wie in so manchen anderen Stellen, eine Übereilung haben zu Schulden kommen lassen. Es konnte Dieses gerade hier leicht geschehen, da, seit der Abschaffung des Formu- larprozesses, der Unterschied aus der Praxis verschwunden war, und nur noch aus Büchern erlernt werden konnte. Wollte man in dieser Auskunft eine Verletzung der Auto- rität Justinians finden, so muß erwogen werden, daß die Sammlung der Digesten, woraus ich meine Beweise her- genommen habe, unter derselben Autorität veranstaltet worden ist, und daß die logischen Gesetze, die uns zu die- ser Auskunft, als der natürlichsten und wahrscheinlichsten, nöthigen, die Autorität der Gesetzgeber nicht anerkennen.
XLVI.
Wer sich nun durch diesen Versuch, die scheinbar wider- sprechenden Zeugnisse zu beseitigen (Num. XLIII. XLIV. XLV.), nicht befriedigt finden sollte, Der würde wohl anzunehmen genöthigt seyn, daß die Römischen Juristen in dem Sprachgebrauch geschwankt hätten, indem sie den Ausdruck condictio certi oder si certum petetur bald auf die erste Klasse der Condictionen allein (baares Geld), bald auch auf die zweyte (andere bestimmte Sachen) be- zogen. Es ist aber nicht unwichtig zu bemerken, daß hier- auf allein eine Meynungsverschiedenheit mit einigem Schein bezogen werden kann; also nicht auf die übrigen Stücke des oben festgestellten Sprachgebrauchs; noch weniger auf das Daseyn, die Begränzung, und die praktische Verschie-
Die Condictionen. XLVI.
wie in ſo manchen anderen Stellen, eine Übereilung haben zu Schulden kommen laſſen. Es konnte Dieſes gerade hier leicht geſchehen, da, ſeit der Abſchaffung des Formu- larprozeſſes, der Unterſchied aus der Praxis verſchwunden war, und nur noch aus Büchern erlernt werden konnte. Wollte man in dieſer Auskunft eine Verletzung der Auto- rität Juſtinians finden, ſo muß erwogen werden, daß die Sammlung der Digeſten, woraus ich meine Beweiſe her- genommen habe, unter derſelben Autorität veranſtaltet worden iſt, und daß die logiſchen Geſetze, die uns zu die- ſer Auskunft, als der natürlichſten und wahrſcheinlichſten, nöthigen, die Autorität der Geſetzgeber nicht anerkennen.
XLVI.
Wer ſich nun durch dieſen Verſuch, die ſcheinbar wider- ſprechenden Zeugniſſe zu beſeitigen (Num. XLIII. XLIV. XLV.), nicht befriedigt finden ſollte, Der würde wohl anzunehmen genöthigt ſeyn, daß die Römiſchen Juriſten in dem Sprachgebrauch geſchwankt hätten, indem ſie den Ausdruck condictio certi oder si certum petetur bald auf die erſte Klaſſe der Condictionen allein (baares Geld), bald auch auf die zweyte (andere beſtimmte Sachen) be- zogen. Es iſt aber nicht unwichtig zu bemerken, daß hier- auf allein eine Meynungsverſchiedenheit mit einigem Schein bezogen werden kann; alſo nicht auf die übrigen Stücke des oben feſtgeſtellten Sprachgebrauchs; noch weniger auf das Daſeyn, die Begränzung, und die praktiſche Verſchie-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0651"n="637"/><fwplace="top"type="header">Die Condictionen. <hirendition="#aq">XLVI.</hi></fw><lb/>
wie in ſo manchen anderen Stellen, eine Übereilung haben<lb/>
zu Schulden kommen laſſen. Es konnte Dieſes gerade<lb/>
hier leicht geſchehen, da, ſeit der Abſchaffung des Formu-<lb/>
larprozeſſes, der Unterſchied aus der Praxis verſchwunden<lb/>
war, und nur noch aus Büchern erlernt werden konnte.<lb/>
Wollte man in dieſer Auskunft eine Verletzung der Auto-<lb/>
rität Juſtinians finden, ſo muß erwogen werden, daß die<lb/>
Sammlung der Digeſten, woraus ich meine Beweiſe her-<lb/>
genommen habe, unter derſelben Autorität veranſtaltet<lb/>
worden iſt, und daß die logiſchen Geſetze, die uns zu die-<lb/>ſer Auskunft, als der natürlichſten und wahrſcheinlichſten,<lb/>
nöthigen, die Autorität der Geſetzgeber nicht anerkennen.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XLVI.</hi></hi></head><lb/><p>Wer ſich nun durch dieſen Verſuch, die ſcheinbar wider-<lb/>ſprechenden Zeugniſſe zu beſeitigen (Num. <hirendition="#aq">XLIII. XLIV.<lb/>
XLV.</hi>), nicht befriedigt finden ſollte, Der würde wohl<lb/>
anzunehmen genöthigt ſeyn, daß die Römiſchen Juriſten in<lb/>
dem Sprachgebrauch geſchwankt hätten, indem ſie den<lb/>
Ausdruck <hirendition="#aq">condictio certi</hi> oder <hirendition="#aq">si certum petetur</hi> bald auf<lb/>
die erſte Klaſſe der Condictionen allein (baares Geld),<lb/>
bald auch auf die zweyte (andere beſtimmte Sachen) be-<lb/>
zogen. Es iſt aber nicht unwichtig zu bemerken, daß hier-<lb/>
auf allein eine Meynungsverſchiedenheit mit einigem Schein<lb/>
bezogen werden kann; alſo nicht auf die übrigen Stücke<lb/>
des oben feſtgeſtellten Sprachgebrauchs; noch weniger auf<lb/>
das Daſeyn, die Begränzung, und die praktiſche Verſchie-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[637/0651]
Die Condictionen. XLVI.
wie in ſo manchen anderen Stellen, eine Übereilung haben
zu Schulden kommen laſſen. Es konnte Dieſes gerade
hier leicht geſchehen, da, ſeit der Abſchaffung des Formu-
larprozeſſes, der Unterſchied aus der Praxis verſchwunden
war, und nur noch aus Büchern erlernt werden konnte.
Wollte man in dieſer Auskunft eine Verletzung der Auto-
rität Juſtinians finden, ſo muß erwogen werden, daß die
Sammlung der Digeſten, woraus ich meine Beweiſe her-
genommen habe, unter derſelben Autorität veranſtaltet
worden iſt, und daß die logiſchen Geſetze, die uns zu die-
ſer Auskunft, als der natürlichſten und wahrſcheinlichſten,
nöthigen, die Autorität der Geſetzgeber nicht anerkennen.
XLVI.
Wer ſich nun durch dieſen Verſuch, die ſcheinbar wider-
ſprechenden Zeugniſſe zu beſeitigen (Num. XLIII. XLIV.
XLV.), nicht befriedigt finden ſollte, Der würde wohl
anzunehmen genöthigt ſeyn, daß die Römiſchen Juriſten in
dem Sprachgebrauch geſchwankt hätten, indem ſie den
Ausdruck condictio certi oder si certum petetur bald auf
die erſte Klaſſe der Condictionen allein (baares Geld),
bald auch auf die zweyte (andere beſtimmte Sachen) be-
zogen. Es iſt aber nicht unwichtig zu bemerken, daß hier-
auf allein eine Meynungsverſchiedenheit mit einigem Schein
bezogen werden kann; alſo nicht auf die übrigen Stücke
des oben feſtgeſtellten Sprachgebrauchs; noch weniger auf
das Daſeyn, die Begränzung, und die praktiſche Verſchie-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/651>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.