Indessen ist hierin noch folgender Unterschied wohl zu beachten. Wenn der Handelnde das Strafgesetz kennt, aber durch einen Rechtsirrthum über die strafbare Beschaf- fenheit seiner Handlung getäuscht wird, so ist der eben aufgestellte Satz allgemein wahr. Anders, was die Kennt- niß des Strafgesetzes selbst betrifft. Diese wird bey Jedem gefordert und vorausgesetzt, und ihr Mangel schließt den Dolus und die Strafbarkeit nicht aus. Von dieser Strenge sind nur gewisse Klassen von Personen ausgenommen, de- nen auch die Rechtsunwissenheit überhaupt nachgesehen wird; dahin gehört Minderjährigkeit, weibliches Geschlecht, Rusticitas und Soldatenstand. Jedoch sind auch diese Klas- sen nur bey denjenigen Strafgesetzen ausgenommen, welche eine mehr positive Natur haben (juris civilis), nicht bey denen, welche schon dem natürlichen Rechtsgefühl einleuch- ten (juris gentium)(b). Der Ausdruck juris ignorantia nun ist zweydeutig, indem er an sich sowohl auf die straf- bare Natur der Handlung, als auf die Unbekanntschaft mit dem Strafgesetz bezogen werden kann; die juris igno- rantia im ersten Sinn also wird jedes dolose Delict aus- schließen, die im zweyten Sinn dagegen nur in den be- schränkten Fällen der angegebenen Ausnahmen. Durch diese Zweydeutigkeit des Ausdrucks sind manche scheinbare Wi- dersprüche in unsren Rechtsquellen aufzulösen (c).
(b) Der Unterschied ist deutlich anerkannt in L. 38 § 2. 4 ad L. J. de adult. (48. 5.), L. 2 C. de in jus voc. (2. 2.), welche Stel- len im Num. XXI., bey den ein- zelnen Delicten, benutzt werden sollen.
(c)Coll. LL. Mos. et Rom.
Irrthum und Unwiſſenheit.
Indeſſen iſt hierin noch folgender Unterſchied wohl zu beachten. Wenn der Handelnde das Strafgeſetz kennt, aber durch einen Rechtsirrthum über die ſtrafbare Beſchaf- fenheit ſeiner Handlung getäuſcht wird, ſo iſt der eben aufgeſtellte Satz allgemein wahr. Anders, was die Kennt- niß des Strafgeſetzes ſelbſt betrifft. Dieſe wird bey Jedem gefordert und vorausgeſetzt, und ihr Mangel ſchließt den Dolus und die Strafbarkeit nicht aus. Von dieſer Strenge ſind nur gewiſſe Klaſſen von Perſonen ausgenommen, de- nen auch die Rechtsunwiſſenheit überhaupt nachgeſehen wird; dahin gehört Minderjährigkeit, weibliches Geſchlecht, Rusticitas und Soldatenſtand. Jedoch ſind auch dieſe Klaſ- ſen nur bey denjenigen Strafgeſetzen ausgenommen, welche eine mehr poſitive Natur haben (juris civilis), nicht bey denen, welche ſchon dem natürlichen Rechtsgefühl einleuch- ten (juris gentium)(b). Der Ausdruck juris ignorantia nun iſt zweydeutig, indem er an ſich ſowohl auf die ſtraf- bare Natur der Handlung, als auf die Unbekanntſchaft mit dem Strafgeſetz bezogen werden kann; die juris igno- rantia im erſten Sinn alſo wird jedes doloſe Delict aus- ſchließen, die im zweyten Sinn dagegen nur in den be- ſchränkten Fällen der angegebenen Ausnahmen. Durch dieſe Zweydeutigkeit des Ausdrucks ſind manche ſcheinbare Wi- derſprüche in unſren Rechtsquellen aufzulöſen (c).
(b) Der Unterſchied iſt deutlich anerkannt in L. 38 § 2. 4 ad L. J. de adult. (48. 5.), L. 2 C. de in jus voc. (2. 2.), welche Stel- len im Num. XXI., bey den ein- zelnen Delicten, benutzt werden ſollen.
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Irrthum und Unwiſſenheit.
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aber durch einen Rechtsirrthum über die ſtrafbare Beſchaf-
fenheit ſeiner Handlung getäuſcht wird, ſo iſt der eben
aufgeſtellte Satz allgemein wahr. Anders, was die Kennt-
niß des Strafgeſetzes ſelbſt betrifft. Dieſe wird bey Jedem
gefordert und vorausgeſetzt, und ihr Mangel ſchließt den
Dolus und die Strafbarkeit nicht aus. Von dieſer Strenge
ſind nur gewiſſe Klaſſen von Perſonen ausgenommen, de-
nen auch die Rechtsunwiſſenheit überhaupt nachgeſehen
wird; dahin gehört Minderjährigkeit, weibliches Geſchlecht,
Rusticitas und Soldatenſtand. Jedoch ſind auch dieſe Klaſ-
ſen nur bey denjenigen Strafgeſetzen ausgenommen, welche
eine mehr poſitive Natur haben (juris civilis), nicht bey
denen, welche ſchon dem natürlichen Rechtsgefühl einleuch-
ten (juris gentium) (b). Der Ausdruck juris ignorantia
nun iſt zweydeutig, indem er an ſich ſowohl auf die ſtraf-
bare Natur der Handlung, als auf die Unbekanntſchaft
mit dem Strafgeſetz bezogen werden kann; die juris igno-
rantia im erſten Sinn alſo wird jedes doloſe Delict aus-
ſchließen, die im zweyten Sinn dagegen nur in den be-
ſchränkten Fällen der angegebenen Ausnahmen. Durch dieſe
Zweydeutigkeit des Ausdrucks ſind manche ſcheinbare Wi-
derſprüche in unſren Rechtsquellen aufzulöſen (c).
(b) Der Unterſchied iſt deutlich
anerkannt in L. 38 § 2. 4 ad L.
J. de adult. (48. 5.), L. 2 C. de
in jus voc. (2. 2.), welche Stel-
len im Num. XXI., bey den ein-
zelnen Delicten, benutzt werden
ſollen.
(c) Coll. LL. Mos. et Rom.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/401>, abgerufen am 22.11.2024.
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