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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
Vorschriften geregelt werden. Die zweite dagegen hat die
Folge gehabt, daß die neueren Schriftsteller fast allgemein
angenommen haben, das R. R. selbst habe schon manche
der wichtigsten Wirkungen des Rechtsstreits nicht mehr
gerade an die L. C. angeknüpft; obgleich sich auch in dieser
Annahme wieder die mannichfaltigsten Abstufungen finden.

a) Mala fides als allgemeine Folge des bloßen
Rechtsstreits.

Diese Behauptung müssen wir zunächst nach allgemeiner
Betrachtung entschieden zurück weisen. Die Unredlichkeit des
Bewußtseyns ist, wie schon oben bemerkt wurde, eine
reine Thatsache, die nur aus den Umständen jedes ein-
zelnen Falls erkannt, nicht aus dem allgemeinen Daseyn
des bloßen Rechtsstreits gefolgert werden kann. Sie wird
also oft vor dem Rechtsstreit vorhanden seyn, oft während
des ganzen Rechtsstreits fehlen, welches besonders durch
die Erwägung einleuchtend wird, daß ja der Beklagte mit
Unrecht verurtheilt werden kann, und in diesem Fall doch
gewiß kein unredliches Bewußtseyn gehabt hat. Eine An-
knüpfung an die L. C. hat also gar keinen inneren Grund (l),

(l) Ganz verwerflich ist die Er-
klärung von Bynkershoek obss.
VIII.
12, die Römer hätten mit
der Klage sogleich ihre Beweis-
urkunden vorgelegt, daher sey bei
ihnen der Beklagte stets im An-
fang des Rechtsstreits von seinem
Unrecht überführt worden. Allein
sehr viele Prozesse werden gar nicht
aus Urkunden entschieden, und
eben so kann die Beweiskraft der
vorgebrachten Urkunden oft zwei-
felhaft seyn, ja selbst vom Richter
mit Unrecht angenommen werden.
Er folgert daraus, daß jene An-
nahme für uns nicht mehr gelte,
und schließt daraus weiter ganz
irrig, daß wir auch keine Prozeß-

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Vorſchriften geregelt werden. Die zweite dagegen hat die
Folge gehabt, daß die neueren Schriftſteller faſt allgemein
angenommen haben, das R. R. ſelbſt habe ſchon manche
der wichtigſten Wirkungen des Rechtsſtreits nicht mehr
gerade an die L. C. angeknüpft; obgleich ſich auch in dieſer
Annahme wieder die mannichfaltigſten Abſtufungen finden.

a) Mala fides als allgemeine Folge des bloßen
Rechtsſtreits.

Dieſe Behauptung müſſen wir zunächſt nach allgemeiner
Betrachtung entſchieden zurück weiſen. Die Unredlichkeit des
Bewußtſeyns iſt, wie ſchon oben bemerkt wurde, eine
reine Thatſache, die nur aus den Umſtänden jedes ein-
zelnen Falls erkannt, nicht aus dem allgemeinen Daſeyn
des bloßen Rechtsſtreits gefolgert werden kann. Sie wird
alſo oft vor dem Rechtsſtreit vorhanden ſeyn, oft während
des ganzen Rechtsſtreits fehlen, welches beſonders durch
die Erwägung einleuchtend wird, daß ja der Beklagte mit
Unrecht verurtheilt werden kann, und in dieſem Fall doch
gewiß kein unredliches Bewußtſeyn gehabt hat. Eine An-
knüpfung an die L. C. hat alſo gar keinen inneren Grund (l),

(l) Ganz verwerflich iſt die Er-
klärung von Bynkershoek obss.
VIII.
12, die Römer hätten mit
der Klage ſogleich ihre Beweis-
urkunden vorgelegt, daher ſey bei
ihnen der Beklagte ſtets im An-
fang des Rechtsſtreits von ſeinem
Unrecht überführt worden. Allein
ſehr viele Prozeſſe werden gar nicht
aus Urkunden entſchieden, und
eben ſo kann die Beweiskraft der
vorgebrachten Urkunden oft zwei-
felhaft ſeyn, ja ſelbſt vom Richter
mit Unrecht angenommen werden.
Er folgert daraus, daß jene An-
nahme für uns nicht mehr gelte,
und ſchließt daraus weiter ganz
irrig, daß wir auch keine Prozeß-
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[86/0104] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Vorſchriften geregelt werden. Die zweite dagegen hat die Folge gehabt, daß die neueren Schriftſteller faſt allgemein angenommen haben, das R. R. ſelbſt habe ſchon manche der wichtigſten Wirkungen des Rechtsſtreits nicht mehr gerade an die L. C. angeknüpft; obgleich ſich auch in dieſer Annahme wieder die mannichfaltigſten Abſtufungen finden. a) Mala fides als allgemeine Folge des bloßen Rechtsſtreits. Dieſe Behauptung müſſen wir zunächſt nach allgemeiner Betrachtung entſchieden zurück weiſen. Die Unredlichkeit des Bewußtſeyns iſt, wie ſchon oben bemerkt wurde, eine reine Thatſache, die nur aus den Umſtänden jedes ein- zelnen Falls erkannt, nicht aus dem allgemeinen Daſeyn des bloßen Rechtsſtreits gefolgert werden kann. Sie wird alſo oft vor dem Rechtsſtreit vorhanden ſeyn, oft während des ganzen Rechtsſtreits fehlen, welches beſonders durch die Erwägung einleuchtend wird, daß ja der Beklagte mit Unrecht verurtheilt werden kann, und in dieſem Fall doch gewiß kein unredliches Bewußtſeyn gehabt hat. Eine An- knüpfung an die L. C. hat alſo gar keinen inneren Grund (l), (l) Ganz verwerflich iſt die Er- klärung von Bynkershoek obss. VIII. 12, die Römer hätten mit der Klage ſogleich ihre Beweis- urkunden vorgelegt, daher ſey bei ihnen der Beklagte ſtets im An- fang des Rechtsſtreits von ſeinem Unrecht überführt worden. Allein ſehr viele Prozeſſe werden gar nicht aus Urkunden entſchieden, und eben ſo kann die Beweiskraft der vorgebrachten Urkunden oft zwei- felhaft ſeyn, ja ſelbſt vom Richter mit Unrecht angenommen werden. Er folgert daraus, daß jene An- nahme für uns nicht mehr gelte, und ſchließt daraus weiter ganz irrig, daß wir auch keine Prozeß-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/104>, abgerufen am 28.11.2024.