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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
denkliche Zeit, in ihrer Wirkung, der Ersitzung (§ 177)
verwandt ist. Wo nun diese letzte wirklich begründet ist,
da kann von der unvordenklichen Zeit, welche schwerer zu
erfüllende Bedingungen hat, nicht die Rede seyn. Und so
erscheint sogleich die unvordenkliche Zeit im Verhältniß ei-
nes Surrogats, als Aushülfe für solche Fälle, worin die
Ersitzung nicht ausreicht, so daß die erste Aufgabe darauf
gerichtet seyn muß, die Fälle des Bedürfnisses und der
Anwendung dieses ergänzenden Instituts genau zu bestim-
men. Ein solches Bedürfniß aber ist auf zweyerley Weise
denkbar: erstens für Fälle, worin die Bedingungen der
Ersitzung fehlen: zweytens für Gegenstände, worauf
die Ersitzung überhaupt nicht anwendbar ist.

Bevor aber diese Fälle selbst angegeben werden, ist es
nöthig den Blick auf ein außer dem Privatrecht liegendes
Gebiet zu richten. Auch im Staatsrecht kommen nicht sel-
ten Fälle vor, worin die sichere Erledigung schwankender,
zweifelhafter Verhältnisse, welche im Privatrecht auf so
wohlthätige Weise durch Usucapion oder Klagverjährung
bewirkt wird, als ein eben so unabweisliches Bedürfniß
erscheint. Da aber hier kein Gesetzgeber ordnend eingreift,
so bricht sich zwar auch das Bedürfniß seine Bahn, jedoch
so daß wir die festen Zeitgränzen vermissen, die sich im
Privatrecht überall finden. In England konnte es nach
der Revolution von 1688 auch einem strengen Gewissen
lange Zeit zweifelhaft bleiben, ob eine rechtmäßige Ver-
änderung vorgegangen, oder bloße Gewalt geübt worden

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
denkliche Zeit, in ihrer Wirkung, der Erſitzung (§ 177)
verwandt iſt. Wo nun dieſe letzte wirklich begründet iſt,
da kann von der unvordenklichen Zeit, welche ſchwerer zu
erfüllende Bedingungen hat, nicht die Rede ſeyn. Und ſo
erſcheint ſogleich die unvordenkliche Zeit im Verhältniß ei-
nes Surrogats, als Aushülfe für ſolche Fälle, worin die
Erſitzung nicht ausreicht, ſo daß die erſte Aufgabe darauf
gerichtet ſeyn muß, die Fälle des Bedürfniſſes und der
Anwendung dieſes ergänzenden Inſtituts genau zu beſtim-
men. Ein ſolches Bedürfniß aber iſt auf zweyerley Weiſe
denkbar: erſtens für Fälle, worin die Bedingungen der
Erſitzung fehlen: zweytens für Gegenſtände, worauf
die Erſitzung überhaupt nicht anwendbar iſt.

Bevor aber dieſe Fälle ſelbſt angegeben werden, iſt es
nöthig den Blick auf ein außer dem Privatrecht liegendes
Gebiet zu richten. Auch im Staatsrecht kommen nicht ſel-
ten Fälle vor, worin die ſichere Erledigung ſchwankender,
zweifelhafter Verhältniſſe, welche im Privatrecht auf ſo
wohlthätige Weiſe durch Uſucapion oder Klagverjährung
bewirkt wird, als ein eben ſo unabweisliches Bedürfniß
erſcheint. Da aber hier kein Geſetzgeber ordnend eingreift,
ſo bricht ſich zwar auch das Bedürfniß ſeine Bahn, jedoch
ſo daß wir die feſten Zeitgränzen vermiſſen, die ſich im
Privatrecht überall finden. In England konnte es nach
der Revolution von 1688 auch einem ſtrengen Gewiſſen
lange Zeit zweifelhaft bleiben, ob eine rechtmäßige Ver-
änderung vorgegangen, oder bloße Gewalt geübt worden

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[482/0496] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. denkliche Zeit, in ihrer Wirkung, der Erſitzung (§ 177) verwandt iſt. Wo nun dieſe letzte wirklich begründet iſt, da kann von der unvordenklichen Zeit, welche ſchwerer zu erfüllende Bedingungen hat, nicht die Rede ſeyn. Und ſo erſcheint ſogleich die unvordenkliche Zeit im Verhältniß ei- nes Surrogats, als Aushülfe für ſolche Fälle, worin die Erſitzung nicht ausreicht, ſo daß die erſte Aufgabe darauf gerichtet ſeyn muß, die Fälle des Bedürfniſſes und der Anwendung dieſes ergänzenden Inſtituts genau zu beſtim- men. Ein ſolches Bedürfniß aber iſt auf zweyerley Weiſe denkbar: erſtens für Fälle, worin die Bedingungen der Erſitzung fehlen: zweytens für Gegenſtände, worauf die Erſitzung überhaupt nicht anwendbar iſt. Bevor aber dieſe Fälle ſelbſt angegeben werden, iſt es nöthig den Blick auf ein außer dem Privatrecht liegendes Gebiet zu richten. Auch im Staatsrecht kommen nicht ſel- ten Fälle vor, worin die ſichere Erledigung ſchwankender, zweifelhafter Verhältniſſe, welche im Privatrecht auf ſo wohlthätige Weiſe durch Uſucapion oder Klagverjährung bewirkt wird, als ein eben ſo unabweisliches Bedürfniß erſcheint. Da aber hier kein Geſetzgeber ordnend eingreift, ſo bricht ſich zwar auch das Bedürfniß ſeine Bahn, jedoch ſo daß wir die feſten Zeitgränzen vermiſſen, die ſich im Privatrecht überall finden. In England konnte es nach der Revolution von 1688 auch einem ſtrengen Gewiſſen lange Zeit zweifelhaft bleiben, ob eine rechtmäßige Ver- änderung vorgegangen, oder bloße Gewalt geübt worden

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/496>, abgerufen am 22.11.2024.