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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Rechtsregeln gemeinschaftlich, bey der Insinuation und dem
Widerruf, eben so wie bey der Schenkung unter Ehegat-
ten, anwendbar ist (§ 142. g); in dem Sprachgebrauch
können wir uns Verschiedenheiten noch eher gefallen lassen.

Was hier über die allgemeine Natur der Schenkung
und über ihre Bezeichnung gesagt worden ist, läßt sich
nicht besser zur Anschauung und Überzeugung bringen, als
durch die Vergleichung mit der sehr ähnlichen Lehre vom
Besitz. Auch der Besitz hat eine natürliche Beziehung, als
dasjenige factische Verhältniß, welches dem Eigenthum,
als einem Rechtsverhältniß, entspricht, also den Inhalt
des Eigenthums bildet. Diese natürliche Beziehung aber
würde niemals auf das Bedürfniß geführt haben, eine
Theorie des Besitzes auszubilden. Ein solches Bedürfniß
entstand, als man an das Daseyn des Besitzes positive
Wirkungen knüpfte, die ganz außer jener natürlichen Be-
ziehung lagen: die Usucapion und die Interdicte. Nun
wurde es nöthig, den Begriff, Erwerb, Verlust des Be-
sitzes genau zu bestimmen, um zu wissen, wer auf die In-
terdicte und die Usucapion Anspruch haben könne. Was
für den Besitz die Interdicte und die Usucapion, das ist
für die Schenkung die Insinuation, das Verbot in der
Ehe, und der Widerruf. Bey dem Besitz gab es dane-
ben mehrere nur scheinbare Rechtswirkungen, die in der
That außer den Gränzen dieses eigenthümlichen Rechtsin-
stituts liegen (m); eben so in der Schenkung die Unzuläs-

(m) Die unächten beatitudines possessionis. Vgl. Savigny
Recht des Besitzes § 3.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Rechtsregeln gemeinſchaftlich, bey der Inſinuation und dem
Widerruf, eben ſo wie bey der Schenkung unter Ehegat-
ten, anwendbar iſt (§ 142. g); in dem Sprachgebrauch
können wir uns Verſchiedenheiten noch eher gefallen laſſen.

Was hier über die allgemeine Natur der Schenkung
und über ihre Bezeichnung geſagt worden iſt, läßt ſich
nicht beſſer zur Anſchauung und Überzeugung bringen, als
durch die Vergleichung mit der ſehr ähnlichen Lehre vom
Beſitz. Auch der Beſitz hat eine natürliche Beziehung, als
dasjenige factiſche Verhältniß, welches dem Eigenthum,
als einem Rechtsverhältniß, entſpricht, alſo den Inhalt
des Eigenthums bildet. Dieſe natürliche Beziehung aber
würde niemals auf das Bedürfniß geführt haben, eine
Theorie des Beſitzes auszubilden. Ein ſolches Bedürfniß
entſtand, als man an das Daſeyn des Beſitzes poſitive
Wirkungen knüpfte, die ganz außer jener natürlichen Be-
ziehung lagen: die Uſucapion und die Interdicte. Nun
wurde es nöthig, den Begriff, Erwerb, Verluſt des Be-
ſitzes genau zu beſtimmen, um zu wiſſen, wer auf die In-
terdicte und die Uſucapion Anſpruch haben könne. Was
für den Beſitz die Interdicte und die Uſucapion, das iſt
für die Schenkung die Inſinuation, das Verbot in der
Ehe, und der Widerruf. Bey dem Beſitz gab es dane-
ben mehrere nur ſcheinbare Rechtswirkungen, die in der
That außer den Gränzen dieſes eigenthümlichen Rechtsin-
ſtituts liegen (m); eben ſo in der Schenkung die Unzuläſ-

(m) Die unächten beatitudines possessionis. Vgl. Savigny
Recht des Beſitzes § 3.
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[16/0030] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. Rechtsregeln gemeinſchaftlich, bey der Inſinuation und dem Widerruf, eben ſo wie bey der Schenkung unter Ehegat- ten, anwendbar iſt (§ 142. g); in dem Sprachgebrauch können wir uns Verſchiedenheiten noch eher gefallen laſſen. Was hier über die allgemeine Natur der Schenkung und über ihre Bezeichnung geſagt worden iſt, läßt ſich nicht beſſer zur Anſchauung und Überzeugung bringen, als durch die Vergleichung mit der ſehr ähnlichen Lehre vom Beſitz. Auch der Beſitz hat eine natürliche Beziehung, als dasjenige factiſche Verhältniß, welches dem Eigenthum, als einem Rechtsverhältniß, entſpricht, alſo den Inhalt des Eigenthums bildet. Dieſe natürliche Beziehung aber würde niemals auf das Bedürfniß geführt haben, eine Theorie des Beſitzes auszubilden. Ein ſolches Bedürfniß entſtand, als man an das Daſeyn des Beſitzes poſitive Wirkungen knüpfte, die ganz außer jener natürlichen Be- ziehung lagen: die Uſucapion und die Interdicte. Nun wurde es nöthig, den Begriff, Erwerb, Verluſt des Be- ſitzes genau zu beſtimmen, um zu wiſſen, wer auf die In- terdicte und die Uſucapion Anſpruch haben könne. Was für den Beſitz die Interdicte und die Uſucapion, das iſt für die Schenkung die Inſinuation, das Verbot in der Ehe, und der Widerruf. Bey dem Beſitz gab es dane- ben mehrere nur ſcheinbare Rechtswirkungen, die in der That außer den Gränzen dieſes eigenthümlichen Rechtsin- ſtituts liegen (m); eben ſo in der Schenkung die Unzuläſ- (m) Die unächten beatitudines possessionis. Vgl. Savigny Recht des Beſitzes § 3.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/30>, abgerufen am 21.11.2024.