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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
darum so wichtig als diese, welche in größeren Gerichten
fast täglich vorkommt. Und gerade für diese Anwendung
finden sich unerwarteter Weise die stärksten und mannich-
faltigsten Bestätigungen der hier aufgestellten Ansicht (i).

Sie wird bestätigt durch die Autorität sehr angesehe-
ner praktischen Juristen, nur freylich in einer Gestalt,
worin man leicht übersieht, daß es in der That die hier
aufgestellte, und in wichtigen Anwendungen des Römischen
Rechts nachgewiesene Regel ist. Jene lehren nämlich, in
den Prozeßfristen müßte nicht schon von dem Tage, woran
die Frist gegeben wird, sondern erst vom folgenden Tage
an, gezählt werden (k). So ausgedrückt, sieht es aus
wie eine willkührliche, grundlose Begünstigung der Partey,
welcher die Frist vorgeschrieben wird, und es haben da-
her andere Schriftsteller, von dem Standpunkt einer ver-
meyntlichen strengen Theorie aus, Widerspruch dagegen
erhoben (l); in der That aber ist es nur die oben darge-

(i) Nicht selten führt man die
L. 1 si quis caut. (2. 11.) zur
Bestätigung dieser Anwendung
an, die doch in der That keine
Verbindung damit hat. Der Prä-
tor ließ einen entfernt wohnen-
den Beklagten in der Art die Er-
scheinung vor Gericht versprechen,
daß ihm auf jede 20 Römische
Meilen Entfernung ein Reisetag
gestattet wurde; dabey sollte noch
der Tag der Stipulation und der
Tag des Gerichts selbst außer
Rechnung bleiben. Das heißt aber
nur, der Beklagte solle nicht ge-
nöthigt seyn, noch am Abend des
letzten Reisetages vor dem Rich-
ter aufzutreten. Mit der Berech-
nung des Endpunkts eines gan-
zen Zeitraums hat Das keinen Zu-
sammenhang.
(k) Böhmer Jus eccl. Prot.
Lib. 2 T. 14 § 5 "post diem in-
sinnationis
dilatio praescripta
currere incipit." Voetius II.
12
§ 14. Gensler Archiv B. 4
S. 197.
(l) Glück hatte in früherer
Zeit blos die gewöhnliche Lehre
der Praktiker vorgetragen (B. 3

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
darum ſo wichtig als dieſe, welche in größeren Gerichten
faſt täglich vorkommt. Und gerade für dieſe Anwendung
finden ſich unerwarteter Weiſe die ſtärkſten und mannich-
faltigſten Beſtätigungen der hier aufgeſtellten Anſicht (i).

Sie wird beſtätigt durch die Autorität ſehr angeſehe-
ner praktiſchen Juriſten, nur freylich in einer Geſtalt,
worin man leicht überſieht, daß es in der That die hier
aufgeſtellte, und in wichtigen Anwendungen des Römiſchen
Rechts nachgewieſene Regel iſt. Jene lehren nämlich, in
den Prozeßfriſten müßte nicht ſchon von dem Tage, woran
die Friſt gegeben wird, ſondern erſt vom folgenden Tage
an, gezählt werden (k). So ausgedrückt, ſieht es aus
wie eine willkührliche, grundloſe Begünſtigung der Partey,
welcher die Friſt vorgeſchrieben wird, und es haben da-
her andere Schriftſteller, von dem Standpunkt einer ver-
meyntlichen ſtrengen Theorie aus, Widerſpruch dagegen
erhoben (l); in der That aber iſt es nur die oben darge-

(i) Nicht ſelten führt man die
L. 1 si quis caut. (2. 11.) zur
Beſtätigung dieſer Anwendung
an, die doch in der That keine
Verbindung damit hat. Der Prä-
tor ließ einen entfernt wohnen-
den Beklagten in der Art die Er-
ſcheinung vor Gericht verſprechen,
daß ihm auf jede 20 Römiſche
Meilen Entfernung ein Reiſetag
geſtattet wurde; dabey ſollte noch
der Tag der Stipulation und der
Tag des Gerichts ſelbſt außer
Rechnung bleiben. Das heißt aber
nur, der Beklagte ſolle nicht ge-
nöthigt ſeyn, noch am Abend des
letzten Reiſetages vor dem Rich-
ter aufzutreten. Mit der Berech-
nung des Endpunkts eines gan-
zen Zeitraums hat Das keinen Zu-
ſammenhang.
(k) Böhmer Jus eccl. Prot.
Lib. 2 T. 14 § 5 „post diem in-
sinnationis
dilatio praescripta
currere incipit.” Voetius II.
12
§ 14. Gensler Archiv B. 4
S. 197.
(l) Glück hatte in früherer
Zeit blos die gewöhnliche Lehre
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[414/0428] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. darum ſo wichtig als dieſe, welche in größeren Gerichten faſt täglich vorkommt. Und gerade für dieſe Anwendung finden ſich unerwarteter Weiſe die ſtärkſten und mannich- faltigſten Beſtätigungen der hier aufgeſtellten Anſicht (i). Sie wird beſtätigt durch die Autorität ſehr angeſehe- ner praktiſchen Juriſten, nur freylich in einer Geſtalt, worin man leicht überſieht, daß es in der That die hier aufgeſtellte, und in wichtigen Anwendungen des Römiſchen Rechts nachgewieſene Regel iſt. Jene lehren nämlich, in den Prozeßfriſten müßte nicht ſchon von dem Tage, woran die Friſt gegeben wird, ſondern erſt vom folgenden Tage an, gezählt werden (k). So ausgedrückt, ſieht es aus wie eine willkührliche, grundloſe Begünſtigung der Partey, welcher die Friſt vorgeſchrieben wird, und es haben da- her andere Schriftſteller, von dem Standpunkt einer ver- meyntlichen ſtrengen Theorie aus, Widerſpruch dagegen erhoben (l); in der That aber iſt es nur die oben darge- (i) Nicht ſelten führt man die L. 1 si quis caut. (2. 11.) zur Beſtätigung dieſer Anwendung an, die doch in der That keine Verbindung damit hat. Der Prä- tor ließ einen entfernt wohnen- den Beklagten in der Art die Er- ſcheinung vor Gericht verſprechen, daß ihm auf jede 20 Römiſche Meilen Entfernung ein Reiſetag geſtattet wurde; dabey ſollte noch der Tag der Stipulation und der Tag des Gerichts ſelbſt außer Rechnung bleiben. Das heißt aber nur, der Beklagte ſolle nicht ge- nöthigt ſeyn, noch am Abend des letzten Reiſetages vor dem Rich- ter aufzutreten. Mit der Berech- nung des Endpunkts eines gan- zen Zeitraums hat Das keinen Zu- ſammenhang. (k) Böhmer Jus eccl. Prot. Lib. 2 T. 14 § 5 „post diem in- sinnationis dilatio praescripta currere incipit.” Voetius II. 12 § 14. Gensler Archiv B. 4 S. 197. (l) Glück hatte in früherer Zeit blos die gewöhnliche Lehre der Praktiker vorgetragen (B. 3

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/428>, abgerufen am 22.11.2024.