum rei amit-
tendae
und amissae.Höpf-
ner
, Inſtitutionencommentar §
954, nimmt an, der Kläger bey
der condictio indebiti wolle zwar
gewöhnlich nur Verluſt abwenden,
zuweilen aber auch Gewinn ma-
chen; dieſes namentlich wenn der
Teſtamentserbe die Legate ohne
Abzug der Falcidia ausgezahlt
habe, und nun das ſo zuviel
Bezahlte zurückfordere; denn die-
ſer Abzug ſey reiner Gewinn.
Hier ſchiebt alſo Höpfner den
Standpunkt der Beurtheilung in
eine noch frühere Zeit zurück,
nämlich vor den Erwerb der Erb-
ſchaft, in welcher Zeit freylich die
ganze Erbſchaft, alſo auch der in
der Falcidia enthaltene Theil der-
ſelben, noch als bevorſtehender
reiner Gewinn erſcheinen muß;
oder gar in die Zeit vor der Lex
Falcidia, die ja überhaupt erſt den
Abzug, als reinen Gewinn, dem
Erben zugeſtanden hat. Hieraus
wird es nun immer einleuchten-
der, daß jene Unterſcheidung die
willkührlichſte Anwendung zuläßt,
alſo ſchon an ſich ſelbſt als ſichere
Regel zu dienen unfähig iſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0361" n="349"/><fw place="top" type="header">Irrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit.</fw><lb/>
die Betrachtung wählen; die&#x017F;er Zeitpunkt aber wird durch<lb/>
jenes Princip auf keine Wei&#x017F;e be&#x017F;timmt, &#x017F;o daß da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
den letzten Erfolg mei&#x017F;t unent&#x017F;chieden la&#x017F;&#x017F;en wird. Wer<lb/>
z. B. die <hi rendition="#aq">condictio indebiti</hi> an&#x017F;tellt, will etwas gewinnen<lb/>
in Beziehung auf die unmittelbar vorhergehende Zeit, da<lb/>
das bezahlte Geld in &#x017F;einem Vermögen gegenwärtig gar<lb/>
nicht mehr enthalten, er al&#x017F;o durch die gelei&#x017F;tete Zahlung<lb/>
&#x017F;chon wirklich ärmer geworden i&#x017F;t; in Beziehung auf die<lb/>
Zeit vor der Zahlung will er Verlu&#x017F;t abwenden; Alles<lb/>
hängt al&#x017F;o davon ab, ob wir den Umfang des Vermögens<lb/>
vor oder nach der Zahlung un&#x017F;rer Betrachtung zum Grund<lb/>
legen wollen <note place="foot" n="(g)">Hieraus erklärt &#x017F;ich die<lb/>
&#x017F;ubtile Unter&#x017F;cheidung des Donel-<lb/>
lus zwi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">damnum rei amit-<lb/>
tendae</hi> und <hi rendition="#aq">amissae.</hi> &#x2014; <hi rendition="#g">Höpf-<lb/>
ner</hi>, In&#x017F;titutionencommentar §<lb/>
954, nimmt an, der Kläger bey<lb/>
der <hi rendition="#aq">condictio indebiti</hi> wolle zwar<lb/>
gewöhnlich nur Verlu&#x017F;t abwenden,<lb/>
zuweilen aber auch Gewinn ma-<lb/>
chen; die&#x017F;es namentlich wenn der<lb/>
Te&#x017F;tamentserbe die Legate ohne<lb/>
Abzug der Falcidia ausgezahlt<lb/>
habe, und nun das &#x017F;o zuviel<lb/>
Bezahlte zurückfordere; denn die-<lb/>
&#x017F;er Abzug &#x017F;ey reiner Gewinn.<lb/>
Hier &#x017F;chiebt al&#x017F;o Höpfner den<lb/>
Standpunkt der Beurtheilung in<lb/>
eine noch frühere Zeit zurück,<lb/>
nämlich vor den Erwerb der Erb-<lb/>
&#x017F;chaft, in welcher Zeit freylich die<lb/>
ganze Erb&#x017F;chaft, al&#x017F;o auch der in<lb/>
