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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
die Entdeckung der Rechtsverletzung so schwer seyn, daß
sie der Unmöglichkeit gleich zu achten ist; kann er also
solche Umstände nachweisen, so wird die Verjährung aus-
nahmsweise von der Zeit seiner Kenntniß an gerechnet.
Es verhält sich also hier gerade umgekehrt, als in ande-
ren Fällen, worin die Unwissenheit Einfluß hat, und worin
dieser Einfluß gilt, wenn nur nicht eine besondere Nach-
lässigkeit dargethan werden kann, anstatt daß bey den
Klagen mit utile tempus die Unmöglichkeit der Kenntniß
zu erweisen ist. Die besonders zahlreichen Fälle zweifel-
hafter, unerweislicher Umstände kommen daher in anderen
Fällen dem Unwissenden, bey der Verjährung der einjäh-
rigen Klagen seinem Gegner zu gut. Hierin wird also
die einjährige Klagverjährung namentlich ganz anders be-
handelt, als die Frist der Bonorum Possessio (Num.
XXIV.) (b). -- Der hier aufgestellte Grundsatz ist von
den Römern nirgend allgemein ausgesprochen; er findet
sich in einzelnen Anwendungen, und zwar hier bald mehr
bald weniger vollständig, so daß es gewiß das einzig rich-
tige Verfahren ist, die weniger bestimmten Stellen aus
den bestimmteren zu ergänzen, da ihnen allen ohne Zwei-

(b) Vergl. über diese verschie-
dene Behandlung das System
§ 190. -- Mit Unrecht wirft beide
Fälle zusammen Burchardi
Wiedereinsetzung S. 188. -- Der
hier aufgestellten Ansicht nähert
sich Arndts in Linde's Zeitschrift
B. 14 S. 31, der jedoch das Ver-
hältniß von Regel und Ausnah-
me nicht so, wie es hier gesche-
hen, auffaßt, sondern Alles dem
richterlichen Ermessen überläßt,
und dabey eher geneigt scheint,
die Regel auf die entgegengesetzte
Seite zu legen.

Irrthum und Unwiſſenheit.
die Entdeckung der Rechtsverletzung ſo ſchwer ſeyn, daß
ſie der Unmöglichkeit gleich zu achten iſt; kann er alſo
ſolche Umſtände nachweiſen, ſo wird die Verjährung aus-
nahmsweiſe von der Zeit ſeiner Kenntniß an gerechnet.
Es verhält ſich alſo hier gerade umgekehrt, als in ande-
ren Fällen, worin die Unwiſſenheit Einfluß hat, und worin
dieſer Einfluß gilt, wenn nur nicht eine beſondere Nach-
läſſigkeit dargethan werden kann, anſtatt daß bey den
Klagen mit utile tempus die Unmöglichkeit der Kenntniß
zu erweiſen iſt. Die beſonders zahlreichen Fälle zweifel-
hafter, unerweislicher Umſtände kommen daher in anderen
Fällen dem Unwiſſenden, bey der Verjährung der einjaͤh-
rigen Klagen ſeinem Gegner zu gut. Hierin wird alſo
die einjährige Klagverjährung namentlich ganz anders be-
handelt, als die Friſt der Bonorum Possessio (Num.
XXIV.) (b). — Der hier aufgeſtellte Grundſatz iſt von
den Römern nirgend allgemein ausgeſprochen; er findet
ſich in einzelnen Anwendungen, und zwar hier bald mehr
bald weniger vollſtändig, ſo daß es gewiß das einzig rich-
tige Verfahren iſt, die weniger beſtimmten Stellen aus
den beſtimmteren zu ergänzen, da ihnen allen ohne Zwei-

(b) Vergl. über dieſe verſchie-
dene Behandlung das Syſtem
§ 190. — Mit Unrecht wirft beide
Fälle zuſammen Burchardi
Wiedereinſetzung S. 188. — Der
hier aufgeſtellten Anſicht nähert
ſich Arndts in Linde’s Zeitſchrift
B. 14 S. 31, der jedoch das Ver-
hältniß von Regel und Ausnah-
me nicht ſo, wie es hier geſche-
hen, auffaßt, ſondern Alles dem
richterlichen Ermeſſen überläßt,
und dabey eher geneigt ſcheint,
die Regel auf die entgegengeſetzte
Seite zu legen.
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[411/0423] Irrthum und Unwiſſenheit. die Entdeckung der Rechtsverletzung ſo ſchwer ſeyn, daß ſie der Unmöglichkeit gleich zu achten iſt; kann er alſo ſolche Umſtände nachweiſen, ſo wird die Verjährung aus- nahmsweiſe von der Zeit ſeiner Kenntniß an gerechnet. Es verhält ſich alſo hier gerade umgekehrt, als in ande- ren Fällen, worin die Unwiſſenheit Einfluß hat, und worin dieſer Einfluß gilt, wenn nur nicht eine beſondere Nach- läſſigkeit dargethan werden kann, anſtatt daß bey den Klagen mit utile tempus die Unmöglichkeit der Kenntniß zu erweiſen iſt. Die beſonders zahlreichen Fälle zweifel- hafter, unerweislicher Umſtände kommen daher in anderen Fällen dem Unwiſſenden, bey der Verjährung der einjaͤh- rigen Klagen ſeinem Gegner zu gut. Hierin wird alſo die einjährige Klagverjährung namentlich ganz anders be- handelt, als die Friſt der Bonorum Possessio (Num. XXIV.) (b). — Der hier aufgeſtellte Grundſatz iſt von den Römern nirgend allgemein ausgeſprochen; er findet ſich in einzelnen Anwendungen, und zwar hier bald mehr bald weniger vollſtändig, ſo daß es gewiß das einzig rich- tige Verfahren iſt, die weniger beſtimmten Stellen aus den beſtimmteren zu ergänzen, da ihnen allen ohne Zwei- (b) Vergl. über dieſe verſchie- dene Behandlung das Syſtem § 190. — Mit Unrecht wirft beide Fälle zuſammen Burchardi Wiedereinſetzung S. 188. — Der hier aufgeſtellten Anſicht nähert ſich Arndts in Linde’s Zeitſchrift B. 14 S. 31, der jedoch das Ver- hältniß von Regel und Ausnah- me nicht ſo, wie es hier geſche- hen, auffaßt, ſondern Alles dem richterlichen Ermeſſen überläßt, und dabey eher geneigt ſcheint, die Regel auf die entgegengeſetzte Seite zu legen.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/423>, abgerufen am 22.11.2024.