bloße facere umfassende, Natur der Stipulation überhaupt, und der aus ihr entspringenden incerti condictio, deutet auf einen ähnlichen Rechtszustand hin, der für die Römer desselben Zeitalters mit der größten Wahrscheinlichkeit an- zunehmen ist.
Endlich ist noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einseitig an die Stipulation, als Entstehungsgrund der Condiction, zu den- ken pflegen. Die Meynung geht also dahin, daß eine in- certa stipulatio lange Zeit wirkungslos gewesen, und an ihrer Stelle nur eine Strafstipulation auf Geld gebraucht worden sey. Dabey wird übersehen, daß die incerti con- dictio auch ganz andere Entstehungsgründe haben kann. Wenn Jemand, in der irrigen Voraussetzung einer Schuld, baar zahlt, so hat er eine (indebiti) certi condictio; ex- promittirt er, anstatt zu zahlen, so ist seine Condiction in- certi. Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die- sem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte, blos weil es an einer passenden formula fehlte. Nimmt man aber für diesen Fall eine von jeher geltende incerti condictio an, so ist nicht einzusehen, warum dieselbe nicht auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha- ben sollte.
Beylage XIV.
bloße facere umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt, und der aus ihr entſpringenden incerti condictio, deutet auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an- zunehmen iſt.
Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den- ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine in- certa stipulatio lange Zeit wirkungslos geweſen, und an ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die incerti con- dictio auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann. Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld, baar zahlt, ſo hat er eine (indebiti) certi condictio; ex- promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction in- certi. Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die- ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte, blos weil es an einer paſſenden formula fehlte. Nimmt man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende incerti condictio an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha- ben ſollte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0656"n="642"/><fwplace="top"type="header">Beylage <hirendition="#aq">XIV.</hi></fw><lb/>
bloße <hirendition="#aq">facere</hi> umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt,<lb/>
und der aus ihr entſpringenden <hirendition="#aq">incerti condictio,</hi> deutet<lb/>
auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer<lb/>
deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an-<lb/>
zunehmen iſt.</p><lb/><p>Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der<lb/>
hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die<lb/>
Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den-<lb/>
ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine <hirendition="#aq">in-<lb/>
certa <hirendition="#i">stipulatio</hi></hi> lange Zeit wirkungslos geweſen, und an<lb/>
ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht<lb/>
worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die <hirendition="#aq">incerti con-<lb/>
dictio</hi> auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann.<lb/>
Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld,<lb/>
baar zahlt, ſo hat er eine <hirendition="#aq">(indebiti) certi condictio;</hi> ex-<lb/>
promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction <hirendition="#aq">in-<lb/>
certi.</hi> Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die-<lb/>ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte,<lb/>
blos weil es an einer paſſenden <hirendition="#aq">formula</hi> fehlte. Nimmt<lb/>
man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende <hirendition="#aq">incerti<lb/>
condictio</hi> an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht<lb/>
auch für die <hirendition="#aq">incerta stipulatio</hi> von jeher gegolten ha-<lb/>
ben ſollte.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[642/0656]
Beylage XIV.
bloße facere umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt,
und der aus ihr entſpringenden incerti condictio, deutet
auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer
deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an-
zunehmen iſt.
Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der
hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die
Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den-
ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine in-
certa stipulatio lange Zeit wirkungslos geweſen, und an
ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht
worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die incerti con-
dictio auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann.
Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld,
baar zahlt, ſo hat er eine (indebiti) certi condictio; ex-
promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction in-
certi. Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die-
ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte,
blos weil es an einer paſſenden formula fehlte. Nimmt
man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende incerti
condictio an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht
auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha-
ben ſollte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/656>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.