der Falcidia enthaltene Theil der-<lb/>
&#x017F;elben, noch als bevor&#x017F;tehender<lb/>
reiner Gewinn er&#x017F;cheinen muß;<lb/>
oder gar in die Zeit vor der Lex<lb/>
Falcidia, die ja überhaupt er&#x017F;t den<lb/>
Abzug, als reinen Gewinn, dem<lb/>
Erben zuge&#x017F;tanden hat. Hieraus<lb/>
wird es nun immer einleuchten-<lb/>
der, daß jene Unter&#x017F;cheidung die<lb/>
willkührlich&#x017F;te Anwendung zuläßt,<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;chon an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t als &#x017F;ichere<lb/>
Regel zu dienen unfähig i&#x017F;t.</note>. Wer eine U&#x017F;ucapion vollendet, wird<lb/>
vielleicht gar nicht reicher, da die U&#x017F;ucapion &#x017F;ehr oft nur<lb/>
dadurch einen prakti&#x017F;ch höch&#x017F;t wichtigen Dien&#x017F;t lei&#x017F;tet, daß<lb/>
&#x017F;ie den fehlenden Beweis des bereits vorhandenen Eigen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0361] Irrthum und Unwiſſenheit. die Betrachtung wählen; dieſer Zeitpunkt aber wird durch jenes Princip auf keine Weiſe beſtimmt, ſo daß daſſelbe den letzten Erfolg meiſt unentſchieden laſſen wird. Wer z. B. die condictio indebiti anſtellt, will etwas gewinnen in Beziehung auf die unmittelbar vorhergehende Zeit, da das bezahlte Geld in ſeinem Vermögen gegenwärtig gar nicht mehr enthalten, er alſo durch die geleiſtete Zahlung ſchon wirklich ärmer geworden iſt; in Beziehung auf die Zeit vor der Zahlung will er Verluſt abwenden; Alles hängt alſo davon ab, ob wir den Umfang des Vermögens vor oder nach der Zahlung unſrer Betrachtung zum Grund legen wollen (g). Wer eine Uſucapion vollendet, wird vielleicht gar nicht reicher, da die Uſucapion ſehr oft nur dadurch einen praktiſch höchſt wichtigen Dienſt leiſtet, daß ſie den fehlenden Beweis des bereits vorhandenen Eigen- (g) Hieraus erklärt ſich die ſubtile Unterſcheidung des Donel- lus zwiſchen damnum rei amit- tendae und amissae. — Höpf- ner, Inſtitutionencommentar § 954, nimmt an, der Kläger bey der condictio indebiti wolle zwar gewöhnlich nur Verluſt abwenden, zuweilen aber auch Gewinn ma- chen; dieſes namentlich wenn der Teſtamentserbe die Legate ohne Abzug der Falcidia ausgezahlt habe, und nun das ſo zuviel Bezahlte zurückfordere; denn die- ſer Abzug ſey reiner Gewinn. Hier ſchiebt alſo Höpfner den Standpunkt der Beurtheilung in eine noch frühere Zeit zurück, nämlich vor den Erwerb der Erb- ſchaft, in welcher Zeit freylich die ganze Erbſchaft, alſo auch der in der Falcidia enthaltene Theil der- ſelben, noch als bevorſtehender reiner Gewinn erſcheinen muß; oder gar in die Zeit vor der Lex Falcidia, die ja überhaupt erſt den Abzug, als reinen Gewinn, dem Erben zugeſtanden hat. Hieraus wird es nun immer einleuchten- der, daß jene Unterſcheidung die willkührlichſte Anwendung zuläßt, alſo ſchon an ſich ſelbſt als ſichere Regel zu dienen unfähig iſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/361
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/361>, abgerufen am 24.11.2024.