Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Irrthum und Unwissenheit.
Handlung selbst ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in
Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem
Vermögen abzumessen ist. Gerade der Mangel eines sol-
chen sicheren Zeitpunkts ist es, wodurch jenes angebliche
Princip für die Lehre vom Irrthum so unbrauchbar für
die Anwendung wird.

Diese letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu
einer bestimmteren Behauptung über die ursprüngliche Ge-
stalt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie-
gende Interpolation. Die ganze Verwirrung entsteht da-
durch, daß Papinian eine erschöpfende Klassification aller
möglichen Rechtsereignisse aufstellen zu wollen scheint, aus
welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums
abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen sey oder nicht.
In dieser Gestalt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu
anerkannt unrichtigen, theils zu schwankenden, in beiden
Fällen also zu unbrauchbaren Resultaten. In der That
aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt,
sondern nur von dem Irrthum der Frauen gesprochen.
Diese hatten zu seiner Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt
der Irrthum schützte, auch den Rechtsirrthum für sich gel-
tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen-
kungen, d. h. der Geschäfte, die uns nicht etwa blos be-
reichern (welches bey sehr vielen Geschäften nach Einer
Seite hin geschieht), sondern wobey diese einseitige Berei-
cherung die bestimmte Absicht beider zusammen wirkenden
Personen ist. In diesem Zusammenhang hatte der von

Irrthum und Unwiſſenheit.
Handlung ſelbſt ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in
Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem
Vermögen abzumeſſen iſt. Gerade der Mangel eines ſol-
chen ſicheren Zeitpunkts iſt es, wodurch jenes angebliche
Princip für die Lehre vom Irrthum ſo unbrauchbar für
die Anwendung wird.

Dieſe letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu
einer beſtimmteren Behauptung über die urſprüngliche Ge-
ſtalt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie-
gende Interpolation. Die ganze Verwirrung entſteht da-
durch, daß Papinian eine erſchöpfende Klaſſification aller
möglichen Rechtsereigniſſe aufſtellen zu wollen ſcheint, aus
welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums
abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen ſey oder nicht.
In dieſer Geſtalt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu
anerkannt unrichtigen, theils zu ſchwankenden, in beiden
Fällen alſo zu unbrauchbaren Reſultaten. In der That
aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt,
ſondern nur von dem Irrthum der Frauen geſprochen.
Dieſe hatten zu ſeiner Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt
der Irrthum ſchützte, auch den Rechtsirrthum für ſich gel-
tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen-
kungen, d. h. der Geſchäfte, die uns nicht etwa blos be-
reichern (welches bey ſehr vielen Geſchäften nach Einer
Seite hin geſchieht), ſondern wobey dieſe einſeitige Berei-
cherung die beſtimmte Abſicht beider zuſammen wirkenden
Perſonen iſt. In dieſem Zuſammenhang hatte der von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0363" n="351"/><fw place="top" type="header">Irrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit.</fw><lb/>
Handlung &#x017F;elb&#x017F;t ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in<lb/>
Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem<lb/>
Vermögen abzume&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t. Gerade der Mangel eines &#x017F;ol-<lb/>
chen &#x017F;icheren Zeitpunkts i&#x017F;t es, wodurch jenes angebliche<lb/>
Princip für die Lehre vom Irrthum &#x017F;o unbrauchbar für<lb/>
die Anwendung wird.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu<lb/>
einer be&#x017F;timmteren Behauptung über die ur&#x017F;prüngliche Ge-<lb/>
&#x017F;talt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie-<lb/>
gende Interpolation. Die ganze Verwirrung ent&#x017F;teht da-<lb/>
durch, daß Papinian eine er&#x017F;chöpfende Kla&#x017F;&#x017F;ification aller<lb/>
möglichen Rechtsereigni&#x017F;&#x017F;e auf&#x017F;tellen zu wollen &#x017F;cheint, aus<lb/>
welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums<lb/>
abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen &#x017F;ey oder nicht.<lb/>
In die&#x017F;er Ge&#x017F;talt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu<lb/>
anerkannt unrichtigen, theils zu &#x017F;chwankenden, in beiden<lb/>
Fällen al&#x017F;o zu unbrauchbaren Re&#x017F;ultaten. In der That<lb/>
aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt,<lb/>
&#x017F;ondern nur von dem Irrthum der Frauen ge&#x017F;prochen.<lb/>
Die&#x017F;e hatten zu &#x017F;einer Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt<lb/>
der Irrthum &#x017F;chützte, auch den Rechtsirrthum für &#x017F;ich gel-<lb/>
tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen-<lb/>
kungen, d. h. der Ge&#x017F;chäfte, die uns nicht etwa blos be-<lb/>
reichern (welches bey &#x017F;ehr vielen Ge&#x017F;chäften nach Einer<lb/>
Seite hin ge&#x017F;chieht), &#x017F;ondern wobey die&#x017F;e ein&#x017F;eitige Berei-<lb/>
cherung die be&#x017F;timmte Ab&#x017F;icht beider zu&#x017F;ammen wirkenden<lb/>
Per&#x017F;onen i&#x017F;t. In die&#x017F;em Zu&#x017F;ammenhang hatte der von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0363] Irrthum und Unwiſſenheit. Handlung ſelbſt ein unzweifelhafter Zeitpunkt gegeben, in Beziehung auf welchen das Mehr oder Weniger in dem Vermögen abzumeſſen iſt. Gerade der Mangel eines ſol- chen ſicheren Zeitpunkts iſt es, wodurch jenes angebliche Princip für die Lehre vom Irrthum ſo unbrauchbar für die Anwendung wird. Dieſe letzte Bemerkung aber führt uns nun noch zu einer beſtimmteren Behauptung über die urſprüngliche Ge- ſtalt der Stellen Papinians und deren gegenwärtig vorlie- gende Interpolation. Die ganze Verwirrung entſteht da- durch, daß Papinian eine erſchöpfende Klaſſification aller möglichen Rechtsereigniſſe aufſtellen zu wollen ſcheint, aus welcher man für jeden vorkommenden Fall eines Irrthums abnehmen könne, ob dem Irrenden zu helfen ſey oder nicht. In dieſer Geſtalt aufgefaßt, führten die Stellen theils zu anerkannt unrichtigen, theils zu ſchwankenden, in beiden Fällen alſo zu unbrauchbaren Reſultaten. In der That aber hatte Papinian nicht von dem Irrthum überhaupt, ſondern nur von dem Irrthum der Frauen geſprochen. Dieſe hatten zu ſeiner Zeit das Vorrecht, da wo überhaupt der Irrthum ſchützte, auch den Rechtsirrthum für ſich gel- tend machen zu dürfen: jedoch mit Ausnahme der Schen- kungen, d. h. der Geſchäfte, die uns nicht etwa blos be- reichern (welches bey ſehr vielen Geſchäften nach Einer Seite hin geſchieht), ſondern wobey dieſe einſeitige Berei- cherung die beſtimmte Abſicht beider zuſammen wirkenden Perſonen iſt. In dieſem Zuſammenhang hatte der von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/363
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/363>, abgerufen am 24.11.2024.